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Text, Schauspiel, Musik, Kostüme, Kulisse: Das Einsiedler Welttheater 2024 ist ein Gesamtkunstwerk, das man nicht nur gesehen, sondern erlebt haben muss! Foto: © kath.ch

Interview mit Abt Urban zum Einsiedler Welttheater 2024

Von Juni bis September 2024 wird das "Einsiedler Welttheater" auf dem Klosterplatz gespielt. Die bisherigen Aufführungen standen nicht immer unter Wetterglück, doch boten sie den Zuschauerinnen und Zuschauer ein Theatererlebnis der Extraklasse. Die Inszenierung des Stückes regt zum Nachdenken an. Wolfgang Holz hat für das Medienportal kath.ch ein Interview mit Abt Urban geführt, wie er das von Lukas Bärfuss geschriebene und von Livio Andreina inszenierte Einsiedler Welttheater 2024 deutet. Das Interview wurde am 22. Juni 2024 auf kath.ch publiziert.

Wolfgang Holz: Abt Urban, im ursprünglichen Welttheater-Stück des Barock-Dichters Calderon ist die Welt noch ein allegorisches Abbild der göttlichen Schöpfungsordnung. Will oder gar – sollte – das Welttheater grundsätzlich nicht auch die faustische Frage stellen: Wie halten wir es mit Gott und der Religion?

Abt Urban Federer: Nicht die Welt, aber das Theater verstand Calderón als sichtbares Medium, das den Menschen bei der bildlichen Vorstellung abholt und zu einer Welt führt, die hinter unserer Wirklichkeit steht. Diese Welt Gottes wird im «Grossen Welttheater» nicht genauer beschrieben und lässt darum eine erstaunliche Offenheit im Denken über Gott zu. So ist etwa bei Calderón das göttliche Gesetz der Gnade nicht etwas, was in unser Leben eingreift oder es gar steuert. Es erinnert den Menschen an seine Rolle, an seine Aufgabe. So suchte auch der Mensch des barocken «Welttheaters» wie wir heute den eigenen Weg, und dies durchaus in persönlicher Freiheit. Insofern stellte das «Grosse Welttheater» schon immer mehr die Frage nach der Rolle des Menschen als die Frage nach Gott.

Wolfgang Holz: In der modernen Neufassung bzw. Interpretation von Lukas Bärfuss kommen Gott und die Religion quasi gar nicht mehr vor. Ist dies für Sie überraschend, zumal der Spielort des Welttheaters, sprich: der Klosterplatz sowie die Fassade der Klosterkirche als szenischer Hintergrund, ja eindeutig religiös konnotiert sind?

Abt Urban Federer: Wurde 1992 noch mehr nach Gott gefragt, weil damals immer noch das «Welttheater» nach Calderón gespielt wurde? War die Neufassung von 2000 religiöser, weil darin eine Kreuzigungsszene gespielt wurde? Religiös muss ein Stück nicht unbedingt sein, weil Gott erwähnt wird. Und umgekehrt kann ein Stück durchaus auf Religion Bezug nehmen, wenn Gott nicht erwähnt wird. Auf dem Klosterplatz ist ein solches Theater auf jeden Fall immer religiös konnotiert. Würde die Neufassung von Lukas Bärfuss nicht auf dem Klosterplatz gespielt, würde wohl niemand die Gottesfrage stellen. Diese provozieren der Klosterplatz und die Klosterfassade. Für mich stellt aber auch das diesjährige Stück selbst religiöse Fragen.

Wolfgang Holz: Inwiefern?

Abt Urban: Der Mensch nimmt darin die Stelle Gottes ein – im Stück wird das gespielt, indem der Madonna die Kleider abgezogen und der Hauptfigur Emanuela angezogen werden. Der Mensch greift dabei nach dem Göttlichen und akzeptiert die Grenzen nicht, die ihm das Leben setzt. Davon erzählt die biblische Geschichte von Adam und Eva. Adam, übersetzt heisst das: der Mensch, traut Gott nicht und setzt sich über die Grenzen hinweg, die ihm gesetzt sind. Doch auch die Konsequenzen ihrer Übertretung wollen Adam und Eva nicht tragen, sie verstecken sich lieber. So wird die Frage Gottes an Adam in der Bibel schon fast wie eine Frage des Autors im «Welttheater» an uns: Mensch wo bist du? In der Inszenierung von Lukas Bärfuss wird eine Botschaft klar: Wir haben im Welttheater gesichert einen Auftritt und einen Abgang. Dazwischen liegt unser höchst ungewisses Leben.

Wolfgang Holz: Welche Rolle kann Gott denn aus Ihrer Sicht für uns dabei spielen?

Abt Urban: Es wird im «Welttheater» nach Lukas Bärfuss vor allem der Abgang thematisiert, auch der Abgang Gottes, indem der Autor des Spiels umgebracht wird. Zurück bleibt eine narzisstische Menschheit, die ihr eigenes Bild nie genug schön findet und in ihrem Vollkommenheitswahn den eigenen Abgang beschleunigt.

Wolfgang Holz: Das heisst?

Abt Urban: Die Rolle Gottes kommt für mich im Stück nicht von aussen, sondern von innen. Die Hauptfigur heisst Emanuela. «Emanuel» ist der Gottesname, der in der Bibel Jesus Christus gegeben wird, und heisst «Gott ist mit uns». Auch wenn der Mensch im «Welttheater» Gott auf die Seite stellt, verlässt dieser den Menschen nicht. Dafür wird zu Beginn des Stücks das Gesetz der Gnade eingeführt, am Schluss aber nicht mehr aufgenommen, weil diese göttliche Gegenwart in Emanuela ist. Sie sichert ihr zu, dass das Spiel auch nach ihrem Abgang weitergeht. Die Gnade vollendet das Leben der Emanuela von innen her und beschenkt die Fragenden und Suchenden in diesem Stück mit Hoffnung. Tatsächlich beginnt Emanuela in ihrem Abgang zu begreifen, dass ihre Rolle gut ist, wie sie nun geworden ist. Diese Gnade kann sie sich nicht verdienen und nicht erstreiten. Für diesen Schluss gibt es im Stück ein schönes Bild.

Wolfgang Holz: Und das wäre?

Abt Urban: Am Schluss geht über den staunenden und spielenden Kindern der Vollmond auf. Dieser Mond, der schon so viel über dem Leben aufgegangen ist, sagt uns: Solange die Sonne mich bescheint – religiös gesagt: solange die göttliche Gnade das Leben bescheint –, geht das Spiel des Lebens weiter, ein Spiel für die Hoffnung. Und diese Hoffnung ist auch die Aussage von Klosterplatz und Klosterfassade.
 

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