Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, vielleicht ist es ein Denkanstoss für Sie, wenn ich Ihnen sage, dass das heutige Evangelium in den letzten 50 Jahren seinen Namen gewechselt hat. Es heisst nicht mehr wie früher Gleichnis vom Verlorenen Sohn, sondern Gleichnis vom Barmherzigen Vater. Bedenken Sie bitte: der erste Sohn, er tat eigentlich nichts Rechtswidriges, er wollte von seinem Vater nur das Erbgeld, das ihm als dem Zweitgeborenen sowieso zu stand, und er wollte damit ein angenehmes Leben in der Ferne führen. Er schadete mit seinem verschwenderischen Lebenswandel niemandem – höchstens sich selbst. Und dass eine Hungersnot in’s fremde Land kam – das war ja wirklich nicht die Schuld des Sohnes. Was diesen Sohn nun zum «Verlorenen Sohn» macht, das ist sein Wille nach Ungebundenheit und sein Drang nach Leben – oder besser gesagt: nach zügellosem Ausleben. Das heutige Evangelium gibt uns eine deutliche Antwort darauf, wohin solch ein Lebenswandel führen kann, er kann bei den Schweinen enden, d.h. in der totalen Isolation von der Umwelt. Der Mensch kann zum Tier werden, wenn er glaubt, nicht auf andere angewiesen zu sein.
Aber ganz so weit kommt es – Dank sei Gott – in unserem Gleichnis nicht. Denn der «Verlorene» Sohn – er tut im letzten entscheidenden Moment etwas geradezu Übermenschliches. Am tiefsten Punkt seiner Erniedrigung geht er in sich – er wird bereit umzukehren und sein Leben zu ändern: er will lieber wieder ein treuer Knecht werden als ein Sohn dieser Welt bleiben. Er sieht sein Unrecht ein – und wird von seinem Barmherzigen Vater wieder als Sohn angenommen.
Meine Lieben, es scheint so, als müssten wir Menschen erst immer ganz tief im Dreck stecken, damit wir empfänglich werden dafür, dass unser himmlischer Vater es gut mit uns meint? Vielleicht lässt er uns manchmal auch extra so tief sinken, damit wir für seine Rettung überhaupt erst empfänglich werden? Jesus Christus, der Sohn Gottes – der sich selbst erniedrigte, sagt ja selbst: ich bin gekommen, um zu retten und zwar, was verloren ist. Nun sieht es jetzt so aus, als wollte ich Ihnen auf recht leichtfertige Weise sagen, dass Gott menschliche Not will, um uns zur Einsicht und zur Umkehr zu bewegen.
Vielleicht kann Ihnen dazu folgender Bericht aus einem Zeitungsartikel aus den 80er Jahren erklären, wie und warum Gott uns manchmal durch tiefe Not hindurch zur Einsicht und zur Rettung führt. Da wird berichtet: an einer gefährlichen Stelle am Meeresstrand von Kalifornien, wo schon viele Menschen ertrunken sind; da sah ein grosser und starker Mann nach dem Rechten, genannt der Grosse Riese, immerhin 2,16 m gross. Er tat seinen Dienst als Rettungsschwimmer, um Ertrinkenden in Seenot zu helfen. Und eines Tages hörte man plötzlich Hilferufe. Draussen auf dem Meer, inmitten der schäumenden Wellen, sah man einen Mann, der verzweifelt um sein Leben kämpfte. Er verschwand in den Wellen, dann tauchte er wieder auf. So ging das eine Weile. Der Ertrinkende bewegte dabei wie wild seine Arme. – Der Grosse Riese stand unterdessen regungslos am Ufer und sah gespannt auf das Meer hinaus. Warum springt er denn nicht hinein und rettet den Ertrinkenden, fragten sich entsetzt die Leute. die dabeistanden. Und auf einmal sah man den Ertrinkenden völlig erschöpft auf dem Meer dahin schwimmen – er hatte aufgehört, gegen das Meer zu kämpfen. Sofort sprang der Grosse Riese in die Wellen und brachte den Ertrinkenden an Land, in Sicherheit. Er wusste nämlich, wie man Ertrinkende rettet: sie müssen erst aufgehört haben mit dem Versuch, sich selbst retten zu wollen.
So wartet auch Gott auf uns, bis wir unsere manchmaligen Selbstrettungsversuche aufgeben und uns von ihm retten lassen wollen; und es kann ja manchmal sehr lange dauern bis wir umkehren!
Meine Lieben, als Verlorene Söhne und Töchter hat Gott der Barmherzige Vater uns heute zu dieser Eucharistiefeier eingeladen und empfangen; beten wir darum, dass es ein freudiges Fest werde, in dem die Feier über unsere Umkehr im Mittelpunkt steht.
Amen.