Lesungen: Ex 16,2-4.12-15; Eph 4,17.20-24; Joh 6,24-35
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn
Die Vorgeschichte zum heutigen Evangelium bildet die Erzählung der wunderbaren Brotvermehrung. Jesus speist mit fünf Gerstenbrote und zwei Fischen mehr als fünftausend Menschen. Auch die Exodusgeschichte berichtet von einer wundersamen Speisung mitten in der Wüste. Das sind wortwörtlich unglaubliche Geschichten. Sie entsprechen weder unserer heutigen noch wahrscheinlich der damaligen Wirklichkeitserfahrungen. Ich meine, dass solch direkte Eingriffe von Gott unserem Glauben nicht guttun. Sie fördern einen Glauben an einen Gott mit einem Zauberstab. Solche Wunder sind zu einfach gestrickt, als dass sie uns wirklich zu einer tieferen Gottesbeziehung führen würden.
Doch unsere Grunderfahrung ähnelt jener des Volkes Israel in der Wüste. Wir haben alle unsere Wüstenerfahrungen, unsere Gründe zum Murren, zum Schimpfen und zum Lästern. Wir kennen Situationen, in denen wir von den guten alten Zeiten träumen.
Unsere Wüsten sind Gewohnheiten und Denkweisen, die uns in der eigenen Welt einschliessen und gefangen halten. Es sind rückwärtsgewandte Haltungen, die kein neues Leben zulassen. Sie sehen schwarz, klagen an und weisen Schuld auf andere ab. Das Murren hält uns in der eigenen Blase gefangen.
Menschen mit einem gesunden Gott- oder Selbstvertrauen lassen sich nicht in Wüstensituationen einsperren. Sie nehmen das Leben selbst in die Hand – im Vertrauen, dass mit Gottes Hilfe alles gut kommt. Sie warten nicht auf einen billigen Eingriff von aussen, der sie aus der misslichen Situation rettet. Sie vertrauen darauf, dass Gott sie hört und sieht, auch wenn es anders scheint. Es ist keine schicksalshafte Ergebenheit, wenn man darauf vertraut, dass nichts vergeben geschieht. Das gelassene Gottvertrauen drückt sich in einem aktiven Streben nach neuen Wegen aus mitten in den wüsten Erfahrungen.
In der Tat heisst es im Buch Exodus, dass Gott hört (V 12) und dass er Brot regnen lassen will (V 4). Das Ziel seines Wollens besteht aber in erster Linie darin, dass alle JHWH, GOTT, DER DA IST, erkennen sollen.
Und als das Volk vernimmt, dass Gott sie hört, geschieht das erste Wunder. Nicht dass die Wachteln am Abend das Lager bedecken – das lässt sich erklären, denn Wachteln ziehen zweimal pro Jahr in grosser Zahl über Israel hinweg. Eine Situation, wie sie die Israeliten in der Wüste erlebt haben, kam dort jedes Jahr im Frühjahr und im Herbst vor, wenn die aus dem Norden kommenden und später dorthin zurückkehrenden grossen Wachtelschwärme vor Erschöpfung zu Boden stürzen – nein, es ist nicht das Wunder des Abends, sondern der Nacht: Die Israeliten haben Vertrauen gewonnen, weil Gott sie in ihrem Murren hört. Sie können wieder schlafen. Das Murren hält sie nicht mehr gefangen. Sie lassen sich vertrauensvoll auf die Situation ein, weil Gott sie hört. Das öffnet ihren Sinn und ihre Augen und sie sehen am Morgen einen frischen Tau rings ums Lager. Sie kommen aus ihrem gefangennehmenden Murren heraus und zeigen sich neugierig: «Was ist das?»
Das ist das zweite Wunder, das aus dem ersten hervorgeht: Sie lassen sich ein auf den Gott, der hört, und werden offen für Neues. Sie erhalten einen neuen Blick auf das, was vorhanden ist und wahrscheinlich schon immer vorhanden war, das Feine, Knusprige auf der Erde, fein wie Reif. Zusammen mit Mose erkennt das Volk: «Das ist das Brot, das der HERR uns zu essen gibt» (Ex 16,15)!
Wenn wir symbolisch spielerisch mit dem Text umgehen, können wir auch sagen, dass das, was uns nährt, von oben und von unten kommt. Sättigung des Menschen geschieht durch Gott und durch eigene Arbeit. Die Wachteln bedeuten Gottes Gnade von oben und das Brot bedeutet der eigene Beitrag durch das Sammeln und Verarbeiten. Gott tut nichts ohne uns und wir können nichts ohne Ihn.
Dadurch wird die Wüste – also unser Leben – tatsächlich zu einem Ort der Prüfung – nicht einen Test, um uns in die Fängen zu locken, sondern eine Gelegenheit zu den Sternen aufzublicken. Der Aufblick nach oben zu den Sternen schenkt in der Wüste Orientierung.
Das Ziel beider wunderbaren Speisungen besteht darin, GOTT, DER DA IST, zu erkennen, resp. an Jesus zu glauben. Im Johannesevangelium sagt Jesus: «Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr satt geworden seid» (Joh 6,26). Jesus wirft seinen Zeitgenossen vor, beim äusseren Wunder stehen zu bleiben, statt sich auf das Zeichen, den Hinweis auf Gott, die innere Wirklichkeit einzulassen. Wohl fragen die Menschen danach, «Was müssen wir tun?», aber sie begreifen seine Antwort nicht, das sie an IHN glauben sollen, den Gottvater gesandt hat, dass sie ihr tägliches Kreuz tragen sollen, dass sie sich also in der Wüste des Lebens mit ihren Händen, Talenten und ihrem Verstand abmühen und gleichzeitig sich vertrauensvoll Gott übergeben, im Blick zu den Sternen Orientierung erwerben sollen. Es geht um eine erneuerte Bewusstseinsebene, die unten und oben verbindet und zu einem erneuerten Geist und Sinn führt (vgl. Eph 4,23).
So erwarten wir kein billiges Wunder von oben, sondern erkennen im täglich mühevollen Brot der Erde mit Hilfe der geschenkten Orientierung von oben das Brot des Himmels. Wir erkennen im Vorhandenen, dass Gott da ist, dass er hört. Wenn oben und unten eins sind, sind wir vollständig und gesättigt. In diesem Sinn kann Jesus sagen: «Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben» (Joh 6,35). Jesus bringt in sich oben und unten in Eins. Das dürfen wir nun sakramental, das heisst zeichenhaft real in der Kommunion feiern.