Kloster Einsiedeln, zur Startseite
Kloster Einsiedeln, zur Startseite

P. Patrick Weisser zum Vierten Fastensonntag "Laetare" 2024

Ist die Fastenzeit – oder schöner formuliert: – die vorösterliche Busszeit auch Ihre liebste Zeit im Kirchenjahr?

Während wir im Advent der Sehnsucht nach dem Kommen des Herrn Raum geben, in der Weihnachtszeit uns seiner Nähe erfreuen und in der Osterzeit seine Auferstehung feiern können, hat die Fastenzeit wohl für die meisten von uns etwas Bedrückendes an sich.

Zur Umkehr werden wir ermahnt, zu Fasten und Bussübungen, zu Verzicht und zum Bekenntnis unserer Sündhaftigkeit und Schuld. Die Fastenzeit kann für viele von uns sehr belastend sein. —

Wenn wir die Fastenzeit, die vorösterliche Busszeit auf diese Weise erfahren, dann lohnt es sich, einmal genauer darüber nachzudenken, wie nach der Glaubensüberzeugung der Bibel Erlösung und Erbarmen tatsächlich zu verstehen sind.

Gemäss der Bibel ist es gerade nicht so, dass der Mensch seine Schuld bekennen, Busse tun und umkehren muss, um das Erbarmen Gottes zu finden. Es ist genau umgekehrt: Gemäss der Überzeugung der Heiligen Schrift ist es immer Gott, von dem alles Heil und alles Erbarmen erst ausgeht.

Der Mensch kann sich Gottes Erbarmen, Gottes Heil niemals erwerben oder erleisten; er kann es nur dankbar annehmen.

Wer meint, sich Gott durch Bussübungen und Fasten geneigt machen und ihn dadurch auf seine Seite bringen zu können, hat weit gefehlt: Gott steht immer schon auf unserer Seite. Das Einzige, dass wir tun können, ist, das mit dankbarem Herzen anzunehmen.

Deutlich sagt es uns die Lesung aus dem Epheserbrief: „Aus Gnade seid ihr gerettet, nicht aus eigener Kraft, nicht aufgrund eurer Werke. Gott hat es geschenkt.“ (2,8; gekürzt.)

Auch der heutige Abschnitt aus dem Johannesevangelium sagt in aller Klarheit: „Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, damit die Welt durch ihn gerettet wird.“ (3,17; gekürzt.)

Es ist nicht der Sinn der Fastenzeit, uns zu religiösen Leistungen anzutreiben, damit Gott uns wieder gnädig ist. Der Sinn der Fastenzeit ist vielmehr, zuzulassen, anzunehmen, dass uns in Jesus Christus Gottes Heil und sein Erbarmen zugesagt ist, und zwar endgültig, ohne Wenn und Aber. —

Gottes Heil, sein Erbarmen, mit einem alten Wort: seine „Gnade“, ist uns Menschen immer schon zugesagt, noch bevor wir darauf antworten können. Wir können sie nicht verdienen, sondern nur dankbar als sein Geschenk annehmen.

Eine alte Definition von Gnade besagt: „Gratia est quod gratis datur.“ Gnade, Gottes Heil und sein Erbarmen, wird uns gratis gegeben, kostenlos.

Die einzige Bemühung, die uns Menschen aufgegeben ist, ist wenn überhaupt, das zu lernen und es anzunehmen. Es gilt, uns mit uns selbst – und, was dasselbe ist – mit unseren Mitmenschen und mit Gott versöhnen zu lassen.

Versöhnung bedeutet: Annehmen lernen, dass wir Gottes geliebte Kinder sind – und zwar so, wie wir wirklich sind: mit unserer Lebensgeschichte, mit all unseren Charaktereigenschaften, mit unserer Not und Schuld.

Die Erlösung ist Gottes Werk, nicht Leistung des Menschen. Wenn wir Menschen uns die Erlösung, das Erbarmen Gottes verdienen, uns erleisten müssten, dann müssten wir tatsächlich verzweifeln. —

Falls Sie jetzt immer noch unsicher sind, ob es mit der Erlösung, mit dem Erbarmen Gottes wirklich so einfach ist, dann lohnt sich ein Vergleich mit einem anderen bedeutenden biblischen Glaubensgut: mit der Überzeugung, dass Gott die Welt erschaffen hat.

„Gott hat die Welt gratis erschaffen.“ So lautet der Titel eines Kinderaufsatzes: „Gott hat die Welt gratis erschaffen.“

Tatsächlich: Als Gott Himmel und Erde erschuf, da gab es keinen Pharisäer, der dabeistand und sich vor Gott rühmen konnte: „Ich faste [dann im Fall] zweimal die Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines Einkommens.“ (Lk 18,12.)

Es gibt also keinen Grund, weshalb irgendeiner von uns so herumlaufen müsste, als wäre er zehnmal besser als alle anderen zusammengenommen.

Der biblische Glaube an die Schöpfung zeigt: Gottes Erbarmen, seine Barmherzigkeit, ist nicht erst seine Antwort, seine Reaktion auf menschliche Schuld und Not, sondern sie steht schon ganz am Anfang. Sie ist der Grund für die Erschaffung der Welt.

Ein italienischer Priester und Psychologe drückt das wie folgt treffend aus: „Am Anfang war die Barmherzigkeit. Von ihr wurden wir erschaffen.“ (A. Cencini.) —

Es bleibt dabei: Wir können Gottes Erbarmen nicht verdienen, sondern nur dankbar annehmen.

Wie aber könnte das geschehen? Wie können wir lernen, Gottes Barmherzigkeit anzunehmen?

Im Grunde geht es dabei um eine dreifache Bewegung: sich selbst, die anderen und Gott annehmen lernen.

Jesus von Nazaret lehrt uns, dass die Liebe – vielleicht besser: der Respekt – gegenüber uns selbst, gegenüber den anderen und gegenüber Gott ein und dasselbe sind.

Jesus lehrt uns nicht nur das, sondern: Nach Jesus ist dieser dreifache Respekt die Erfüllung des ganzen Gesetzes. (Röm 13,10.) Mit anderen Worten: Allein darum geht es im Leben.

Jesus kennt viele interessante Weisungen, wie wir diesen Respekt lernen können, zum Beispiel: „richtet nicht“, „verurteilt nicht“, „erlasst einander die Schuld“. Kurz: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist.“ (Lk 6,37.36.)

Amen.

Servicenavigation