Evangeliumsabschnitt: Joh 6,41-51
Liebe Brüder und Schwestern
Der Abschnitt aus dem Johannesevangelium, den wir soeben gehört haben, stammt aus dessen 6. Kapitel, aus der sogenannten Brotrede. Zeitlich wird sie in die Nähe des jüdischen Paschafestes verlegt und beginnt recht harmlos, wenn auch denkwürdig: mit der wunderbaren Speisung der Fünftausend aus ursprünglich nur fünf Gerstenbroten und zwei Fischen, über die Jesus das Dankgebet spricht und sie danach austeilt. Eine ähnliche Erzählung ist jene vom Weinwunder in Kana: Der Hochzeitswein ist ausgegangen (Joh 2, 1-12); durch das Eingreifen Jesu werden die mit Wasser gefüllten Krüge zu köstlichem Wein in Überfülle. Brot, Wasser und Wein – es sind Zeichen für das, was Jesus uns und der Welt schenken will, für das Heil an Leib und Seele.
Die Fortsetzung der Brotrede mündet allerdings in ein steiles Crescendo, welches zu einer Spaltung der Jünger führt. Worin besteht deren Ursache? Sie besteht im Selbstverständnis Jesu. Die diesbezügliche Erklärung umfasst mehrere Stationen. Hier seien nur die wichtigsten als Zusammenhang erwähnt. Jesus, der Brotvermehrer, beeindruckt die Menschen, was ihm den Ruf eines Propheten einbringt. Er entgegnet den Begeisterten: Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird. Sogleich bitten ihn die Menschen: Herr, gib uns immer dieses Brot. Daraufhin beginnt nun aber eine befremdliche Rede: Ich bin das Brot des Lebens. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt. Wenn ihr das Fleisch des Menschensohns nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tag. Eingebettet sind diese Stationen in eine Unterweisung über den Glauben; mit jeder Stufe der Selbstoffenbarung wird er auf eine neue Probe gestellt und führt schliesslich zu einer Scheidung von jenen, die nicht glauben und gehen, und von jenen, die glauben und bleiben.
Die Brotrede entfaltet grundsätzlich ein Anliegen, das Johannes besonders lieb ist: das Einssein mit Jesus. Eine andere Stelle, welche das gleiche Thema behandelt, finden wir im 5. Vers des 15. Kapitel seines Evangeliums: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.
Doch geht die Brotrede mehr ins Konkrete als das Gleichnis vom Rebstock und den Zweigen, darüber hinaus berührt sie auf den ersten Blick geradezu den Bereich des Anstössigen. Sie schliesst offensichtlich ein nur bildhaftes Verständnis dieses Einsseins aus. Sie schliesst aber mit Sicherheit auch ein krudes, ja kannibalisches Verständnis des Fleischessens und des Bluttrinkens des Menschensohnes aus. Warum? Das Johannesevangelium ist das jüngste der vier Evangelien und wurde etwa um 100 nach Christus verfasst. Die Johannesgemeinde feierte mit Sicherheit die sonntägliche Eucharistie. So legt es sich nahe, die Brotrede auch in diesen Interpretationszusammenhang zu stellen. Johannes verzichtet, wohl zugunsten der Brotrede, auf die Erzählung vom Abendmahl vor dem Karfreitag, welches er möglicherweise als nicht sehr geeignet erachtet, um das Wesen der Eucharistiefeier ausreichend zu verdeutlichen. Die Eucharistie kann nicht nur rein symbolisch, aber auch nicht vordergründig realistisch verstanden werden. Sie ist ein sakramentales Geschehen, das in einem durch bestimmte Worte gedeuteten Zeichen wirksam das enthält und vermittelt, was bezeichnet wird: die Gnade des Einsseins mit Jesus Christus, mit Gott. Die Rede vom Essen des Fleisches und Trinken des Blutes des Menschensohns lehnt sich unmissverständlich an die alttestamentliche Opferpraxis an, die im einzigen und definitiven Opfer Jesu Christi am Kreuz abgelöst wird. Er ist das neue Paschalamm, das vom Todesengel verschont und sowohl hienieden als auch herüben ins Leben führt. Der Hebräerbrief vertieft die Beziehung zwischen der alttestamentlichen Opferpraxis und dem Christusereignis in besonderer Weise, aber auch die Paulusbriefe greifen das Thema immer wieder und nachdrücklich auf.
Wir dürfen mit Jesus Christus in der Kommunion, im Opfermahl, sakramental eins werden. Dieses Einssein ist kein Luxus, sondern nach der Heiligen Schrift und der Tradition der Kirche lebensnotwendig.
Jesus will aber auch, umgekehrt, mit uns eins sein; er sucht uns: mitten in unserer körperlichen Bedürftigkeit, welche die Fünftausend belastet hat, mitten in unserer Erschöpfung und Lebensmüdigkeit, welche Elija niedergeschlagen hat und mitten in unserem Ringen um den Glauben und mit ihm. Wir dürfen Jesus all unsere Dimensionen öffnen: Leib, Seele und Geist, damit er dort jenes Heil wirken kann, das in seiner liebenden und befreienden Gegenwart besteht. Die Idee des Christkönigs könnte hier eine neue Aktualität gewinnen. Sie gibt Jesus Christus nicht nur als einender und ordnender Mitte der Gesellschaft Raum, sondern als heilendem und haltendem Bindeglied aller Dimensionen und Aspekte, welche unsere individuelle Person ausmachen. Nichts braucht verborgen, nichts abgespaltet zu werden. Wo er gegenwärtig ist, leuchten als – wenn auch manchmal schwache – Hoffnung Frieden und Zuversicht auf.