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In der Kolumne «Meine Benediktsregel» teilen verschiedene Autorinnen und Autoren, die mit unserem Kloster verbunden sind, in kurzen Texten ihre Gedanken darüber, wie sie die Benediktsregel als Inspiration für ihr Leben ausserhalb von Klostermauern zu nutzen versuchen. 

«Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus»

Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen." Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüdern im Glauben und den Pilgern. Sobald ein Gast gemeldet wird, sollen ihm daher der Obere und die Brüder voll dienstbereiter Liebe entgegeneilen. Zuerst sollen sie miteinander beten und dann als Zeichen der Gemeinschaft den Friedenskuss austauschen. Diesen Friedenskuss darf man wegen der Täuschung des Teufels erst nach dem Gebet geben. Allen Gästen begegne man bei der Begrüßung und beim Abschied in tiefer Demut: man verneige sich, werfe sich ganz zu Boden und verehre so in ihnen Christus, der in Wahrheit aufgenommen wird. Benediktsregel, Kapitel 53

Dass Benedikt den hospes, wörtlich den nicht der Gemeinschaft Zugehörigen, also den Fremden, und damit auch der Gastfreundschaft eine so zentrale Rolle in seiner – auf eine erst einmal geschlossene Gemeinschaft – ausgerichtete Regel zugesteht, ist zwar historisch bemerkenswert, aber in Hinblick auf die jüdisch-christliche Tradition kein Wunder, stehen doch Ausgrenzungs- und Fremdheitserfahrungen im Zentrum unserer Heilsgeschichte: Verwiesen sei nur auf die Bedrängnis der Israeliten unter dem Joch des Pharao (Ex 3,7 ff.), die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten (Mt 2,13-15) oder das Fremdsein gar in der eigenen Heimat der Israeliten nach dem babylonischen Exil (Esr 1,3). All dies waren sicherlich nicht allein aufgrund der politischen Umstände schwer zu bewältigende Situationen, sondern auch – und vor allem – aufgrund der kulturellen Differenzen. Wissen wir nicht alle, wie schwer es ist, sich in einem neuen Land, einer anderen Stadt oder nur schon einem anderen Ortsteil neu einzuleben? Wie schwer muss es also erst gewesen sein, sich nach Jahren des Exils in einer neu fremd gewordenen Heimat zurechtzufinden? Die Schwierigkeiten des Einfindens in dieser neu fremd gewordenen Heimat, das Erfahren einer höchst beschwerlichen Reise nach einer anstrengenden Geburt sowie die Reise von der einen provisorischen Heimstätte in die nächste können uns Erfahrungsschätze sein dafür, wie beschwerlich das (scheinbar so komfortable) Gast-Sein sein kann.

Und so steht der Auftrag Benedikts nach der Wohlbehandlung der Gäste in einer langen Tradition, die auch für uns zum Auftrag werden kann: Begegnen nicht auch wir stetig Menschen, die fremd sind in unserer Heimat? Die ihre Heimat verlassen haben und jetzt hier zu Gast sind – ganz gleich, ob freiwillig oder unfreiwillig? Auch wir müssen uns dabei fragen, wie wir diesen Menschen, die vielfach ja nicht nur bei uns fremd sind, sondern die auch wiederum uns fremd sind, begegnen. 

Sicherlich ist der Anspruch des heiligen Benedikt bei der Bewältigung dieser Aufgabe unermesslich hoch (wie empfängt man schon Gott?), aber mit diesem Anspruch vor Augen und unseren eigenen Fremdheitserfahrungen im Sinn können und dürfen wir hoffen, dass der Fremde unser Nächster (Lk 10,29 ff.) wird.

Zum Autor: David Johann Deselaers, 23-jährig, studiert Katholische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
 

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