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Predigt von Erzbischof Dr. Stephan Burger am Hochfest ULF von Einsiedeln

Am Sonntag, 21. Juni 2024 begingen wir die äussere Feier des Hochfestes Unserer Lieben Frau von Einsiedeln, welches alljährlich auf den 16. Juli fällt. Zur Nachfeier des Hochfestes durften wir dieses Jahr Erzbischof Dr. Stephan Burger, den Oberhirten der deutschen Erzdiözese Freiburg im Breisgau, begrüssen. Er hielt folgende Predigt: 

Sehr geehrter Vater Abt Urban,
sehr geehrte Mitglieder des hiesigen Konvents der Abtei Einsiedeln,
liebe Schwestern, liebe Brüder,

haben Sie schon darüber nachgedacht, warum gerade hier in Einsiedeln eine Schwarze Madonna verehrt wird? Mich hat jedenfalls die Frage besonders umgetrieben, nachdem ich zum heutigen Fest eingeladen worden war. Die Homepage der Abtei versucht darauf auch eine Antwort zu geben. Zur kurzen historischen Antwort gehört die Begründung; weil im Laufe der Jahrhunderte Rauch und Ruß die Muttergottesdarstellung geschwärzt haben bis hin zur einer endgültigen schwarzen, malerischen Fassung von 1799. Ähnlich mag es auch der Schwarzen Madonna in Altötting ergangen sein. Das Holz dunkelte nach und der Kerzenruß tat das übrige dazu.

Darüber hinaus gibt es weitere Madonnenfiguren und -darstellungen in schwarzer Fassung weltweit. Denken wir an Loreto in Norditalien, Montserrat in Spanien als weitere Beispiele und viele andere mehr. Die Brauchtumsforschung bemerkt dazu, dass die Schwarzfärbung von Madonnenfiguren ein Phänomen des 13. Jahrhunderts sei. Vorher habe es keine schwarzen Madonnen gegeben. Das faszinierende für Menschen damals wie heute sei der relativ starre Blick mit großen Augen nach vorne gerichtet und das Ganze eben in Schwarz. Wahrscheinlich habe dies auch mit dem Hohelied aus dem Alten Testament zu tun, wo es heißt: „Nigra sum sed formosa“ (Hld 1,5) – „Ich bin dunkel, aber schön“, was eine Königin von sich sage.

Das Dunkle und Schöne sei für Menschen früher auf eine eigene Weise faszinierend gewesen. Darüber hinaus gibt es auch andere dunkle Mariendarstellungen, so die Muttergottes in Tschenstochau. Dort genießt die Schwarze Madonna als Ikonendarstellung hohe Verehrung. Sie gilt als die eigentliche Herrscherin und Königin von Polen. Oder erinnern wir uns an die dunkle, wundertätige Ikone der Mutter von Kasan in Russland. Es gibt auch Darstellungen, die zeigen Maria als eine Indigene. Sie zeigen Maria als eine, die die Gesichtszüge und Hautfarbe der jeweiligen angestammten Bevölkerung trägt. Hier wäre auf Guadalupe in Mexiko zu verweisen oder an Ipiales im Südwesten Kolumbiens. Immer handelt es sich um Gnadenbilder mit einer besonderen Anziehungskraft und mit ihren je eigenen Botschaften für die dortige Bevölkerung.

Jede Kultur, in der das Christentum Fuß fassen konnte, kennt Mariendarstellungen in den jeweiligen Ausprägungen von Land und Leuten. Hier will ich mich nicht allein auf die dunkle bzw. schwarze Färbung des äußeren Erscheinungsbildes festlegen. Die meisten unserer Mariendarstellungen in unseren Breiten zeigen uns Maria als eine von uns, eine junge Frau, die in den jeweiligen kulturellen Kontext nichts anderes tut, als den Menschen der jeweiligen Zeit und Umstände Jesus zu zeigen, den Erlöser, den Retter, den Herrscher, ja den König der Welt.

Unser Gnadenbild hier in Einsiedeln hat dieselbe Aufgabe. Maria zeigt uns ihren Sohn in aller Hoheit, Würde und Pracht. Maria hält uns Christus entgegen, den Sohn Gottes. Es gehört zum Wesen ihres mütterlichen Daseins von Anbeginn, uns Christus zu zeigen. Es ist derselbe Christus, der uns seine Mutter zur Mutter geben hat. „Frau siehe dein Sohn.“ (Joh 19,26) Mit Johannes werden alle, die unter dem Kreuz stehen, zu Kindern Mariens. Und umgekehrt zu Johannes: „Siehe deine Mutter.“ (Joh 19,27) Ein Vermächtnis der ganz besonderen Art. Vom Kreuz herab, in seiner größten und innigsten Not schenkt uns Christus jene Frau, legt er uns die Frau ans Herz, die als leibliche Mutter einen besonderen Platz in seinem Herzen hatte.

Jesus verfügt gewissermaßen testamentarisch, wer zum wem gehört. Könnten, ja dürften wir dieses Vermächtnis ignorieren oder gar zurückweisen? Dieses Vermächtnis seiner Liebe? Keinesfalls! Denn Maria wird so zur Mutter aller, die in ihren Sohn ihre ganze Hoffnung gesetzt haben. Sie ist nun für all jene zuständig, die sich ihrem Sohn verbunden fühlen und den Weg seiner Nachfolge gehen – weltweit, unabhängig aller existierenden Hautfarben und Ethnien. So wird Maria zur Mutter der Kirche!

Ich würde mir wünschen, dass diese Erkenntnis all jenen neu ins Bewusstsein käme, die sich in der gegenwärtigen Zeit daranmachen, ihr Heil in einer völkisch-nationalen Abgrenzung zu suchen. Maria ist die Mutter all derer, die sich Christus zuwenden und sich zur ihrem Sohn und zu ihr bekennen. Bei ihr spielen Herkunft und Hautfarbe keine Rolle! Und wir alle wissen, die wir zu dieser Kirche gehören, die wir ihre Kinder sind, dass wir den Weg der Nachfolge nie selbstständig und allein werden gehen können. Zu stark sind unsere eigenen Lasten, die wir auf den Schultern tragen. Zu stark sind unsere seelischen und körperlichen Beschwerden, als dass wir allein damit fertig würden. Zu stark leiden wir an den menschlichen Schwächen und Fehlern, die auch diese Kirche mit sich und in sich trägt. Kam damals auf dem Kreuzweg ein Simon von Cyrene Christus zu Hilfe, so ist es jetzt für uns die Mutter Jesu selbst.

Beim Kreuzweg Jesu blieb ihr nichts Anderes übrig, als der Marter ihres Sohnes zusehen zu müssen. Mit ihm vereint in Schmerz und Leid. Jetzt geht sie den Weg mit uns, greift uns unter die Arme, spricht Worte der Ermutigung und des Durchhaltens, ist für uns Fürsprecherin in unseren Anliegen bei ihrem Sohn. Maria bleibt unter dem Kreuz, sie läuft nicht weg. Selbst in der Stunde unseres Todes ist sie bei uns, wissen wir uns bei ihr gut aufgehoben, wie wir im Ave-Maria täglich und mehrfach beten.

Das alles kann sie für uns tun, wenn wir uns die Haltung des Jüngers Johannes zu eigen machen, wie es der letzte Satz des heutigen Evangeliums zusammenfasst: „Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ (Joh 19,27) Ja, nehmen wir unsere Mutter in unser Leben hinein, nehmen wir sie in unsere Mitte auf.

Kommen wir zu unserer Mutter mit allem, was uns bewegt. Teilen wir mit ihr unsere Freude, unser Glück, das uns dann und wann geschenkt ist. Geben wir ihr aber auch all unser Leid und unseren Schmerz mit. Sie trägt alles vor das Angesicht ihres göttlichen Sohnes. Sie nimmt ihrer mütterliche Aufgabe ernst und will, dass keines ihrer Kinder ins Verderben läuft. Als unsere Mutter hält sie uns unentwegt den Urheber des Lebens entgegen, der mit allem Elend und mit aller Not fertig werden wird.

An Maria - wie an uns allen - will sich erfüllen, wovon in Lesung aus dem Buch Zefanja die Rede ist: „Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte; du hast kein Unheil zu fürchten.“ (Zef 3,17) Und weiter: „Er freut sich und jubelt über dich, er erneuert seine Liebe zu dir.“ (ebd.) Maria ist jene, um einen weiteren Gedanken ihrer Homepage aufzugreifen, die durch Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, in aller Liebe gebräunt, ja schwarz geworden ist. Auch hier in Anlehnung an den Vers aus dem Hohelied: „Schaut mich nicht so an, weil ich so schwarz bin! Die Sonne har mich verbrannt“ (Hld 1,6). Doch dieses Verbrennen beinhaltet keine Vernichtung. Wer den Strahlen der göttlichen Sonne, wer Christus ausgesetzt ist, wird gestärkt in der Treue, in der Verlässlichkeit zu ihm, der harrt aus, auch wenn es zum Davonlaufen wäre.

Nicht anderes will sich beispielsweise für uns in der hl. Eucharistie und in der eucharistischen Anbetung ereignen. Wer sich der göttlichen Gegenwart aussetzt, wer durch die Strahlen der göttlichen Gerechtigkeit und Liebe auf diese Weise angesengt, versengt wird, der wird befähigt, immer mehr den negativen Einflüssen dieser Welt standzuhalten, der wird in der Liebe erneuert. Auf diese Weise dürfen wir den göttlichen Sohn aus der Hand der Mutter entgegennehmen. Wir dürfen ihn geistlich in unser Herz nehmen, um - durch seine Liebe gestärkt - dem Bösen zu widerstehen.

Wir vertrauen dieser Mutter, unabhängig davon, in welcher Hautfarbe sie uns entgegenkommt. Wir vertrauen dieser Mutter, die uns durch Christus zur eigenen Mutter geworden ist. Und wir folgen ihrem Blick, der uns durch Kreuz und Leid hindurch in ein Leben hineinnimmt, das nichts mehr Anderes kennt als allein die Geborgenheit in der göttlichen Liebe.

Das, liebe Schwestern und Brüder, strahlt für mich das Gnadenbild von Einsiedeln aus. Das hat über Jahrhunderte Pilgerinnen und Pilger bewegt und angezogen, die hierhergekommen sind und bis heute hierherkommen. Maria bleibt die faszinierende Frau, die in ihrer klaren und festen, ja in ihrer unwiderruflichen Haltung zum Willen Gottes die Heilsgeschichte mitgeprägt und ermöglich hat.

Immer begegne ich ihr als der kostbarsten Monstranz, die je geschaffen wurde, einer Monstranz, die mir Christus zeigt und entgegenhält, die mir wiederum Christus ins eigene Herz einsetzen möchte, damit ich selbst christusförmiger und immer mehr zum Christusträger werden kann. Für mich ist dies der eigentliche und tiefste Grund, Maria hier in Einsiedeln zu verehren.

Christus, eingesetzt in uns, anbefohlen durch seine irdische und unsere himmlische Mutter. Christusträgerinnen und Christusträger zu sein, das ist unser aller Berufung, zu der uns Maria, Unsere Liebe Frau von Einsiedeln ermutigen und befähigen will. Dazu stärkt sie uns als Schwarze Madonna mit ihrem mütterlichen Segen!
 

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