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In der Kolumne «Meine Benediktsregel» teilen verschiedene Autorinnen und Autoren, die mit unserem Kloster verbunden sind, in kurzen Texten ihre Gedanken darüber, wie sie die Benediktsregel als Inspiration für ihr Leben ausserhalb von Klostermauern zu nutzen versuchen.

Vom Erstürmen des Gipfels der Demut (Benediktsregel 7, 5-7)

«Brüder, wenn wir also den höchsten Gipfel der Demut erreichen und rasch zu jener Erhöhung im Himmel gelangen wollen, zu der wir durch die Demut in diesem Leben aufsteigen, dann ist durch Taten, die uns nach oben führen, jene Leiter zu errichten, die Jakob im Traum erschienen ist. Auf ihr sah er Engel herab- und hinaufsteigen.» (RB 7, 5-7)

Ich wollte den Zufall bestimmen lassen, zu welcher Stelle in der Benediktsregel ich meinen ersten Beitrag auf der Webseite des Klosters schreiben soll. Ich lasse die Seiten also durch meine Finger laufen und halte aufs Geratewohl irgendwo an. Da will ich die erste Regel am Anfang der Seite nehmen. So war meine ich mir selbst gestellte Regel. Ausgerechnet auf Seite 52 bleibt mein Finger stehen; die erste Anweisung auf der Seite ist alles andere als einfach. Statt einen anderen Satz zu wählen, mache ich mich, wie geheissen, demütig an meine mir selbst auferlegte Aufgabe. Damit die Aufgabe etwas verdaulicher wird, begnüge ich mich mit der ersten Zeile…

„Brüder, wenn wir den höchsten Gipfel der Demut erreichen…“

Wo bitte schön sind die Schwestern? Heute würde der Satz wohl korrekterweise mit „Geschwister beginnen müssen. Nun, ich habe keine leiblichen Brüder, so kann ich mich mit „neutralen“ Brüder auch abfinden. Mit Gipfel kenne ich mich ein wenig aus. In meiner nächsten Umgebung sind sie nicht viel höher als zweitausend Meter über Meer. Die meisten davon sind in gut zwei Stunden Fussmarsch zu erreichen, ab Ende der Strasse versteht sich. Die Mobilität – oder eher Bequemlichkeit?! – gehört schliesslich zum heutigen Zeitgeist. Die Gipfel sind aber schon seit Menschengedenken nur zu Fuss zu erreichen. Ein Fuss vor den anderen, einen Schritt nach dem anderen, im eigenen Tempo, zwei Stunden lang. Pausen sind erlaubt, zum Verschnaufen und Staunen. Mit jedem Schritt wird die Fernsicht etwas weiter und die Demut vor der Schöpfung etwas grösser.

Ist der Gipfel erreicht, dem Schöpfer gebührend gedankt, muss der Ort zwingend wieder verlassen werden. Niemand kann ewig auf dem Gipfel bleiben, nur schon wegen der Unbill der Natur. Genau da beginnt die Demut. Wir müssen wieder in die Niederungen, in das Tal wo wir hergekommen sind. Mit Dank und Demut im Herzen.

Zur Autorin: Marlies, Berglerin und Bloggerin, Jahrgang 1975, Mutter vier erwachsener Kinder und Oblatin des Klosters Einsiedeln

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