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Predigt von P. Lukas Helg am 29. Sonntag im Jahreskreis 2024

Wäre das eine Schlagzeile für den Blick: „Machtgerangel bereits in Jesu Umfeld“! Da kommen zwei Jünger zu Jesus – und nicht irgendwelche, sondern zwei aus der Gruppe der Erstberufenen, zwei, die schon am längsten, seit bald drei Jahren, mit Jesus zusammen sind und eigentlich wissen müssten, wie Jesus tickt. „Wir wollen, dass du für uns tust, worum wir auch immer bitten“ so reden sie  Jesus an, wenn man den griechischen Text wörtlich übersetzt. „Wir wollen“. Und was wollen sie? „Gib uns die Ehrenplätze links und rechts von dir in deinem Reich“. Gib uns!

Ich frage Sie, liebe Mitchristen, was ist das für eine Art des Bittens? Machen Sie es auch so, wenn Sie im stillen Kämmerlein mit Jesus sprechen und ihm eine Bitte vortragen? Sagen Sie auch: „Ich will! Hopp! Gib mir das und das?“ Nein, so spricht man nicht mit Gott!

Jakobus und Johannes haben sich mit dieser Bitte disqualifiziert. Zu Recht ärgern sich die 10 anderen Jünger. Vielleicht schämen sie sich für die Beiden. Vielleicht beneiden sie sie aber auch heimlich; denn auch sie träumen vermutlich von Karriere und haben es bisher einfach nicht geschafft, ihren Chef betreffs Aufstiegsmöglichkeiten zu kontaktieren. Es hat sich bisher eben nie ergeben.

Liebe Mitchristen! Wissen Sie, was eine Synopse ist?  - Bestimmt hat es Einige unter Ihnen, die das wissen. Meine Mitbrüder wissen es ganz sicher. Das Wort Synopse stammt aus dem Griechischen und heisst Zusammenschau. Die 3 Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas sind eng miteinander verwandt. In Wortwahl und Aufbau des Stoffes stimmen sie weitgehend überein. Darum kann man die Texte spaltenweise nebeneinanderstellen, um sie miteinander zu vergleichen.

Übereinstimmungen und Unterschiede lassen sich so bequem feststellen. Eine solche parallele Zusammenstellung der Texte nennt man Synopse. Die 3 ersten Evangelien heissen darum die Synoptiker, ihre Schriften die synoptischen Evangelien. Die erste Synopse wurde genau vor 250 Jahren, im Jahre 1774, von dem protestantischen Theologen Johann Jakob Griesbach im deutschen Halle herausgegeben.

Warum erzähle ich Ihnen das Alles? Sollten Sie sich eine Synopse anschaffen? Nicht unbedingt! Wenn Sie etwas versiert sind, können Sie sich das Gewünschte auch aus dem Internet herunterholen. Wenn Sie eine Synopse unter dem Thema „Die Bitte der Zebedäussöhne“ aufschlagen, dann finden Sie in drei Spalten 3 Texte nebeneinander. In der Mitte den Markustext, den wir heute als Evangelium gehört haben, links den Matthäustext und rechts denjenigen von Lukas. Höchst spannend, was bei diesem Vergleich herauskommt. 

Wir haben es vorhin gehört: nach Markus prallen Jakobus und Johannes mit der unverschämten Bitte vor. Bei Matthäus ist es ihre Mutter, die sich für ihre Söhne die Ehrenplätze sichern will. Und meinem heiligen Namenspatron, dem ist die ganze Geschichte derart peinlich, dass er sie stillschweigend übergeht.

Als der Evangelist Matthäus sein Evangelium schreibt, sind etwa 20 Jahre vergangen seit der Niederschrift des Markusevangeliums. In diesen 20 Jahren sind Jakobus und Johannes in der urchristlichen Gemeinde immer mehr geehrt und sicher auch verehrt worden. Langsam wurde es peinlich, diese Szene aus dem Markusevangelium vorzulesen. Die beiden grossen Apostel, die Säulen der Kirche, die sollen -  wie andere Männer auch - kleinlich auf Posten, Anerkennung, auf Karriere und Ehrenplätze geschielt haben? Das darf doch nicht wahr sein! Was macht Matthäus? An der Aussage verändert er grundsätzlich nichts. Er nimmt lediglich die beiden Apostel aus der Schusslinie, indem er ihre Mutter diese peinliche Frage stellen lässt. Ich höre schon von Ferne unsere radikalen Feministinnen kreischen. Typisch Männerkirche! Matthäus kaschiert den dunklen Fleck am Kleid der grossen Zebedäussöhne. 

In Klammer: Dass er die Mutter vorschiebt, entspricht mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht der Wahrheit. Jakobus und Johannes haben selber die Bitte an Jesus gerichtet, so wie es Markus erzählt. Das weiss Matthäus auch. Klammer geschlossen! Wenn aber eine Mutter sich für ihre Söhne ins Zeug legt, ist das weniger schlimm, mindestens verständlicher, so mag Matthäus denken. Sehr oft sind es doch gerade die Mütter und Väter, die um die Karriere ihrer Kinder besorgt sind. Sie sollen es einmal zu etwas bringen. Und wenn sie es zu etwas gebracht haben, ist dies die schönste Bestätigung für eine gelungene Erziehung. Ich weiss nicht, was ich davon halten soll, wenn Lukas die peinliche Frage stillschweigend übergeht. Auf der einen Seite nimmt er die Apostel noch stärker in Schutz als Matthäus. Auf der anderen Seite verschweigt er etwas, was es tatsächlich gegeben hat – Machtgerangel bereits in Jesu Umfeld! 

Drei Frauen wollten an einem Brunnen Wasser holen. Nicht weit entfernt davon sass ein weiser alter Mann auf einer Bank und hörte zu, wie die Frauen ihre Söhne lobten. „Mein Sohn ist ein toller Sportler. Er wird bestimmt einmal Olympiasieger oder Weltmeister“ – sagte die Erste. Und die Zweite: „Mein Sohn hat eine Stimme wie Enrico Caruso. Er wird eine ähnlich grosse Karriere hinlegen“. Die Dritte schwieg zuerst und sagte dann: „Ich wüsste nicht, womit ich meinen Sohn loben könnte. Er ist kein guter Sportler, kann nicht singen und hat nichts Besonderes an sich. Ich hoffe, dass er trotzdem im Leben einmal seinen Mann stehen wird“. Die Frauen füllten ihre Eimer und machten sich auf den Heimweg. Der weise alte Mann ging langsam hinter ihnen her und sah, wie hart es sie ankam, die Eimer zu tragen. Sie mussten ihre Last immer wieder auf den Boden stellen, um ein wenig zu verschnaufen. Da kamen ihnen die drei Söhne entgegen. Der erste schlug dreimal das Rad vor ihnen, sodass die Frauen applaudierten. Der Zweite stimmte eine herzergreifende Romanze an, die den Frauen die Tränen in die Augen trieb. Der Dritte lief zu seiner Mutter, ergriff wortlos ihre beiden Eimer und trug sie nach Hause. Da wandten sich die drei Frauen an den weisen alten Mann: „Was meinst du zu unseren Söhnen?“ „Zu euren Söhnen?“ fragte der weise alte Mann verwundert zurück. „Zu euren Söhnen?“ „Ich sehe nur einen einzigen Sohn.“

Vor dem Urteil des weisen alten Mannes kann nur einer der Söhne bestehen. Nur einer hat sich wirklich als Sohn erwiesen. Plötzlich ist deutlich geworden, worauf es wirklich ankommt, nämlich auf das Dienen.

Liebe Mitchristen! Wie reagiert Jesus auf diese oberpeinliche Bitte der Zebedäussöhne? Er stellt sich weder auf die Seite der beiden Bittsteller noch auf die Seite der anderen 10. Er ist einfach traurig. Traurig darüber, dass sich zwei seiner engsten Vertrauten um Posten, um Karriere und um Machtpositionen schlagen. Traurig darüber, wie eifersüchtig und neidisch die anderen 10 auf das Ansinnen der Zebedäussöhne reagieren. Traurig darüber, dass eigentlich keiner seiner Jünger begriffen hat, worum es ihm ging. 

„Ihr wisst nicht, worum ihr bittet“ – dieser Ausruf Jesu sagt eigentlich schon alles! Es geht ihm um das Dienen. Wer um die besten Plätze kämpft, so sagt er, der passt zu den Herrschern, die ihre Völker unterdrücken und zu den Höhergestellten, die ihre Macht missbrauchen. Was wundern wir uns eigentlich noch über Machtmissbrauch in unserer Gesellschaft und in unserer katholischen Kirche (in der Reformierten übrigens auch), wenn es Machtgerangel bereits in Jesu Umfeld hat. Heiner Wilmer, der Bischof von Hildesheim, hat vor einer Woche hier mit uns das Konventamt gefeiert und gepredigt. Er hat einmal gesagt: „Der Machtmissbrauch gehört zur DNA der Kirche“. Ja, der Blick hätte recht mit seiner Schlagzeile: „Machtgerangel bereits in Jesu Umfeld“! Traurig – aber wahr!
 

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