Liebe Schwestern und Brüder
Die heutige Lesung und das Evangelium wurden gewählt im Einklang mit dem Leben des heiligen Meinrad. Er ist immer auf dem Weg geblieben, und dies sogar in seiner Einsiedelei, hier in Einsiedeln!
Die Lesungen erzählen von einem Weg: von einem Weg des Loslassens, des Verlassens, ja sogar des Annehmens. Im Endeffekt sprechen die Lesungen von einem Weg der Befreiung, einem Weg des «Freiseins» oder des «Freiwerdens» von allen falschen irdischen Bindungen.
Auf seinem Weg sagte einmal ein Jakobspilger bei uns an der Pforte: «Es ist schon speziell: Um Gott zu suchen, mache ich mich auf den Weg nach Santiago. Und ihr Mönche, ebenfalls um Gott zu suchen, schliesst euch an einem Ort ein.»
Ob wir uns durch eine Wanderung verwandeln lassen oder durch die Einschränkung des monastischen Lebens: Beide Entscheidungen sind Mittel, die einem inneren Weg dienen. In beiden Fällen muss man, um vorwärtszukommen, um sich immer mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren, das Belastende loslassen. Ein Spruch sagt: «Der längste, der schönste, aber auch der schwierigste Weg ist der, der vom Kopf zum Herz geht.»
Sich auf den Weg zu machen bedeutet, ein Startpunkt, ein Zustand zu verlassen, um Schritt für Schritt einen neuen Standpunkt zu erreichen. In der ersten Lesung ist Abraham berufen worden, sein sesshaftes Leben zu verlassen, um Nomade zu werden. Er muss sich im Bewegung setzen. Er wurde aufgerufen, sein Land, seine Verwandtschaft und sein Vaterhaus zu verlassen. Land, Vaterhaus und Verwandtschaft sind Synonyme für eine Weltsicht und Traditionen, die damals auch die Verbundenheit mit ihren eigenen Schutzgötzen bedeuteten. Wenn Abraham berufen ist wegzuziehen, heisst es vor allem, dass er all seine Verbindungen mit falschen Götzen verlassen muss, um einen neuen Geist, eine neue Verwandtschaft zu bekommen. Dies wird grosse Früchte bringen. Gott verspricht ihm: «Ich werde dich zu einem grossen Volk machen». In Abraham beginnt eine neue Linie, die aus dem Geist stammt. Und dieser neue Stammbaum, der im Himmel verwurzelt ist, bringt Segen.
Auch der reiche Mann im Neuen Testament macht sich auf den Weg. Er läuft Christus entgegen, um Antworten zu bekommen. Er will das ewige Leben erlangen. In diesem Mann können wir sicher all unsere tiefsten Sehnsüchten nach Wahrheit, nach Erlösung, ja nach dem Absoluten erkennen. Er ist vorbildlich, denn er befolgt seit seiner Kindheit alle Gebote. Er merkt aber selbst, dass dies nicht genügt. Deshalb fragt er Jesus: «Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?» (Mk 10, 17). Er will «tun» um zu «haben», um zu «gewinnen». Aber Gott ist keine Antwort auf eine Leistung. Er ist nicht der Lohn unserer Arbeit und Bemühungen. Der Mann muss nichts tun, um zu haben, er muss vor allem «sein», und frei sein, um empfangen zu können. Leider besitzen ihn seine irdischen Güter. Er ist nicht bereit, davon frei zu werden. Er vertraut dem Leben nicht. Deshalb wird er traurig. Der heilige Johannes vom Kreuz sagte: «Es spielt keine Rolle, ob ein Vogel mit einem dünnen oder mit einem dicken Faden gebunden ist, so oder so ist er gebunden und kann nicht fliegen.»
Aber nicht die Güter dieser Erde sind das Problem. Auch die Gruppe der Jünger und Jüngerinnen Jesu hatte eine Geld-Kasse für die Notwendigkeiten des Alltags. Jesu weiss, dass man dem Kaiser geben muss, was dem Kaiser ist, und Gott, was Gott gehört. Das Problem ist die Grösse unserer Abhängigkeit von den materiellen Gütern.
Die einzige Abhängigkeit, die tatsächlich frei macht, ist die Abhängigkeit von Gott, denn er ist die Erfüllung unseres Lebens. Aber Achtung: Es ist nicht die Abhängigkeit vom Bild, das wir uns von Gott machen. Dieses Bild ist auch ein Götze, das aus uns Sklaven machen kann. Die Götzen als Statuen sind nur die materiellen Ausdrücke der falschen inneren Bilder und Vorstellungen, die wir uns machen. Diese falschen Vorstellungen, diese falschen Bilder von Gott, sind leider heimtückisch und schwieriger zu zerstören und zu verlassen als Statuen. Aber wie Abraham müssen wir sie verlassen, um Gott und sein Heil zu empfangen.
Liebe Schwestern und Brüder
Ja, so wie Abraham, der reiche Mann oder der heilige Meinrad, so sind wir alle auf dem Weg. Auch die Gesellschaft und die Kirche sind auf dem Weg. Vielleicht können wir stolpern, fallen, Irrwege gehen. Deshalb ruft uns die Bibel immer wieder zum bewussten Gehen und zur Umkehr auf. Es geht nicht darum, über den Weg der anderen zu urteilen, sondern unseren eigenen Weg achtsam und wahrhaftig zu gehen. Wir sind auf diesem Weg berufen, unseren Nächsten, der Gesellschaft, der Kirche beizustehen. Die Texte, die wir soeben gehört haben, können uns helfen nachzudenken und uns zu fragen:
Bin ich spirituell immer noch auf dem Weg, auf der Suche? Bin ich bereit das Vertraute, meine Bequemlichkeit zu verlassen, um mich zu bemühen, der Ehrlichkeit und der Wahrheit zu folgen? Wie weit bin ich vom Materiellen abhängig? Wo sind die Götzen in meinem Leben versteckt? Habe ich einen Gott nach meinem Abbild, nach meinen Erwartungen und Vorstellungen geschaffen oder lasse ich mich vom ganz Anderen führen, den ich nicht besitzen kann? Brauche ich Umkehr in meinem Leben?
Die Liste könnte noch länger sein. Aber es geht nicht so sehr darum zu wissen, wo wir tatsächlich stehen. Sondern vielmehr darum, ob wir uns bewegen! Gott erwartet nur unser jetziges «Ja», um uns zum Ziel zu führen. Die einen sagen: «Der Weg ist das Ziel». Ja, Christus ist der Weg und unser Ziel. Er wartet jetzt auf uns, um uns jetzt zu verwandeln. AMEN.