Liebe Mitchristen
In der Lesung aus der Apostelgeschichte wird uns das Idealbild einer christlichen Gemeinschaft präsentiert: «Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam».
Die Urgemeinde von Jerusalem hat in der Geschichte des Christentums immer wieder als Vorbild gedient. Nicht zuletzt auch für das Mönchtum. Zitiert doch der heilige Benedikt, der Vater des abendländischen Mönchtums, in seiner Regel genau diese Stelle aus der Apostelgeschichte, wenn es um die Frage geht, ob Mönche Eigentum besitzen dürfen.
Das Ideal der Gütergemeinschaft versuchen wir als Mönche in unseren Klöstern zu verwirklichen und vielleicht gelingt es ansatzweise. Aber schwierig dürfte es werden, ja wahrscheinlich ist es unmöglich, wenn wir das Ideal der Gütergemeinschaft ausserhalb des geschützten Rahmens der Klostermauern in der Kirche oder sogar in der ganzen Gesellschaft durchsetzen wollten. Unsere heutige Wirtschaftsordnung ist geprägt vom Recht auf Privateigentum und nicht einmal linke Parteien fordern heute noch die Abschaffung davon. So heisst es beispielsweise im Parteiprogramm der Sozialdemokratische Partei wörtlich: «Die SP will das persönliche und das gewerbliche Eigentum nicht abschaffen.»
Wir müssen uns deshalb fragen: Hat die Lesung aus der Apostelgeschichte für uns heute überhaupt noch eine Bedeutung, wenn wir nicht gerade als Nonnen und Mönche im Kloster leben? – Die Antwort ist ganz klar Ja, aber nicht auf gesellschaftspolitischer Ebene, sondern auf der Ebene unseres Glaubens und unserer Lebenseinstellung als Christinnen und Christen. Denn in der Art und Weise, wie wir mit materiellem Besitz umgehen, spiegelt sich eine innere Einstellung. Es geht um die Frage, ob wir uns an Materiellem festklammern oder ob wir uns eine innere Freiheit bewahren können. Und das hat viel mit Ostern zu tun, denn Ostern ist das Fest unserer Befreiung.
Das merken wir schon, wenn wir uns den jüdischen Hintergrund dieses Festes ins Bewusstsein rufen. Das jüdische Osterfest, Pessach, ist die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, an die Befreiung der Israeliten aus der Knechtschaft des Pharaos.
Ebenso ist Ostern auch für uns Christinnen und Christen ein Fest der Befreiung: Das Grab konnte unseren Herrn nicht festhalten, er hat die Ketten des Todes aufgesprengt und die Macht der Sünde gebrochen. Durch unsere Taufe haben wir Anteil am Ostersieg Christi und leben als erlöste Menschen, in der Freiheit der Kinder Gottes.
Die Frage ist aber: Wovon genau sind wir befreit? Denn die christliche Freiheit ist abstrakter als die Freiheit der Israeliten. Bei den Israeliten war die feindliche Macht ganz konkret im Pharao verkörpert, der sie unterdrückt und versklavt hat. Das, was unsere Freiheit bedroht, ist hingegen nicht so leicht fassbar.
Tatsächlich gibt es Verschiedenes, was uns Menschen unfrei machen kann: Denken wir etwa an Suchtmittel, Abhängigkeitsverhältnisse, Schulden, an emotionale Blockaden, Zwänge aus Angst, Armut, Gewalt oder Not.
Unsere Unfreiheit kann sich aber auch in der ängstlichen Umklammerung materieller Dinge zeigen. Und hier zeigt sich nun die Aktualität der heutigen Lesung aus der Apostelgeschichte. Die Gütergemeinschaft der Urgemeinde fordert von uns keinen utopischen Verzicht auf jegliches Privateigentum. Aber sie zeigt uns eine beneidenswerte Freiheit im Umgang mit materiellem Besitz: «Alle, die Grundstücke oder Häuser besassen, verkauften ihren Besitz, und jedem wurde so viel zugeteilt, wie er nötig hatte». Da ist kein krampfhaftes Klammern, keine Angst zu kurz zu kommen. Davon dürfen wir uns inspirieren lassen. Diese urchristliche Freiheit müssen wir wieder neu einüben. Gerade in unserer Zeit, die stark auf Materielles fixiert ist, kann das sehr wohltuend sein.
Wir hier in der Schweiz stehen in materieller Hinsicht gut da, besser als die meisten anderen Länder. Manchmal denken wir vielleicht, es kann uns nichts passieren, wir sind materiell abgesichert. Aber der Schein trügt: Sogar eine Grossbank, die «too big to fail» ist, kann plötzlich zugrunde gehen, wenn die Anleger das Vertrauen verlieren. Und eine Strommangellage kann auch unser Land treffen, wenn in Europa ein Krieg ausbricht.
Die Botschaft von Ostern ist eine Botschaft der Befreiung. Klammern wir uns also nicht ängstlich an Dinge, die doch nur falsche Sicherheiten versprechen. Halten wir uns nicht an vergänglichen Dingen fest: an materiellem Besitz, an den Äusserlichkeiten unseres Aussehens, an der Anerkennung der Leute. Wer die Dimension des Glaubens in seinem Leben nicht kennt, wird dies verzweifelt versuchen. Die Rückbindung an Gott aber macht frei.
Immer wenn wir Verlustängste spüren, ist das ein Hinweis darauf, dass wir in einem Bereich noch unerlöst, noch nicht wirklich frei sind. Das Leben der Christinnen und Christen darf nicht mehr von Angst bestimmt sein. Nicht weil wir unter einem besonderen Schutz stehen würden und uns sowieso nichts passieren kann, müssen wir keine Angst haben. Sondern weil wir im Bewusstsein leben, dass wir in Gottes Liebe geborgen und getragen sind, ganz gleich, was auch passieren wird.
Deshalb können wir allen Gefahren ins Auge blicken, die Wirklichkeit wahrnehmen, wie sie sich uns zeigt, ohne etwas zu verdrängen. Als Christinnen und Christen wissen wir, dass dieses Leben nicht ewig dauert, dass uns eine gewisse Zeit auf dieser Erde geschenkt ist, dass aber einmal auch das Ende dieses irdischen Lebens kommen wird. Und dann werden wir nichts mitnehmen können, woran wir uns jetzt vielleicht noch zu klammern versuchen. Dann wird nur noch eines zählen: die Verbundenheit mit Jesus Christus, unserem Erlöser.
Dass Ostern Befreiung bedeutet, das hat auch der Apostel Thomas im Evangelium erfahren dürfen. Er, der Zweifler, ist durch die Begegnung mit dem Auferstandenen von seinen Zweifeln befreit worden.
Liebe Mitchristen, leben wir als erlöste Menschen. Weder Angst, noch Zweifel sollen unser Leben bestimmen. Jesus Christus hat uns befreit und uns Anteil gegeben an seinem Sieg über Sünde und Tod. Das ist unsere Versicherung. Das ist das unerschütterliche Fundament, auf dem wir stehen. Von seiner Liebe kann uns nichts trennen. Daran erinnert uns auch der heilige Paulus im Römerbrief: «Was kann uns scheiden von der Liebe Chrisi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? … Weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.» Amen.