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P. Gerhard Stoll am Josefstag 2024

Stellen Sie sich bitte vor, liebe Schwestern und Brüder im Herrn, da haben wir doch tatsächlich einen Träumer als Oberhaupt der Heiligen Familie – noch schlimmer als Patron der Weltkirche. Mehrmals erschien dem Josef ein Engel des Herrn im Traum und befahl ihm: einmal Maria als seine Frau anzunehmen, und etwas später dann mit ihr und dem Kind nach Ägypten zu fliehen und wieder zurück in seine Heimat zu ziehen. Seht da, diesen Träumer, so verächtlich bezeichneten die Söhne des Patriarchen Jakob ihren leiblichen Bruder Josef. Sie waren eifersüchtig und wollten ihn loswerden und verkauften ihn nach Ägypten. Mehrmals träumte auch er, vor allem aber konnte er Träume deuten – so geschehen 1600 Jahre vor unserem neutestamentlichen Josef. Der Traum von den 7 fetten und den 7 mageren Kühen – der ägyptische Josef konnte ihn für den Pharao deuten. Und weil er daraufhin in der Gunst des Pharaos aufstieg und durch seine Dienste das Land Ägypten rettete und auch seine eigene Familie vor der Hungersnot bewahren konnte, da wurde das Volk Israel vor dem Aussterben bewahrt. Ohne den traumhaften Gehorsam des Pflegevaters Josef hätte die Heilige Familie so wohl auch nicht überlebt!

Liebe Gemeinde, jedes Mal, wenn das Evangelium von Josef spricht, zeigt es ihn uns als Mann des stillen Glaubens, der auf Gottes Wort hin handelt. Josef gehört zu den Urgestalten des Glaubens, wie sie der Hebräerbrief aufzählt – beginnend mit Abraham, unserem Urvater im Glauben, den Urvätern Isaak und Jakob und Josef bis hin zu den grossen Propheten. Gemeint ist der Glaube, der nicht mit tausend Wenn und Aber problematisiert, sondern sich ohne Zögern Gott ausliefert. Glaube heisst für Josef, Gottes Wort so zu nehmen, wie es ist, ohne Gottes Plan zu begreifen. Er weiss in kritischen Situationen nicht, wohin Gott ihn führen will. Es genügt ihm zu spüren, dass Gott ihn führt. Von Josef wird im Neuen Testament kein einziges persönliches Wort überliefert. Er hört einfach und gehorcht. Also, ich würde dem Josef ein Goldenes Ohr verleihen als Auszeichnung und Dank für seine Lebensleistung.

Seht, diesen Träumer, den neutestamentlichen Josef! Nun, wir heute leben in einer aufgeklärten Zeit, die zuerst alles sehen und begreifen möchte. Wir hätten es gerne, wenn Gott mit uns an einem runden Tisch sitzen würde, uns seine Absichten erklären würde. Und wir würden dann Nutzen und Probleme abwägen und vielleicht sogar noch versuchen, Gott von seinen Plänen abzubringen. Von Josef gilt vielmehr im selben Sinn, wie Elisabeth zu Maria gesagt hatte: Selig bist Du, die geglaubt hat, dass in Erfüllung gehen wird, was Dir vom Herrn gesagt wurde!Es ist der Glaube, der es wagt, sich auszuliefern und auf Gottes Wort hin jedes Risiko eingeht.

Vor über 50 Jahren hat der grosse Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar gesagt: Den Träumern, denen die noch Visionen haben, denen gehört die Zukunft – auch und gerade in der Kirche. Menschen, die träumen, und vor allem, die bereit sind aufzubrechen aus ihrer oft kleinen Welt. Menschen, die sich nie zufriedengeben, wie es gerade ist. Solche Menschen mit ihren Träumen und Visionen, die trauen nämlich Gott auch noch etwas zu und vor allem: die vertrauen ihm auch. Und solche traumhaften Menschen können wir in unserer Kirche nie genügend haben: Menschen, die mit beiden Beinen im Leben Stehen, die für ihre Mitmenschen da sind – deren Ohren und Herzen aber nach oben hin ganz offen sind! 

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