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Der General der Schweizer Armee, Henri Guisan, besucht auf dem Brüel vor dem Kloster ein Truppenmanöver.

80 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa: Einsiedeln und der Krieg

Das Kloster Einsiedeln und der Zweite Weltkrieg 1939-1945

Heute vor achtzig Jahren, am 8. Mai 1945 verkündeten die Kirchenglocken in der ganzen Schweiz Freudvolles: Der Zweite Weltkrieg, der die Welt in den vorangegangenen sechs Jahren in Atem gehalten hatte, ist endlich vorbei. Aus Anlass zu diesem Jahrestag wird anhand von Ausgaben des „Konventglöckli“, der internen Hauszeitung, Jahresberichten der Stiftsschule sowie Erzählungen inzwischen verstorbener Mitbrüder ein kleiner, keinesfalls abschliessender Einblick in den Alltag im Kloster Einsiedeln während diesen sechs Jahren gezeigt.

Der Zweite Weltkrieg begann am 1. September 1939 mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen. Zu diesem Tag steht im Konventglöckli: „1/4 vor 1 Uhr wird – es geht einem durch Mark u. Bein – mit allen Glocken Sturm geläutet, weil morgen der 1. Mobilisationstag ist. Der so lang gefürchtete Weltkrieg ist nun doch ausgebrochen, u. kein Sterblicher auf Erden weiss, was er bringt. [...] So klinge denn bei allen Litaneien und bei allen Ave Maria aus unserer tiefsten Seele die Bitte heraus: Erbarme Dich unser! Bitte für uns! Dann wollen wir den Herrgott schalten und walten lassen. Und unsere Landesmutter wird auch ihr Bestes tun.“ Um Gottes Schutz und Beistand zu erflehen, wurden etwa am 10. September die sogenannten „Einsiedler Friedensgebetswochen“ eröffnet, während mit der selben Bittintention auch am 28. April 1940 eine Reliquienprozession durch das Dorf gehalten wurde, wozu im Konventglöckli vertrauensvoll geschrieben steht: „Wenn unsere Gnadenmutter u. all die Schutzheiligen für uns bitten dürfen, setzen sie es schon durch.“ Auch von auswärts kamen „der Kriegszeit wegen“ verschiedene Pilgergruppen, um für den Erhalt des Friedens zu beten, etwa am 30. Juni 1940 die Glarner mit rund 1'000 Teilnehmern.  Des Weitern legte Abt Ignaz mit der Bitte um Verschonung vor Kriegsschaden das Gelübde ab, allmonatlich am Herz-Jesu-Freitag ein feierliches Konventamt und eine feierliche Komplet zu halten. Dieses Versprechen wird bis auf den heutigen Tag eingehalten.

Vorbereitungen für den Ernstfall

Um für den Ernstfall vorbereitet zu sein, wurden Alarm- und Luftschutzübungen durchgeführt, Verdunkelung geübt (dies bereits vor Kriegsausbruch) und Evakuierungspläne ausgearbeitet. Eine weitere Folge des Kriegsausbruchs war der Marschbefehl an einige Novizen, während auch viele Knechte des Klosters den Waffenrock nehmen mussten, sodass sie beim Heuen durch Brüder und Fratres oder Studenten – sie bekamen dafür einen Franken Stundenlohn – ersetzt werden mussten; auch beinahe alle Pferde der Statthalterei wurden aus dem Stall geholt. Wie überall im Land waren auch in Einsiedeln Soldaten stationiert, die auch an verschiedenen religiösen Veranstaltungen teilnahmen, etwa am Fronleichnamsfest 1940 oder an Soldaten-Maiandachten. Aus Rücksicht ihnen gegenüber wurde im Frühling 1940 auf Wunsch des hohen Militärs das Läuten der Glocken vor der Vesper und Mette auf fünf Minuten verkürzt, was jedoch im Herbst des folgenden Jahres wieder rückgängig gemacht wurde. Auch anderweitig musste man durch das Militär Einschränkungen hinnehmen; so konnte etwa wegen des Militärs die Sommerlässe 1940 nicht in Pfäffikon gehalten werden, sodass man diese zu Hause mit ganztägigen Ausflügen in die nähere Umgebung verbrachte.

Einschränkungen durch den Krieg

Weitere Einschränkungen gab es – wie überall im Land – durch die Lebensmittelrationierung auch an Speisen; aus den im Ersten Weltkrieg begangenen Fehlern gelernt, wurde diese bereits zu Beginn des Krieges, am 20. Oktober 1939, eingeführt, während dessen Verlauf – je nach vorhandenem Angebot – ständig angepasst und über den Krieg hinaus bis in den Sommer 1948 beibehalten. Anfangs wurden dabei nur einige Lebensmittel rationiert, zu denen im Laufe der Zeit immer mehr hinzukamen, nie hingegen – was in ganz Europa einzigartig war – Kartoffeln, Obst und Gemüse. Milch und Brot kamen so erst Mitte Oktober 1942 auf die Liste der rationierten Produkte, wozu im Konventglöckli zum 16. Oktober die Weisung gegeben wurde: „Vor dem Frühstück fasst man 225gr.; man muss den ganzen Tag damit auskommen. Kein Mutschli mehr.“

Hunger musste indes niemand leiden, doch hatte man sich auf einfache Mahlzeiten umzustellen, die fortan oftmals aus Stockfisch und Kartoffeln bestanden. Letztere wurden, in einem im Einsiedler Hochtal bisher ungesehenen Mass, im Rahmen des sogenannten „Plan Wahlen“, dem Plan der Bundesregierung zur Selbstversorgung des Landes, auch innerhalb der Klostermauern angepflanzt, wozu neben den verschiedenen Gärten auch der grosse Sportrasen der Stiftsschule herhalten musste. Neben den Nahrungsmitteln war auch Kohle rationiert, sodass auch im Winter sehr sparsam mit diesem Heizmaterial umgegangen werden musste. So waren die Fratres jeweils froh, wenn Soldaten ins Kloster duschen kamen und dafür eine Wagenladung Kohle mitbrachten, sodass auch der klösterliche Nachwuchs wieder einmal unter warmes Wasser stehen konnten; wegen Mangel an Kohlen wurden auch in den Kriegsjahren an der Stiftsschule die sonst ungefähr zehntägigen Weihnachtsferien auf bis zu einem vollen Monat ausgedehnt, wohingegen die Osterferien etwas gekürzt wurden. Ein weiterer Bestandteil des Plans Wahlen war die behördlich verordnete Einlagerung von Lebensmitteln, sodass in den Gängen der Stiftsschule – etwa in jenem zum Theater – haufenweise fremde Zuckersäcke gelagert wurden, die von den Schülern in ihrer Liebe zu Süssem gerne angebohrt wurden.

Folgen für den Betrieb der Stiftsschule

Wie bereits angetönt, hatte der Krieg auch auf den Betrieb der Stiftsschule unliebsame Auswirkungen: So wurde der Unterricht – wie es im Bericht zum Schuljahr 1939/40 heisst – „in den obersten Klassen [...] durch ein beständiges Kommen und Gehen nicht wenig beeinträchtigt [...]. Denn von den 43 Maturanden standen zu Beginn des Schuljahres 21 im Feld, und ihre Beurlaubung war sehr ungleich. Auch von der 6. und 7. Klasse hatten im Laufe des Jahres ein Dutzend und mehr in die Rekrutenschule oder in den Aktivdienst einzurücken.“ Um dieser aussergewöhnlichen Doppelbelastung der jungen Männer entgegenzukommen, führte man Maturitätserleichterungen ein, sodass im Sommer 1940 28 Maturanden wegen des Militärdienstes von den mündlichen Maturitätsprüfungen dispensiert waren. Der Mangel an Schülern der oberen Klassen stellte vor allem auch für die traditionellen Schulaufführungen eine Beeinträchtigung dar; so konnte etwa an der Fasnacht 1940 statt der gewohnten Oper nur ein Singspiel aufgeführt werden, das lediglich ungebrochene Stimmen benötigte. Mit welchem Ernst dieser Militärdienst verbunden war, zeigt etwa die Tatsache, dass dabei drei Stiftsschüler ihr Leben verloren, zwei von ihnen als deutsche Staatsangehörige im Russlandfeldzug.

Weitere Berührungspunkte zwischen Schule und Militär war darin gegeben, dass man für die Wehrmänner die damals neue Turnhalle und die Badeeinrichtungen zur Verfügung stellen musste, während im übrigen Kloster den Feldgrauen die Stallungen und sämtliche Werkstätten überlassen werden mussten. Zwischen den Soldaten und den Schülern herrschte indes eine freundschaftliche Atmosphäre: Während die Wehrmänner im Schultheater oder im Fürstensaal – heute „Grosser Saal“ genannt – gemütliche und bildende Unterhaltungen aufführten, revanchierte sich die Schule dann und wann mit musikalisch-theatralischen Darbietungen. Doch nicht nur Angehörige der Schweizer Armee konnten sich an solchen Aufführungen erfreuen: Mehrmals gaben die Musiker des Stiftes und der Schule auch internierten Polen ein kleines Konzert. Vor ungleich viel illustrem Publikum durfte man – bereits nach dem Krieg – am 5. Juni 1945 aufspielen, als General Henri Guisan zu Besuch kam.

Tuchfühlung mit dem Krieg

Über das politische Weltgeschehen und den eigentlichen Kriegsverlauf informierten sich die Schüler aus den Medien, vor allem aus der Tageszeitung „Vaterland“, die einige Schüler gemeinsam abonniert hatten, oder über den Schweizerischen Landessender Beromünster, dessen Nachrichten jeweils am Mittag über Lautsprecher in die Rekreationsräume übertragen wurden. Dabei wurden die neuesten Informationen auch rege miteinander diskutiert, vor allem in besonders brenzligen Momenten wie etwa dem Beginn des deutschen Westfeldzuges im Mai 1940, als man – nun völlig von den Achsenmächten eingekesselt – einen Einmarsch der Deutschen auch in die Schweiz befürchtete. Dass solche Befürchtungen auch von den Obern des Klosters geteilt wurden, zeigt etwa die Aktion am Pfingstmontag 1940 (13. Mai), als man mit den Schülern in einer Menschenkette – auch Abt Ignaz half mit – die Bücher aus der Bibliothek in den Kabiskeller brachte.

Die Schülerschar scheint damit weit besser über das Kriegsgeschehen informiert gewesen zu sein als gewisse Teile des Konvents, etwa der klösterliche Nachwuchs. Das lag vor allem daran, dass damals nur die Musiker ein Radiogerät besitzen durften. So war der am Sonntagabend vorgelesene Frontartikel aus dem „Vaterland“ von Redaktor Franz Karl Zust für viele die einzige Informationsquelle. Im Gegensatz zu den Schülern diskutierte man so – jedenfalls unter den Fratres – kaum über Einzelheiten des Krieges. Eine Gelegenheit, sich durch Augenzeugen ein Bild vom Krieg zu machen, hatte indes der Konvent dank einigen Mönchen aus europäischen Klöstern, die als Flüchtlinge im Kloster Asyl gefunden hatten.

Einer der wenigen direkten Berührungspunkte mit dem Krieg war der Absturz eines englischen Flugzeugs in den frühen Morgenstunden des 26. Februar 1944 bei Euthal in den Sihlsee, wobei von den sechs Mann Besatzung einer den Tod fand. Im Konventglöckli heisst es dazu: „Zwischen dem Grossbach u. Steinbach rettete sich der letzte Insasse mittels Fallschirm in den gefrorenen See u. brachte mehrere Bomben zur Explosion. Der Krach u. die Erschütterung waren furchtbar. Im Grosser Pfarrhaus wurden 28 Scheiben eingedrückt. Auch unser Kloster wurde stark geschüttelt, so dass wohl die meisten Schläfer geweckt u. erschreckt wurden. Eine schwache Ahnung von den Kriegsbombardierungen!

Diese Begegnung mit einem fremden Flugzeug blieb indes weitaus nicht die einzige: Im gleichen Sommer gab es in Einsiedeln zwischen dem 15. und 31. Juli 1944 vielmehr 22 Fliegeralarme, bis zum 2. Januar gar deren über 250, wobei es glücklicherweise nie zu einem ernsthaften Zwischenfall kam, entgegen beispielsweise der versehentlichen Bombardierung durch amerikanische Bomber von Schaffhausen am 1. April 1944 mit vierzig Toten und über hundert Verletzten, oder jener der Städte Basel und Zürich am 4. März 1945, bei der fünf Menschen starben. So kam Einsiedeln und das Kloster – wie die ganze übrige Schweiz – bekanntlich recht glimpflich davon; auch die Propstei St. Gerold, die Einsiedler Besitzung im österreichischen Vorarlberg, die die Schweizer Patres 1939 und 1942 als „unerwünschte Ausländer“ verlassen mussten und fortan von einem Konventualen des Klosters Wettingen-Mehrerau bei Bregenz verwaltet wurde, konnte nach dem Krieg 1947 unbeschädigt wieder übernommen werden.

So vergass man im Mai 1945 ob der Freude über das Ende des Krieges auch nicht, Gott für die Bewahrung vor grösserem Unheil zu danken; so veranstaltete das Kloster und die Pfarrei am 10. Mai eine gemeinsame religiöse Friedensfeier mit Prozession und Aussetzung des Allerheiligsten. Gut zwei Wochen später, am 25. Mai wallfahrtete die ganze Schule zusammen mit Abt Ignaz zum Grab des Landespatrons Bruder Klaus, wo sie auf die Klassen aus dem ebenfalls von Einsiedler Mönchen geführten Asconeser Collegio Papio stiess, um mit ihnen zusammen – wie es im Jahresbericht 1944/45 steht – „dem Schützer des Vaterlandes Dank zu sagen“.

P. Thomas Fässler

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