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P. Thomas Fässler zum Zweiten Fastensonntag 2024

Könnten wir, müssten wir Prediger die in den Gottesdiensten vorgetragenen Texte selber bestimmen, würden Sie, liebe Schwestern und Brüder, wohl immer wieder dieselben Themen zu hören bekommen, die Lieblingsthemen von uns Predigern nämlich, die uns besonders liegen. Ihr Erkenntnisgewinn als Zuhörende wäre so gewiss nicht besonders gross, würden Sie doch meist lediglich das hören, was Sie ohnehin schon wissen. Sperrige Texte würden dafür wohl selten den Weg auf den Ambo finden, Texte wie die heutige erste Lesung über ein versuchtes Kindsopfer. Doch wachsen wir nicht gerade an Sperrigem, an dem wir uns reiben, das uns herausfordert und uns letztlich eben weiterbringt? Auch ich hätte trotz vorgegebener Leseordnung immer noch leichtes Spiel gehabt, diesen sperrigen Text aus dem Buch Genesis zu umgehen, doch wollte ich mich, wollte ich uns der Herausforderung, den vielen Fragen stellen, die dieser Text aufwirft. Dabei frage ich mich jedes Mal, wenn ich ihn höre oder lese, als Erstes, was die beiden – Abraham und Isaak – auf dem Nachhauseweg wohl miteinander gesprochen haben. Schliesslich musste doch im jungen Isaak die Erfahrung Spuren hinterlassen haben, fast von seinem Vater geopfert worden zu sein. Da könnte man doch durchaus eine gewisse Belastung ihrer Beziehung annehmen.

Interessanter aber noch scheint mir der Blick auf den Beginn der Geschichte zu sein. Ist Ihnen auch aufgefallen, dass Abraham die scheinbar von Gott stammende Weisung, seinen Sohn zu opfern, nicht entrüstet als etwas völlig Unvorstellbares zurückweist? Das scheint mir darauf hinzuweisen, dass er so etwas von seiner Umwelt durchaus gewohnt war, sodass es ihm ganz akzeptabel erschien: So machen es andere schliesslich auch, wieso sollte es nun nicht auch er tun, so grausam es eigentlich auch ist? Tatsächlich ist die Opferung von Kindern in der kanaanäischen Kultur zu Zeiten Abrahams sogar archäologisch nachzuweisen. Meist geschahen dabei solche Opfer in Form eines Bauopfers. Beim Errichten eines Hauses etwa wurde ein Kind – meist das erstgeborene männliche – in das Fundament eingemauert. Oder es wurden im Zusammenhang mit Gelübden Kinder geopfert.

«Menschenopfer: Wie schrecklich! Welch widerwärtiger religiöser Fanatismus! Wie kann man nur!», durchfährt es uns nun vielleicht. Und: «Wie gut, haben wir das überwunden!» Kennen aber nicht auch Sie, liebe Schwestern und Brüder, Eltern, deren Kinder uns wie als deren Projekte erscheinen, in denen sich Vater und Mutter in erster Linie selbst verwirklichen, ihre eigenen Träume, denen sie selbst nie nachgehen konnten, oftmals ohne den eigenen Willen der Kinder ernst zu nehmen, ohne zu fragen, was denn eigentlich sie selbst gerne möchten?

Wir können den Kreis auch über eigene Kinder hinaus erweitern und den Blick gleichzeitig auf uns richten: Haben vielleicht auch wir schon einmal Menschen «geopfert» auf dem Weg, unsere Vorstellungen zu verwirklichen, eingesetzt als Preis dafür, unsere Ziele zu erreichen, für das eigene Wohlergehen, ohne dabei darauf zu achten, ob andere dabei zugrunde gehen? Sind auch wir schon einmal den Karriereberg hochgelaufen, bereit, andere zu opfern, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne angewidert zurückzuschrecken?

Bei solchen Opferungen dreht sich bei den Opfernden alles um sich selbst, um ihre eigenen egoistischen Triebe. Die heutige Lesung aber spricht in erster Linie von einer Beziehung, von der Beziehung zwischen Gott und Abraham – und davon, wie weit Abraham in seiner Treue zu Gott, in seinem Vertrauen auf ihn gehen würde. Wäre er bereit, seine eigene Zukunft in der Gestalt seines Sohnes auf eine Weisung Gottes hin aufzugeben, all seine Träume, einmal als grosser Name unter den Völkern bekannt zu sein?

Dieser Gott, dieser treue Gott, dem wir vertrauen können, weil er unsere Zukunft nicht zerstören will, sondern sie vielmehr überhaupt erst ermöglicht, dieser Gott erscheint am Höhepunkt dieser Fastenzeit wieder mit einem Opfer. Dieses Mal aber ist er selbst das Opfer – freiwillig, für andere, für das Wohlergehen anderer. Drei Tage war Abraham gewandert, bis er in jene Gegend kam, in die er kommen musste. Hier stieg er auf einen Berg, bereit, seinen einziggeborenen Sohn zu opfern. Möglicherweise war es derselbe Berg, den später ein anderer einziggeborener Sohn hochging. Abraham hatte dabei zuvor seinem Sohn das Holz aufgelegt, damit er es auf den Berg hinauftrage. Später trug auch Christus auf seinen Schultern das Opferholz auf den Berg, das Holz des Kreuzes. Während aber Abraham seinen Isaak letztlich nicht opfern musste, gab sich Christus selbst als Opfer hin, machte sich selbst zum Opferlamm, um uns zu zeigen, wie weit er in seiner Liebe zu uns zu gehen bereit ist. Er liess sich willig die Hände binden, damit wir befreit werden von unguten Bindungen an uns selbst, die von anderen Opfer verlangt, immer und immer wieder, damit wir also von solchem Verhalten befreit werden und zugleich für alle Zeiten ein Beispiel für ein echtes Miteinander mit unseren Mitmenschen vor Augen haben, geprägt von gegenseitiger Rücksichtnahme, davon, sich auch mal selbst zurücknehmen zu können zum Wohl des anderen, von der Vorstellung, dass alle so sein und handeln müssten, wie ich es will. Christus hat sich geopfert, damit wir nie mehr Opfer darbringen müssen, auch nicht in Form von Mitmenschen, wie es andere um uns herum immer wieder tun, wie es unsere zeitgenössische Kultur nur allzu oft tut. Wir kriegen doch von Gott alles umsonst, alles, was wir wirklich brauchen, für echtes Wohlergehen, zur Erreichung der wahren Ziele. Amen.

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