Liebe Mitchristen!
Darf ich Sie etwas fragen: Sterben Sie gerne? Was soll das? Werden Sie sagen: heute ist doch Ostermontag. Da redet man doch nicht vom Sterben. Doch, gerade deswegen wiederhole ich die Frage: Sterben Sie gerne? Die gleiche Frage stellte einst die 6-jährige Tochter Ursel ihrem Vater, dem berühmten Schweizer Autor Max Frisch. In seinem Tagebuch beschreibt er die Szene. Auf die ungewohnte Frage seiner Tochter habe er gesagt: Alle Leute müssen sterben. Aber gern stirbt niemand. Seine Tochter besinnt sich und sagt dann: Ich sterbe gerne! Der erstaunte Vater weiter: Du stirbst gerne? Jetzt? Wirklich? Jetzt nicht, nein, jetzt nicht. Aber später, später sterbe ich gerne, sagte Ursel mit stiller Lust.
Es ist sehr ungewöhnlich, was die 6-jährige Ursel da sagt. Später sterbe ich gerne. Gerne Sterben. Wer stirbt schon gern? Und doch, eigentlich möchte ich Ursel zustimmen. Die Angst vor dem Tod ist belastend. Ich wäre gerne gelassener. Aber ist das überhaupt realistisch? Wie soll man diese Angst bewältigen? Ursel ist noch jung und unerfahren. Sie ist vom Leben noch nicht enttäuscht. Sie ist noch nicht geplagt von der Angst, alt zu werden. Da weiss es Ursels Vater schon besser: Keiner stirbt gern. Der Tod macht uns allen Angst. Wir fürchten ihn. Und doch ist Eines ganz gewiss: Eines Tages stirbst auch Du. Deinem eigenen Tod kannst Du nicht entrinnen.
Genau das hat der Lieblingsdiener des Sultans von Marokko versucht. Er bat seinen Herrn um sein schnellstes Pferd im Stall, denn er müsse sofort in das weit entfernte Basra fliehen. Draussen im Park sei er vorhin dem Tod begegnet, der seine Hände nach ihm ausgestreckt habe. Der Sultan gab sein schnellstes Pferd und der Diener sprengte davon. Dann begab sich der Sultan in den Park, traf den Tod und fauchte ihn an: Was fällt dir ein, meinen Diener zu bedrohen? Der Tod antwortete ganz ruhig: Ich habe ihn nicht bedroht. Ich war nur erstaunt, ihn noch hier zu sehen. Denn ich bin in 5 Stunden mit ihm verabredet, - in Basra, auf dem Markt.
Wenn wir ehrlich sind, leben wir so, als ob uns der Tod nicht einholen könnte. Wir halten uns Sterben und Tod möglichst vom Leibe. Heute sterben die meisten Menschen im Krankenhaus, oft unbemerkt und einsam. Und wenn sie gestorben sind, werden sie möglichst unauffällig abtransportiert. Damit keiner es mitbekommt. Mit Rücksicht auf die anderen Kranken. Die alten Menschen, die uns an unsere Vergänglichkeit erinnern könnten, stecken wir in Altersheime, möglichst weit weg. Sie sind uns im Weg. In Klammer: Im Kloster sind wir diesbezüglich ohne Zweifel im Vorteil. Klammer geschlossen. Wenn wir ehrlich sind, laufen wir dem Tod davon. Wir laufen in die falsche Richtung, wie die beiden Emmaus Jünger.
Liebe Mitchristen!
Könnte es nicht sein, dass unser Glaube an die Auferstehung zu schwach ist? Liegt nicht hier der wahre Grund, warum wir nicht gerne sterben? In der Karwoche habe ich in einer Zeitung etwas gelesen, das mich sehr betroffen gemacht hat. Es hat dort geheissen: Von 5 getauften Christen in unserem Lande glaubt heute nur noch einer an die Auferstehung Jesu und an ein Leben nach dem Tod. Laut Bundesamt für Statistik sind heute in der Schweiz nur noch knapp 43 Prozent reformiert oder katholisch. 45 Prozent sind konfessionslos. Auch wenn es Sie und mich nicht betrifft – es sind auf jeden Fall bedenkliche Zahlen! Heute, am Ostermontag, hier in unserem Gottesdienst, können wir unseren Glauben an die Auferstehung neu entzünden, damit er uns trägt, damit wir lernen, gerne zu sterben. In der Lesung haben wir die Pfingstpredigt des heiligen Paulus gehört. „Diesen Jesus hat Gott von den Wehen des Todes befreit und auferweckt. Dafür sind wir alle Zeugen.“ Und er zitiert aus Psalm 16: „Du gibst mich nicht der Unterwelt preis noch lässt du deinen Frommen die Verwesung schauen.“ Dass es eine Auferstehung der Toten gibt, ist bereits in den uralten Psalmen des Alten Bundes vorausgesagt. Dann im Evangelium die wunderbare Geschichte von den beiden Emmaus Jüngern. Heute erkenne ich in den beiden Männern mich selber und unsere ganze Gesellschaft, die Angst hat vor dem Tod. Die nicht mehr an die Auferstehung glaubt. Aber dann halten sie Mahl mit dem auferstandenen Herrn und sie erkennen ihn. Ist das nicht genau das, was wir jetzt hier in diesem Gottesdienst erleben dürfen? Jesus hält mit uns Mahl und nimmt uns die Angst vor dem Sterben. Wir dürfen erfahren: Der Herr ist wahrhaft auferstanden. Er lebt. Er hat uns das Tor zum Himmel aufgetan. Am Schluss heisst es: „Noch in der selben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück“. In die andere Richtung. Die Emmaus Jünger kehrten um. Das müssten auch wir und unsere Zeitgenossen. Wir sollten angesichts so vieler Zeugen endlich begreifen, dass seit Ostern auch unser Tod seine Schrecken verloren hat. Wir dürfen ihm seit Ostern gelassen ins Auge schauen. Wir müssen ihm seit Ostern nicht mehr davon laufen. Wir dürfen seit Ostern glauben, dass wir in unserem Tod Gott begegnen und in seine Liebe eingehen. Gott lässt uns nicht im Reich des Todes liegen. Das ist die Botschaft an die beiden Emmaus Jünger – und das ist die Botschaft an uns – heute am Ostermontag.
Vielleicht hat die Ursel, das 6-jährige Töchterlein von Max Frisch, doch recht. Kinder haben doch sehr oft einen viel direkteren Draht zum Wesentlichen als wir Erwachsene. Nehmen wir diese Kinderstimme mit in die angebrochene Osterzeit hinein und versuchen wir, sie zu unserer eigenen zu machen. „ Gerne Sterben? Jetzt nicht, nein, jetzt nicht. Aber später, später sterbe ich gerne.“
Amen.