"Sooft etwas Wichtiges im Kloster zu behandeln ist, soll der Abt die ganze Gemeinschaft zusammenrufen und selbst darlegen, worum es geht. Er soll den Rat der Brüder anhören und dann mit sich selbst zu Rate gehen. Was er für zuträglicher hält, das tue er." RB 3,1
„So, dann entscheide ich das jetzt!“ – Wie schnell greifen nicht wir alle in Konfliktsituationen zu diesem autoritären Reflex? Dieses tief im Menschen wurzelnden Bedürfnisses nach Macht ist sich auch die Benediktsregel in ihrem äusserst ausgeklügelten System der Entscheidungsfindung bewusst. Was moderne demokratische Rechtsstaaten durch Gewaltenteilung und Machtverteilung auszugleichen versuchen, fängt die Regula Benedicti nicht nur durch intensive Anhörungsrechte, sondern insbesondere durch den Ratschluss des Abtes mit sich selber auf. Was erstmal befremdlich klingen mag, ist nicht nur in der Geschichte des Mönchtums tief verwurzelt, sondern auch Ausdruck zweier grosser Schätze, die das Christentum bewahrt:
Der erste Schatz ist das schon in der jüdischen Tradition tief verwurzelte Vertrauen Gottes in das Individuum und seine Handlungsfähigkeit. Dieses tiefe Zutrauen in den Menschen äussert sich durch die gesamte Heilsgeschichte hindurch: Immer wieder vertraut Gott uns Menschen die Schöpfung und uns untereinander an, weil er uns für handlungsfähig in unserer Freiheit hält (vgl. nur Gal 5,1). Diese Freiheit kommt jedoch nicht ohne Verantwortung, was unmittelbar zum zweiten Schatz führt, nämlich zu jenem der Unterscheidung der Geister. Dass diese Unterscheidung bisweilen ein mühevoller Prozess sein kann, davon weiss schon der Psalmist im Psalm 119,45 zu berichten: „Und ich werde wandeln in weitem Raum, denn nach deinen Vorschriften habe ich geforscht.“ Ja, sicherlich das Prüfen der Geister, „ob sie aus Gott sind“ (1 Petr 4,11 par. RB 53,1) ist ein schwieriger Prozess, doch genau in diesem Prozess der Entscheidungsfindung lässt uns Gott nicht allein, wie Benedikt weiss, sind uns doch immer Menschen beratend zur Seite gestellt, deren Rat wir uns anhören können, sollen, dürfen und müssen. Und so ist es lohnend, bei relevanten Sachfragen einen Schritt zurückzutreten, die Verantwortung erstmal auf viele zu verteilen, um dann im Gebet mit Gott und im Ratschluss mit sich selbst den richtigen Weg zu finden.
David Johann Deselaers, 23-jährig, studiert Katholische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.