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In der Kolumne «Meine Benediktsregel» teilen verschiedene Autorinnen und Autoren, die mit unserem Kloster verbunden sind, in kurzen Texten ihre Gedanken darüber, wie sie die Benediktsregel als Inspiration für ihr Leben ausserhalb von Klostermauern zu nutzen versuchen.

«Kein Ehrabschneider sein» (Benediktsregel 4, 40)

Wenn ich Zeitung lese, dann scheint es mir, es sei legitim geworden, Personen, Gruppierungen oder Parteien, die andere Meinungen vertreten, verbal in aller Öffentlichkeit zu geisseln und wüst zu beschimpfen. Dieses Verhalten wird damit gerechtfertigt, einem höheren Ziel zu dienen, zum Beispiel dem Guten, dem Frieden, der Demokratie oder der Freiheit. Aber kann so etwas dem Guten dienen? Man könnte zwar argumentieren, dass Jesus selbst auch klare Worte an die Schriftgelehrten gerichtet hat. Aber können wir uns deshalb berechtigt fühlen, das ebenfalls zu tun? Hätte uns Jesus dazu angehalten, unsere Feinde zu lieben und denen Gutes zu tun, die uns hassen, wenn er uns die Kompetenz zugesprochen hätte, den Charakter unserer Mitmenschen treffsicher zu beurteilen und über sie ein Urteil zu sprechen? Wollte er uns mit diesen Worten nicht dazu anhalten, einem Menschen auch dann respektvoll zu begegnen, wenn wir seine Taten nicht gutheissen können?

Der heilige Benedikt scheint klare Antworten auf diese Fragen zu geben. Er fordert seine Mitbrüder im Kapitel 4 (Werkzeuge der geistlichen Kunst) dazu auf, keine Ehrabschneider zu sein. Als Schwester Johanna Domek vor einigen Jahren durch die Einkehrtage «ü-30-fahrwärts» im Kloster Fahr führte, war ihr Thema die «benediktinische Werkzeugkiste». Sie ermutigte die Teilnehmer dazu, sich einmal so ein Werkzeug vorzunehmen und eine Weile lang zu üben, bis man merke, dass man zum nächsten übergehen könne. Sie meinte, sie selbst praktiziere das auch und übe sich gerade seit vielen Monaten darin, über niemanden etwas Schlechtes zu sagen.

Ich muss zugeben, dass ich erleichtert war, zu hören, dass auch Ordensleute dagegen ankämpfen, schlecht über andere zu reden. Es ist auch eine grosse Herausforderung: Wie schnell entfährt einem doch in Gesellschaft eine lieblose Aussage! Ich für mich habe auf jeden Fall beschlossen, dass es wieder einmal an der Zeit ist, das Werkzeug Nummer vierzig aus der Kiste zu nehmen und zu üben.

Zur Autorin: Verena, Jg. 1967, ist selbständigerwerbend, Mutter dreier erwachsener Kinder und Oblatin des Klosters.

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