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Predigt von P. Daniel Emmenegger am 4. Sonntag der Osterzeit 2024

Warum werden Petrus und Johannes – denn um diese beiden handelt es sich, auch wenn im gehörten Abschnitt aus der Apostelgeschichte nur von Petrus die Rede war – warum werden Petrus und Johannes verhört? Warum müssen sie sich rechtfertigen? Weil sie ein gutes Werk getan, einen kranken Menschen geheilt haben (es handelt sich, wie erst im weiteren Kontext ersichtlich wird, um die Heilung eines von Geburt an Gelähmten)? Werden Petrus und Johannes dieser Heilung wegen verhört? Müssen sie sich deshalb rechtfertigen? 

Ganz offensichtlich nicht! Nicht wegen der Heilung eines Gelähmten werden sie verhört, sondern weil sie es wagten, inmitten des Jerusalemer Tempels vor einer versammelten Menschenmenge, die wegen der Heilung des allseits bekannten Gelähmten auf sie aufmerksam geworden war, zu behaupten, dass diese Heilung nicht durch sie – Petrus und Johannes – sondern «im Namen Jesu Christi, des Nazoräers» (Apg 4,10) geschehen sei; durch jenen ganz und gar nicht unbekannten Menschen also, der erst vor kurzem offiziell und öffentlich verurteilt und am Kreuz hingerichtet worden ist, von dem Petrus und Johannes aber nun nicht nur behaupten, er sei auferweckt worden und lebe, sondern dass durch ihn jeder leben wird, der an ihn glaubt, ja mehr noch: Dass in keinem anderen Heil, Rettung, Leben zu finden ist (vgl. Apg 4,12)! Deshalb, dieses Zeugnisses wegen werden sie verhört, und müssen sie sich rechtfertigen.

In diesem Zeugnis zeigt sich etwas, das uns auch im heutigen Evangelium vom «guten Hirten» gleichsam wie ein Geheimnis anhaucht. Da ist zum einen die Hingabe Jesu an uns Menschen: «Ich gebe mein Leben hin [– im Bild gesprochen:] für die Schafe» (Joh 10,11.15). Wir Menschen sind sozusagen der «direkte Gegenstand» seiner Liebe. Da ist nichts anderes, was inter est – dazwischen ist. Jesus hat kein anderes Interesse als den Menschen. Petrus ist Zeuge dieser Hingabe. Als solcher darf er auch sich selbst nicht «dazwischenschieben» – zwischen den Menschen und Jesus. Er darf selbst kein anderes Interesse als das Zeugnis für die Hingabe Jesu an den Menschen haben. Dieses interessenlose Zeugnis öffnet ein Fenster, durch welches Jesus selbst den Menschen anblicken kann. 

Sodann sagt Jesus im heutigen Evangelium: «Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich» (Joh 10,14). Wo ein Mensch sozusagen direkt von Jesus angeblickt wird, besteht die Chance, dass der Mensch in diesem Blick zu sich selbst erwacht; dass er gerade durch diesen Blick sich selbst in seiner Würde erkennt, denn dieser Blick meint wirklich ihn selbst um seiner selbst willen. Jesu Blick ist für uns im Grunde kein fremder Blick. Aber hier hört es nicht auf. Auf das «Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich» (Joh 10,14) folgt sogleich «wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne» (Joh 10,15). Der Mensch, den Jesus anblickt und anspricht, erwacht nicht nur zu sich selbst, sondern auch in Gott. Hört er auf Jesu Stimme und folgt er ihr, wird er über sich selbst hinaus in das dreifaltige Leben Gottes geführt. Dies erst lässt den Menschen eigentlich leben; lässt ihn laufen und springen und Gott loben, wie es die Apostelgeschichte vom ehemals Gelähmten berichtet (Apg 3,8).

Das ist das Zeugnis unserer beiden Apostel Petrus und Johannes: Dass wir es in und durch Jesus, der in unserer Welt von uns Menschen gekreuzigt und getötet worden ist, den Gott aber auferweckt hat (vgl. Apg 4,10) – dass wir es in und durch Jesus Christus mit Gott selbst zu tun haben. Inmitten des Jerusalemer Tempels eine ungeheure Provokation, für die sich die beiden Apostel rechtfertigen müssen. Aber wie soll denn schweigen können, wer selbst von diesem göttlichen Blick getroffen und von dieser göttlichen Stimme angeredet worden ist? Wer zu sich selbst und in das göttliche Leben hinein erwacht ist? Dieses apostolische Zeugnis, die Verkündigung dieses unseres Glaubens, die Feier und Spendung der Sakramente, durch die Christus selbst den Menschen anblickt und anspricht: Sind sie nicht die eigentliche, gar einzige Existenzberechtigung der Kirche?

Wie sehr dies gegenwärtig in der öffentlichen Wahrnehmung der Kirche verdunkelt ist, brauche ich Ihnen nicht weiter zu erläutern. Sie wissen es. Es wird uns in gehäuftem Mass und auf bisweilen ermüdende Weise vor Augen ge-führt. Auch Nachrichten über rekordhohe Austrittszahlen erreichen uns in regelmässigen Abständen. Gerade dies bereitet nicht wenigen einige Sorge. Denn durch die Austritte fallen Einnahmen durch die Kirchensteuer weg. Häuft sich dies und werden zudem noch Staatsbeiträge (aus Steuergeldern) gekürzt oder gestrichen, wie dies in den letzten Wochen und Monaten da und dort auch tatsächlich schon gefordert wurde, dann ist die Finanzierung kirchlicher Arbeitsstellen, die Finanzierung für den Unterhalt von Gebäuden, für Religionsunterricht, Jugendarbeit, Erwachsenenbildung, Kirchenmusik, für Sozial- und Entwicklungshilfe und noch anderes gefährdet. Entsprechend versucht man auf den gesellschaftlichen Nutzen all dieser kirchlichen Einrichtungen und durch sie auf die gesellschaftliche Relevanz der Kirche aufmerksam zu machen. Das ist sicher gut gemeint, läuft aber Gefahr, den Blick auf das zu richten, was man sieht; «gesellschaftliche Relevanz» muss man ja zumindest ein Stück weit messen können. Der Steuerzahler im Kanton Zürich will schliesslich wissen, wofür man der Kirche jährlich 50 Millionen Franken gibt.

Erinnern wir uns aber: Petrus und Johannes mussten sich nicht aufgrund dessen rechtfertigen, was man sehen konnte: Dass nämlich der als gelähmter Bettler bekannte Mann nun plötzlich herumspringt und Gott lobt. Sie mussten sich rechtfertigen aufgrund dessen, was man nicht sehen und nicht messen, sondern nur bezeugen kann: Dass dieser Mensch durch Christus zu sich selbst und in das Leben Gottes hinein erwacht ist. Wenn die Existenzberechtigung der Kirche in diesem Zeugnis gründet, dann gilt dies auch für all ihre Einrichtungen, Unternehmungen und Werke. Das aber macht sie für den säkularen Staat, der sich – zumindest der Theorie nach – Religionen und Welt-anschauungen gegenüber neutral sehen will, geradezu verdächtig. Schliesslich heisst das, dass beispielsweise – zumindest der Theorie nach – in der kirchlichen Jugendarbeit Christus bezeugt und verkündet wird. Wenn dann seitens kirchlicher Mitarbeiter beschwichtigt und betont wird, man wolle nicht «missionieren», dann muss man sich die berechtigte Frage gefallen lassen – und sie wurde in der jüngeren Diskussion tatsächlich gestellt – wozu es für diese Arbeit die Kirche überhaupt brauche. Schliesslich können das auch nicht-kirchliche Einrichtungen und Institutionen.

Wenn es der Kirche – wenn es uns! – wirklich um den Menschen geht, dann kann man ihm keinen grösseren Dienst erweisen als das Zeugnis für Christus, durch welches dieser selbst den Menschen anblickt und anspricht. Im Sinne des heutigen Evangeliums kann ein «bezahlter Knecht» aber unmöglich Zeuge sein. Zeuge sein kann nur, wer selbst zum Glauben an Christus erwacht ist. Von daher können wir im sich abzeichnenden Mangel an finanziellen Mitteln auch eine Chance erblicken: Dass nämlich im Heer kirchlicher Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter die wirklichen Zeuginnen und Zeugen Christi immer mehr ins Licht gestellt werden. Denn diese können unmöglich schweigen, auch wenn sie nicht bezahlt werden (vgl. Apg 4,20).

Beten wir am heutigen Gut-Hirt-Sonntag, der auch Weltgebetstag um kirchliche Berufungen ist, für diese Zeuginnen und Zeugen Jesu Christi und bitten wir unseren Herrn, dass er durch sie viele weitere Menschen zum Glauben erweckt, die ihn dann ihrerseits in der heutigen Welt bezeugen. Bitten wir um Mut und Kraft, wenn wir uns deshalb vor den Autoritäten unserer heutigen Gesellschaft rechtfertigen müssen. Es kann ja nur einem dienen: Christus vor aller Welt zu bezeugen.

Heilige Apostel Petrus und Johannes, bittet für uns! Amen.

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