Lesungen: Jes 6, 1–2a.3–8; 1 Kor 15, 1–11; Lk 5, 1–11
Die Grösse und Herrlichkeit Gottes können wir uns nicht vorstellen. Wer muss das sein, der das ganze Universum geschaffen hat? Welche Macht überblickt die Dimensionen einer über mehrere Milliarden Lichtjahre ausgebreiteten Schöpfung? Wer ist das, der Leben schafft – vielfältig, zahlreich und bunt? Wie herrlich muss dessen Liebe sein, der sich nicht scheut, nach seinem Bild ein Gegenüber zu schaffen? Welche Demut steht hinter der Selbsthingabe dieser Macht, die ohnmächtig wird in einem begrenzten Menschen, am Kreuz? Wer ist so gross und wird selbst zur Nahrung für das Du, das er anspricht? Dieser absolut mächtige und gütige Gott will dem Menschen begegnen, will mir begegnen!
Meine Reaktion darauf mag dann lauten: «Herr, ich bin nicht würdig!», oder in den Worten Jesajas, «Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen» (Jes 6,5).
Ähnlich reagiert Petrus im Evangelium. Der reiche Fischfang nach der nächtlichen Erfolglosigkeit bringt ihn völlig ausser Fassung. Den Erfolg in derartigem Ausmass erschreckt. Leere und Fülle wechseln so unvermittelt ab, dass heilige Bestürzung Petrus und die Gefährten umwirft: «Herr, geh weg von mir; denn ich bin ein sündiger Mensch» (Lk 5,8).
Was ist das für ein Sündenbekenntnis? Was heisst hier »sündig«? Vielleicht könnten wir diesen Satz ein wenig anders übersetzen: Geh weg, deine Wirklichkeit ist nicht meine Wirklichkeit. Wir leben nicht in derselben Welt; wir können nicht miteinander existieren. Du bist zu stark, zu gross. Deine Wirklichkeit überwältigt mich. Sie ist zu eindringlich und aufdringlich.
Darum kann Petrus nicht bestehen und fällt zu Boden. Wie Jesaja und keiner bestehen kann, wenn wirklich Gott erscheint und menschliche Grenzen sprengt. Darum fliehen Menschen zuweilen vor dem Anruf Gottes. Er kommt ihnen zu nahe. Gottesferne und Gottesnähe: beide sind schwer zu ertragen.
»Sündig sein« heisst hier also nicht etwas Böses getan zu haben. »Sünde« im theologisch tiefen Sinne meint den Graben zwischen unserer alltäglichen Erfahrung und der vollen Wirklichkeit Gottes. Hier ist »Sünde« kein morali-scher Begriff, sondern meint die Dis¬krepanz, den Bruch zwischen Göttlichem und Menschlichem. In diesem Sinn sprechen wir beim Agnus Dei von Sünde im Einzahl: «Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt» - du nimmst hinweg den Bruch zwischen Gott und Mensch.
Sünde bedeutet hier als nicht unsere kleinen und grossen Verfehlungen, sondern die Differenz und Diskrepanz zwischen Gott und Welt. Dieser Bruch ist ein für alle Mal überwunden in Jesus Christus und kann durch unsere persönliche Schuld nicht mehr aufgebrochen werden.
Die Frohbotschaft liegt eben darin, dass dieser absolute Gott den Menschen auf Augenhöhe begegnen will. Er will mir begegnen – nicht als armes, bemitleidenswertes Geschöpf und kleine Ameise – nein, er will mir begegnen, der aufrecht steht in liebender Freiheit und Verantwortung und trotz aller Schwäche einen eigenen Willen hat. Dieser Wille zur Tat, zur Liebe, zum Schöpferischen, zum Guten, ist das, was Gott anspricht. Doch genau da merke ich, wie verletzlich ich bin. Der Selbststand, der eigene Wille verkommt oft zum Gegenteil. Er offenbart seine Tendenz zum Egoismus, zum Eigensinn.
Es ist aber die Frohbotschaft Jesu, dass Gott nicht lockerlässt. Gott will mir gerade auch in meiner Verletzlichkeit begegnen. Er will, dass ich stehe, dass ich mit aufrechtem, frohem Blick IHM seine Liebe erwidere. Noch mehr als die Schau der Herrlichkeit Gottes erschreckt mich die Erkenntnis, wer ich bin – verletzlich und doch berufen, der Herrlichkeit Gottes ein Du, ein Gegenüber, zu sein. Ich bin ein von der Herrlichkeit Gottes Angerufener, um diese als Spiegelbild zu reflektieren. Mein Menschsein besteht darin, aufrechtstehend Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen, wie es im 2. Hochgebet heisst: «Nimm unsere Verstorbenen in dein Reich auf, wo sie dich schauen von Angesicht zu Angesicht».
Dieses «von Angesicht zu Angesicht» ist die frohe Botschaft des Kreuzes und der Auferstehung und der Sendung des Heiligen Geistes. Wohl versetzt sie mich in heiligen Schauer und macht mir meine Verletzlichkeit bewusst und ich muss bekennen, «Herr ich bin nicht würdig, dass du einkehrst unter mein Dach», doch gleichzeitig erkenne ich, wer ich bin: Ein von Gott Angeschauter, ein von Gott Angerufener!
Diese Gottesnähe ist mir bisweilen zu intensiv. Ich fühle mich bedrängt und ich möchte dem Anspruch Gottes ausweichen. Meine innere Widerrede will die eigene grosse Würde nicht wahrhaben. Meine Gedanken machen mich selbst klein und verurteilen andere. Die Kraftausdrücke offenbaren gelegentlich eine tiefe Abneigung gegen mich selbst und die Umstände. Ich glaube lieber den Minderwertigkeitsgefühlen als der Gnade, die mich aufrichtet. Meine Körperhaltung offenbart, dass ich eher Knecht eigenen Strebens bin, als dass ich als freier Sohn vor Gott stehe. Der Mangel an Feingefühl, das aggressive Verhalten im Verkehr, das gedankenlose Surfen im Internet sind oft Hinweise, dass ich meine Würde vergessen habe.
Es ist eine Würde, die ich mir nicht selbst erarbeitet habe. Mit Paulus dürfen wir alle sagen: «Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin» (1 Kor 15,10).
Was bedeutet das nun für die Nachfolge Jesu?
Jesus sagt auch zu mir: «Fürchte Dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.» (Lk 5,10) Aus der direkten Begegnung mit Gott folgt die Selbsterkenntnis, das Bewusstsein der eigenen Identität, Berufung und Sendung. In der Begegnung mit Gott erkennt Jesaja seine Identität und Lebensaufgabe: „Hier bin ich, sende mich!“
Es geht als nicht so sehr, wie ich mich sehe, sondern wie Gott mich sieht. Dieser Blick Gottes mag mich erschrecken, aber vielleicht mag dieses Erschrecken von Zeit zu Zeit ganz heilsam sein, damit ich meiner Identität und Sendung wieder bewusstwerde, damit ich mit Jesaja sagen kann: «Hier bin ich, ich gehe mit dir!» - «nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir» (1 Kor 15,10)