Der 8. November ist der Tag des seligen Heimgangs des dritten Abtes von Einsiedeln: Gregor. Im Dreigestirn der ersten drei Äbte unseres Klosters war er der am hellsten leuchtende Stern, der seinen Mönchen, seinen Zeitgenossen und den nachfolgenden Generationen Licht und Orientierung schenkte.
Über Gregors Herkunft ranken sich Legenden. Doch es spricht einiges dafür, dass die traditionelle Herkunftsangabe «England» zutreffen könnte. Allerdings muss die Angabe seines Standes und familiären Hintergrunds mit «Königssohn» eher der Legende als der Realität zugeschrieben werden. Dennoch schreibt auch Abt Georg (1927-2012) in seinem Standardwerk «Kloster und Kirche Unserer Lieben Frau von Einsiedeln» über den heutigen Tagesheiligen: «949 kommt der Engländer Gregor nach Einsiedeln, wie es später heisst von Rom her, das das Wallfahrtsziel vieler Engländer ist. Nach Einsiedler Überlieferung ist Gregor ein Bruder von König Aethelstan von Wessex. Edgith (Editha), eine Halbschwester Aethelstans, wird 929 Gemahlin von König Otto I., dem späteren Kaiser. Bischof Kynewald von Worcester bringt sie nach Deutschland und besucht bei dieser Gelegenheit St. Gallen. Im Gefolge Edithas findet sich ein englischer Kaplan. Editha stirbt 946. Drei Jahre später findet sich der hochgebildete Gregor im Kloster von Abt Eberhard ein, der noch neun Jahre lang sein Abt sein wird». Bei der Lektüre dieser Zeilen merkt man, dass beim Beschreiben des Weges dieses ominösen Gregor nach Einsiedeln zwei Überlieferungsstränge verwoben worden sind. Wir werden Abt Gregor einmal im Himmel fragen können, ob er nun ein englischer Prinz oder doch nur ein einfacher englischer Kaplan war…
Viel wichtiger – und historisch gesichert! – ist das, was Abt Georg Holzherr weiter schreibt: «In der 32-jährigen Amtszeit Gregors (964-996) entfaltet das ‘Wald-Kloster’ seine grösste innere Kraft. Das wird von den führenden Kräften des Reiches, der engeren Heimat und der Kirche gefördert. Von überall her treffen Schüler ein, um die regeltreue Klosterpraxis kennen zu lernen und sich ausbilden zu lassen. Zu nennen ist besonders der hl. Wolfgang, ein Schwabe».
Dieser Wolfgang (924-994, Festtag am 31. Oktober) wird als Bischof von Regensburg der wohl bekannteste Einsiedler Mönch in der himmlischen Schar der Heiligen. Ohne den seligen Abt Gregor, der die Weitsicht hatte, diesen begabten Schwaben nach einigen Jahren für grössere Aufgaben wieder «freizugeben», wäre die Biografie dieses bekannten Heiligen bestimmt ganz anders verlaufen…
Wie bereits erwähnt, stand Abt Gregor einem blühenden Kloster vor. Hier folgt unsere Einsiedler Klostergeschichte einer Art geistlichen Gesetzmässigkeit: Gute Äbte bringen gute Gemeinschaften hervor – und umgekehrt. Dem blühenden Klosterleben entsprach auch seine wirtschaftliche Blüte, die durch grosszügige Schenkungen unterstützt wurde. Auch wurde unter Abt Gregor im Jahr 987 die erste Einsiedler Klosterkirche erweitert. Sein hohes Ansehen unter den Zeitgenossen zeigt sich auch darin, dass Herzog Hermann II. von Schwaben 992 nach Einsiedeln kam, damit Abt Gregor seinem Sohn Berchtold aus der Taufe heben konnte. Am 8. November 996 starb Abt Georg und hinterliess seinem Nachfolger Wirunt als viertem Abt von Einsiedeln eine starke Gemeinschaft mit grosser Ausstrahlung. In einer Zeit, als sich ein formeller Heiligsprechungsprozess gerade erst zu entwickeln begann, war die ihm erwiesene Verehrung massgeblich – wiederum mit Worten von Abt Georg Holzherr: «Nach seinem Tod wird Gregor hinter dem Mauritiusaltar, beim Eingang der Krypta, beigesetzt. An seinem Grab brennt später ständig eine Lampe. In der Klosterkirche wird ihm ein Altar geweiht».
Der selige Gregor ermutigt uns, mit den uns geschenkten Talenten zu arbeiten, mutige Entscheidungen zu treffen und andere Menschen bei ihrer Entwicklung und Entfaltung zu helfen, auch wenn es manchmal bedeutet, sie ihre eigenen Wege gehen zu lassen – im Vertrauen darauf, dass Gott uns alle zum Ziel führt.
Seliger Gregor, bitte für uns!
Zum Autor: P. Philipp Steiner OSB ist Mönch des Klosters Einsiedeln und hier für den Wallfahrtsbetrieb und die Klosterkirche verantwortlich. Seit seiner Kindheit üben die Heiligen eine grosse Faszination auf ihn aus.