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Predigt von P. Jean-Sébastien Charrière am Bettag 2024

Liebe Schwestern und Brüder

Das wissen wir doch alle: Zuviel überfordert uns, und weniger ist oft mehr!

Mit vollen Händen sind wir nicht mehr fähig, Neues aufzunehmen; und mit vollem Magen haben wir keinen Hunger mehr. Wenn wir von Gedanken, Erinnerungen, Plänen oder Sorgen erfüllt sind, haben wir grosse Schwierigkeiten, neue Informationen wirklich aufzunehmen.

Sicher ist es kein Zufall, dass Jesus seine Bergpredigt mit dem Satz beginnt: «Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes» (Lk. 6,20 / Matt. 5,3). Ja, der Mensch ist selig und darf sich freuen, nicht weil er arm ist, sondern weil seine Armut ihn fähig macht, die Gabe Gottes zu empfangen. Auch wenn sie unangenehm ist, die Erfahrung des Mangels – natürlich ist hier nicht das Lebensbedrohliche gedacht – kann sie heilsam sein und bildet einen wichtigen Motor des Lebens.

Wenn wir aus verschiedenen Gründen beherrscht werden von der Angst «zu kurz zu kommen» oder an etwas Mangel zu leiden, werden wir wahrscheinlich endlos versuchen zu sammeln und zu besitzen. In diesem Fall werden sogar die Schlichtheit und das Loslassen, die Stille und das Nichtstun als bedrohlich wahrgenommen, denn sie schaffen Raum, in dem unsere Ängste sich manifestieren können. Und statt sie anzuschauen und zu verarbeiten, werden wir dann oft wiederum fliehen in die verschiedensten Arten der Kompensierung durch Aktivismus und Konsum.

Erfahrungsgemäss sind in unserem Land viel mehr Beschwerden und Krankheiten auf das Übermass als auf den Mangel zurückzuführen. Dieser Überfluss äussert sich nicht nur im Essen, sondern auch im Einkauf unnötiger Dinge, die uns zuletzt selbst besitzen und versklaven. Auch die Menge an Meldungen, Informationen, vermengt mit unseren vielen eigenen Gedanken, können uns geistig überfüttern. Unser Gehirn, ebenso wie unser Magen, kann vor lauter Informationsüberfluss Verstimmung erleiden. Es kann nicht mehr alles verarbeiten.

Das Problem der Angst und der Masslosigkeit können sich aber auch im geistlichen Leben abspielen. Auch hier können wir durch ungesunde Frömmigkeit dem Alltag und der Realität entfliehen. Das spirituelle Leben besteht aber nicht erst darin, dass wir neue Kenntnisse und Techniken erlangen, oder dass wir ein Pensum an Gebet und Ritualen erfüllen, sondern darin, dass wir uns von dem, was uns belastet und verblendet, trennen, damit wir die Wahrheit, die schon da ist, wieder sehen – dass wir die Gegenwart Gottes erkennen und sie in und durch uns wirken lassen. Spiritualität sollte uns helfen, schlichter und einfacher zu werden. Unser alltägliches Tun und Lassen sollte die Frohe Botschaft wortlos inkarnieren. «Der Glaube für sich allein ist tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat», haben wir in der ersten Lesung gehört.

Der heutige Dank-, Buss- und Bettag, der 1832 für den eidgenössischen Staaten-Bund eingeführt wurde, lädt uns ein, mindestens an diesem Tag, eine Pause zu machen. Er lädt uns auf Bundesebene ein, sich erneut und bewusster auf das Wesentliche zu konzentrieren und auch die Ruhe, die Stille, das Gebet zu pflegen. Es ist interessant zu bemerken, dass die Bezeichnung «Dank-, Buss- und Bettag» mit dem Wort «Dank» beginnt. Es geht heute um Dankbarkeit. Dieser Tag sollte uns helfen erneut wahr zu nehmen, was uns jeden Tag geschenkt wird.

Haben wir heute schon all das bemerkt, was wir seit unserem Aufstehen empfangen haben? Sind wir dafür dankbar? Oder konzentrieren wir uns auf das, was uns noch fehlt?

Natürlich sehnen wir uns alle nach Glück. Aber wie Francis Bacon sagte: «Nicht die Glücklichen sind dankbar, sondern die Dankbaren sind glücklich».

Eine Pause zu machen, in die Stille einzutauchen, kann uns helfen klarer zu sehen und einen Blick für das wunderschöne Unscheinbare zu gewinnen. Eine Pause oder die Verlangsamung, können uns helfen das, was wir in unserem alltäglichen Rennen übersehen, wahrzunehmen: das kleine und wertvolle Detail. Eine Pause kann uns aber auch helfen, die Not unserer Nächsten wahrzunehmen und mit ihnen unseren Überfluss zu teilen.

Liebe Schwestern und Brüder

Die heilenden Wirkungen des Verzichts, der Ruhe, der Stille und des Gebetes werden oft unterschätzt. Sie können uns aber helfen zu sehen, wie wir oft reicher sind, als was wir glauben, nach der Moto des griechischen Philosophen Epikur von Samos (341 - 271 v. Chr.): «Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiss». Und wenn wir, wie Teresa von Avila, die Allgegenwart Gottes um uns herum, in uns und in unserem Nächsten erkennen werden, werden wir auch mit ihr voll Vertrauen bekennen können: «Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige, und wer Gott hat, der hat alles. Gott allein genügt». AMEN.
 

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