Alles wird neu! Alles wird gut! Ein gutes Gefühl, nicht wahr? Und die gegenwärtigen Frühlingstage veranschaulichen dieses Neuwerden in der Natur. Es tut gut.
In der ersten Lesung zum heutigen Sonntag, aus dem Buch des Propheten Jesaja (Deuterojesaja), wird den im babylonischen Exil lebenden Israeliten Mut und Hoffnung gemacht. An das, was früher war, sollen sie nicht mehr denken, auf das Vergangene nicht mehr achten. Gott, der Herr, werde alles neu machen (vgl. Jes 43,18). Geschrieben wurden sie wohl um das Jahr 539 vor Christus, kurz vor dem Ende des Exils in Babylon. Im letzten Buch der Bibel, in der geheimen Offenbarung des Johannes hören wir solche Worte wieder: „Er, der auf dem Thron sass, sprach: Seht, ICH mache alles neu (…) Schreib es auf, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr!“ (Off 21,5).
Liegt diesen Worten für uns heute noch ein Zauber inne? Wenden wir uns dem heutigen Evangelium zu. Die Szene ist erschreckend. Eine Ehebrecherin, die auf frischer Tat ertappt worden sei, wird zu einem Platz gezerrt, öffentlich ausgestellt und Jesus vorgeführt. Weshalb der Mann nicht gleich auch vorgeführt wird, das frage ich mich hier. Das Ganze wirft kein gutes Licht auf die Schriftgelehrten.
Die Rechtslage ist klar, die Strafe auf Ehebruch ist vorgegeben. Das Gespräch, welches die Schriftgelehrten mit Jesus führen, dient nur dazu, Jesus gleich auch zu überführen, nämlich als Gotteslästerer, der sich über das Gesetz stellt.
Jesus, in seiner faszinierenden Souveränität, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und nicht zu einem manipulativen Disput verleiten. Er lässt sich Zeit. Er schaut die Frau an, die eine Sünde begangen hat, die nun gedemütigt und verängstigt vor ihm steht, in banger Erwartung des kommenden Strafurteils.
Stille! Schweigen! Hält Jesus Gericht? Nein! Liest Jesus der Frau die „Leviten“? Nein! Hält Jesus eine Moralpredigt? Nein! Verhandelt er über etwaige entlastende Motive der Frau? Nein! Bittet er die Frau, ihm nun alles zu beichten, sprich detailliert zu erzählen? Nein! Bietet er ihr Vergebung an unter gewissen Leistungsbedingungen, verlangt er zum Beispiel, sie solle besondere Gebete sprechen und Bussübungen praktizieren, um einen eventuellen Neuanfang zu verdienen? Nein! Ja, was tut denn Jesus?!
Zuerst einmal wirft er, nach einer Zeit der Stille und des Innehaltens, der verurteilenden Menge das berühmte Wort zu: „(…) Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“ (Joh 8,7). Daraufhin lassen die urteilenden Leute beschämt von ihrem Ansinnen ab. Jesus schaut der Frau in die Augen und fragt: „(…) Hat dich keiner verurteilt?“ (Joh 8,10). Nein, da niemand ohne Sünde ist, wagt auch niemand einen Stein werfen. Und Jesus, der ohne Sünde ist, tut es auch nicht! „(…) Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11). Und Jesus lässt die Frau aufgerichtet und aufrecht ins Leben zurückkehren. Punkt!
Erinnern wir uns kurz an das Evangelium vom letzten Sonntag, an das Gleichnis vom barmherzigen Vater, dessen Sohn von zu Hause abgehauen war und sein ganzes Erbteil in der Fremde verschleudert hatte, deshalb in eine existentielle Not geraten, dann in sich gegangen und zum Vater zurückkehrt war, da war keine Rede von einem höheren Beweggrund, dass der Sohn umgekehrt war. Es war schlicht dessen Not. Wahrscheinlich spürte er auch Reue, aber explizit ist davon im Gleichnis keine Rede. Der himmlische Vater jedoch stand bereits an der Türe, erwartete seinen verlorenen Sohn voll Sehnsucht und Liebe, nahm ihn wieder auf und liess ein Fest feiern. Sein Sohn bekam nicht einmal die Möglichkeit, sein ausgedachtes Sprüchlein aufzusagen.
Im heutigen Evangelium können wir davon ausgehen, dass die Ehebrecherin keine Beweggründe für eine Umkehr hat, als sie vor Jesus steht. Sie ist ja selbst ganz überrumpelt worden. Wahrscheinlich steht sie wie benommen vor Angst und Scham vor Jesus und weiss nicht, was sie sagen soll. Jesus aber schaut sie an und vergibt ihr trotzdem.
Das ist doch das Neue! Es geht nicht darum, dass irgendein Gesetz einfach durchgesetzt wird, weil es so im Buch des Moses steht. Es geht Jesus, es geht Gott um den konkreten Menschen. Und Gottes Blick ist allumfassend weit und tief.
Es ist so einfach! Ich sage nicht „billig“, ich sage „einfach“! Wir Menschen haben den Hang zum Komplizierten. Und da wir von Kindheit an durch eine leistungsorientierte Gesellschaft geprägt und geformt worden sind, fällt es uns wahrscheinlich so schwer, daran zu glauben und darauf zu vertrauen, dass es – für Gott – ganz einfach ist.
In Seelsorge- und Beichtgesprächen begegnen mir oft Menschen, die dieses Leistungsdenken auf die Gottesbeziehung übertragen, da sie kaum begreifen können, dass ihnen die erlösende Liebe Gottes schon längstens zugesprochen ist. Sie wollten noch mehr Gebete sprechen, sie wollten diese und jene Bussübung machen. Aber das braucht Gott nicht. Gott braucht nichts! ER freut sich, wenn wir SEINE erlösende Liebe annehmen und als Beschenkte in dankbarer Freude diese Liebe weitergeben. So einfach! Deshalb sage ich nach Beichtgesprächen nie: Tun sie nun noch das als Busse. Vielmehr sage ich: Aus Dankbarkeit und Freude, dass Gott Sie liebt und ihnen vergeben hat, beten Sie in einem besonderen Anliegen.
Es ist die Liebe, die Liebe Gottes, die uns erlöst hat. Es ist die Liebe, die uns Jesus damals durch das Gleichnis des barmherzigen Vaters und in der Situation der Ehebrecherin überdeutlich offenbart hat. Es ist nicht das Kreuz, das uns erlöst hat. Es ist diese Liebe Gottes, die sich entäusserte und Mensch wurde, um mit uns und für uns zu sein (vgl. Phil 2,7). Es ist diese Liebe Gottes, die für uns bis zum Äussersten ging, bis ans Kreuz (vgl. Phil 2,8). Es ist Gottes hingebungsvolle Liebe in Jesus Christus, die uns erlöst und befreit, endgültig, ein für alle Mal (vgl. Kol 2,14). Darum feiern wir bald wieder Ostern!
Diese Erlösung als unsere innerste und tiefste Wahrheit zu begreifen, zu erfahren und zu kosten – heute! –, das ist möglich, wenn wir eines einfach endlich einmal tun: es zu GLAUBEN. Nicht mit dem Kopf, nicht irgendeine Formel, nein, dieser Liebe Gottes, dieser Liebe, die Jesus im heutigen Evangelium der Ehebrecherin erwiesen hat, von ganzem Herzen, mit unserem ganzen Wesen und Sein zu glauben, zu vertrauen. Es muss ein Glaube sein, der jede Faser unseres Seins ergreift. Wenn wir anfangen zu realisieren, dass Gott uns wahrhaft und bedingungslos liebt, werden wir in eine ungeahnte Freude geführt, die frei macht. Dann werden wir keine Bussübung machen, sondern einfach, aus tiefster Freude und Dankbarkeit über die unfassbare Liebe Gottes, uns für das Gute entscheiden, für die Liebe leben, den Frieden suchen, das Leben bewahren.
Wir sind erlöst! Das ist unsere innerste und tiefste Wahrheit! Darum feiern wir bald wieder Ostern! „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30). Ich gestehe, dass in unseren liturgischen Texten und Gebeten diese Wahrheit nicht immer so glücklich aufleuchtet.
Weder der verlorene Sohn aus dem Gleichnis vom barmherzigen Vater, noch die Ehebrecherin aus dem heutigen Evangelium müssen Busse tun. Sie sind erlöst, durch die Liebe, die Gott ihnen bedingungslos zuspricht. Sie müssen es nur annehmen und vertrauen und daraus leben.
„Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben?
Hat dich keiner verurteilt?
Sie antwortete: Keiner, Herr.
Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht.
Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,10-11).
So einfach? Ja, so einfach! Und alles darf neu werden!
Selig sind diejenigen, die bereit sind, es einfach anzunehmen! Amen.