Die Weihnachtsgeschichte nach Johannes, liebe Schwestern und Brüder, ist nicht die von Hirten, Schafen und Krippe, von einem in Windeln gewickelten Jungen, Ochs und Esel. Die stammt von Lukas, weshalb dieser Evangelist als beigeselltes Symbol, als Attribut, auch den Stier hat. Nein, Johannes erzählt Weihnachten ganz anders. Er wird grundsätzlich und schwingt sich in luftige Höhen hinauf, seinem Attribut gleich, dem Adler. Denn er begnügt sich nicht damit, lediglich die Menschwerdung Jesu zu erzählen. Es geht ihm um nichts weniger als das Werden von allem, des Universums, der Welt – und damit auch von uns selbst. Die johanneische Geschichte der Menschwerdung Gottes ist die Geschichte unserer eigenen Menschwerdung. Und er erzählt sie als eine Geschichte der paradoxen Gegensätze. Hören wir dafür nochmals in den Text: «Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.» Was liegt unserer Erfahrung ferner als die Vorstellung, dass nicht die kleinste Flamme die tiefste Dunkelheit zerschlagen könnte? Der Gedanke, dass dies nicht möglich sein soll, ist im Prinzip genauso absurd wie die Vorstellung, dass Gott Mensch wird – dass sich der Allmächtige, Grenzenlose und Ewige selbst beschränkt, indem er Teil seiner eigenen von ihm geschaffenen, begrenzten, sterblichen Schöpfung wird.
Und er fügt dieser Reihe der Paradoxien noch eine weitere dazu: Der Mensch ist überhaupt nicht Mensch – bis er an Christus lernt, was es heisst, Mensch zu sein. «Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden»: Allen, die ihn aufnahmen, die ihn also nicht an der Tür abwimmelten mit dem Hinweis, dass drinnen, im Herzen, kein Platz mehr für ihn sei, die ihn bei sich Wohnung nehmen liesen, die sich von ihm erfüllen, prägen, ja verändern liessen – sie wurden die, als die sie von Anfang an gedacht waren, nämlich Kinder Gottes und damit Erben Gottes, die als solche Anteil erhalten an der göttlichen Natur Christi. Der Mensch wird erst Mensch, wenn er Jesu Beispiel folgt und dadurch die Idee Gottes vom Menschen durch sein eigenes Leben wahrmacht. Der Mensch wird erst dann wirklich Mensch, wenn er den, der unerkannt mitten unter uns lebt, erkennt – im Gemobbten, dem Ausgeschlossenen, mit dem auch ich nichts zu tun haben möchte, um nicht selbst unbeliebt zu werden; wenn wir ihn in dem erkennen, der unsere Hilfe braucht, selbst dann, wenn wir meinen, wir hätten nun wirklich keine Zeit dafür; wenn wir Christi Antlitz in dem sehen, der mich kritisiert, der mich aufregt und dazu herausfordert, die Dinge auch mal aus einer anderen Perspektive zu sehen als ich es bis anhin getan habe; wenn ich nicht stur dem Buchstaben des Gesetzes anhange; kurzum: Wenn ich beginne zu lieben. Das Ja zu Gott ist das Ja zu unserer Berufung. Das Ja zu Christus ist die Verwirklichung unserer Berufung, wirklich Mensch zu sein, Zeugnis für das Licht abzulegen, ja selbst Licht für die Welt zu sein.
Weihnachten ist die Geschichte unserer Menschwerdung. Es ist die Geschichte, die erzählt, wie wir Menschen erst wirklich Menschen werden. Es ist die Geschichte, die uns zuruft: Mensch, werde Mensch! Amen.