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Predigt von P. Cyrill Bürgi am 6. Sonntag der Osterzeit 2024

Ich hoffe, dass es Ihnen so ergeht wie mir: Ich kann mir kein schöneres Bild von Gott vorstellen, als jenes, das uns in unserem Glauben gegeben ist: Gott ist Liebe, bedingungslose, sich selbst verschenkende, überfliessende. Seine Liebe äussert sich in der Vielfalt und Schönheit der Natur. Ja, er selbst wird Teil dieser Schöpfung, damit wir werden können wie er: Liebe, die das Glück das anderen will, die sich selbst verändern lässt, um den anderen zu gewinnen. Gott liebt mich, will mich als sein Gegenüber. Er nennt mich seinen Freund und er schenkt mir die Freiheit, zu werden wie er – ohne Druck und ohne Zwang.

Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen und doch… renne ich oft von diesem Gott davon. Was ist da in mich gefahren?

Machen Sie nicht alle solche Erfahrungen?

Wir alle lechzen nach wirklicher Liebe und doch… rennen wir von DER Liebe davon. Wir suchen das Glück und rennen unseren Wünschen nach und doch… finden wir nicht zu Dem, der sagt: «Der Vater wird euch alles geben, was ihr in meinem Namen bittet» (Joh 15,16).   
Wenn ich meine Jugendlichen in der Schule frage, was für sie das Wichtigste und Wertvollste ist, dann antworten sie «Familie und Freunde», und doch… finden viele nicht zu Jenem, der unser wahrer Freund ist.   
Wir streben nach Anerkennung und Wertschätzung, aber Demjenigen, der uns erwählt hat, vertrauen wir nicht.
Wir möchten etwas erreichen, Spuren hinterlassen und Grosses aufbauen, doch… Jenem, der uns dazu bestimmt hat, dass wir reiche Frucht bringen und dass unsere Frucht bleibt, glauben wir nicht.     
Wir sehnen uns nach Freiheit und doch… unterjochen wir uns der Knechtschaft des wirtschaftlichen Wachstums und der Maxi­mie­rung der Rendite.

Irgendetwas machen wir wohl nicht richtig?

Eigentlich schenkt uns unser Glaube eine grosse Freiheit. Diese geht so weit, dass der heilige Augustinus im 4. Jahrhun­dert sagen konnte: «Liebe, und tue, was du willst.»

Natürlich spricht er nicht von einer egoistischen oder selbstbe­zo­ge­nen Liebe – falls wir diese noch Liebe nennen dürfen –, son­dern er spricht von einer Liebe, die auf Gott und den Nächs­ten aus­gerichtet ist. Diese Liebe übersteigt die Emotion und transformiert diese in eine aktive Haltung des Herzens, des Respekts und der Achtung mir und den anderen Gegenüber. Wenn wir Gott und unseren Nächsten lieben, werden unsere Entscheidungen von dieser Haltung geprägt. «Liebe, und tue, was du willst», meint also nicht einen Freibrief, alles zu tun, was uns in den Sinn kommt, sondern gibt unserem Willen eine Richtung, einen Einklang mit der Liebe. Es ist eine Aufforderung zur Verantwortung, zur Wert­schät­zung und zur bewuss­ten Aus­richtung unserer Herzen auf das Gute und Liebevolle in aller Freiheit.

Vielleicht müssen wir gerade Nägel mit Köpfen machen. Kennen Sie Ihren Banknachbarn – nebenan, vorne oder hinten? Haben Sie ihn schon beachtet, wahrgenommen und in die Augen geschaut? Wenn ja, umso besser! Jesus sagt uns heute dreimal: «Liebt einander!» Nehmen wir uns die Freiheit und die Zeit und sagen einander Grüezi, stellen wir uns gegenseitig vor vielleicht einfach mit dem Vorname… und wenn wir uns so einander wahrgenommen haben, können wir zum Abschluss die frohe Botschaft sagen: Du, Jesus will dich. Jesus hat dich gerne oder Du bist sein Freund. …

Dieses gegenseitige Wahrnehmen mag für das erste Mal ein wenig künstlich sein. Ist es aber nicht das Angesprochensein der Anfang der Frohbotschaft? Gott will mich ansprechen.

Das Evangelium atmet eine grosse Weite und Schönheit. Es spricht von der Liebe des Vaters und des Sohnes. Es spricht von der vollkommenen Freude, von Freundschaft, Erwählung, von reicher Frucht und von allem, was wir uns wünschen, was wir im Namen Jesu erbitten. Es spricht vom Leben, das sich lohnt zu leben trotz oder besser mit allen Schwierigkeiten, mit allen Beschwerden bis zum Ende. Es spricht davon, dass jeder unveräusserliche Würde besitzt – unabhängig von Fähigkeit und Leistung. Gott will jeden von uns. Er erwählt mich zu seinem höchsten Gut. Diese Liebe dürfen wir bedingungslos empfangen und genauso weitergeben: Liebt einander.

Auch wenn wir diese Weite und Schönheit des Evangeliums erkennen, wagen wir selten davon zu sprechen. Wir müssen es blank und offen sagen: Wir schämen uns manchmal für unseren Glauben und verhalten uns so, als ob wir Christen der Welt wenig zu bieten hätten. Wir wagen nicht den Menschen Christus anzubieten als das Beste, was uns passieren kann.

Nein, die Religion allgemein scheint dieser Welt nichts Gutes zu bieten. Es geht soweit, dass mir Jugendliche sagen: «Man müsste die Religion abschaffen, dann gäbe es keine Kriege und Diskriminierungen mehr!»

Ich weiss, dass Sie nicht so denken und trotzdem vergessen wir selber manchmal, dass wir, wenn wir in Jesus bleiben, wirklich das grösste Geschenk haben und dies wirklich ein Geschenk für alle Welt ist: das wahre Leben, das vollkommene Glück, die hingebende Liebe, die volle Freiheit.

Das mögen eigenwillig Gedanken gewesen sein. Vielleicht bewirken sie gar das Gegenteil von dem, was ich beabsichtigt habe. Ich wollte Ihnen vermitteln, dass wir – weil wir von Gott erwählt und geliebt sind – durchatmen können, uns in voller Grösse aufrichten dürfen, uns vertrauensvoll in die Hände Gottes geben können. Was kann uns schon passieren, wenn wir in Christus bleiben? Der Glaube lässt uns durchatmen.

Natürlich haben wir all unsere Sorgen, Nöte und Lasten. Natürlich hat jeder seine Geschichte, sein Schicksal, seine dunklen Seiten. Natürlich hat jeder seine DNA, sein Gemüt, seine Haut, aus der Er nicht ausfahren kann. Natürlich steht die Welt Kopf durch die Machthaber, Terroristen, Korrupten und Ausbeuter von Tier, Natur und Mensch. Dies mindert aber nicht den Wert des Evangeliums – im Gegenteil: «Bleibt in meiner Liebe!»

Dieses Bleiben, das im Johannesevangelium gehäuft vorkommt, deutet die innige Verbundenheit mit Jesus. Eine tiefe Freundschaft mit IHM! Wenn Sie mit diesem Gedanken «Ich bin gewollt und geliebt!» nach Hause gehen, dann nehmen Sie Wesentliches nach Hause mit. Das lässt Sie wieder tief durchatmen im Besonderen, weil die Liebe nicht darin besteht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt hat.

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