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Unsere Weihnachtspredigten am 24./25./26. Dezember 2024

Predigt von Abt Urban Federer in der Mitternachtsmesse am 24. Dezember 2024

Liebe weihnachtlich gestimmte Festgemeinde hier in der Kirche oder zu Hause am Bildschirm!

Sind Sie gut darin, Zeichen zu lesen? Konnten Sie heute Abend etwa anhand der Grösse des Geschenks erahnen, was Sie bekommen? Oder wussten Sie um das Geschenk, weil Sie die Person gut kennen, die Ihnen dieses machte? Im Nachhinein sind Zeichen immer einfach zu lesen. Aber im Voraus: Können wir Zeichen auch richtig deuten? 

Es ist uns von Krippenspielen her vertraut, dass die Hirten zur Krippe laufen, nachdem ihnen die Engel die Geburt Christi angekündigt hatten. Warum aber wussten die Hirten, wohin ge-nau sie eilen sollten? Das Evangelium sagt dazu: «Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.» Stellen Sie sich vor, Sie müssten ein Kind suchen, das Windeln trägt! Ein Kind in einer Futterkrippe zu finden, dürfte in unseren Breitengrade tatsächlich schwierig sein, aber war das damals in Bethlehem so selten? Die Hirten hatten eigentlich zu wenige Anhaltspunkte, das Christkind zu finden. Was hätten sie denn bei Google Maps eingeben können, hätte es das schon gegeben? Die Hir-ten finden das Christkind trotzdem. Warum? Weil die Weihnachtsbotschaft sie getroffen hat. 

«Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.» Für damalige Ohren steckt so viel in diesen Worten der Engel, dass wir heute gar nicht recht be-greifen können, warum die Hirten das Kind in der Krippe unbedingt finden wollten – und ihn darum auch gefunden haben. Nur schon das Erwähnen des Namens David liess die Hirten aufhorchen: Auch sie erwarteten aus dem Stamm Davids den Messias-König, der ein ewiges, gerechtes, freies und friedliches Reich aufbauen würde. Das trifft auf diesen Neugeborenen zu, sagen ihnen die Engel. Und er ist auf Griechisch der «sōtēr», das heisst auf Deutsch: der Retter, der Heilbringer. In der Antike nannten sich Herrscher «sōtēr». Und die Menschen fragten sich ähnlich wie heute: Ja bringen uns diese Herrscher wirklich Heil, oder sprechen sie nur davon und es ändert sich doch nichts? 

Wer steht den wirklich für Hirten ein? Hirten und Zöllner wurden damals von den herrschen-den Kreisen gering geschätzt und waren darum oft sozial benachteiligt. Die Hirten brauchte es zwar, aber auf sie wurde auch herabgeschaut, weil sie sich wegen ihrer Arbeit nicht an alle religiösen Gebote halten konnten. So mussten sie am Sabbat arbeiten, was gegen jede Regel war. Die Engel wenden sich an Weihnachten also zuerst denen zu, die ausgegrenzt sind und die von Menschen nicht viel erwarten. Umso mehr sehnen sie sich nach einem richtigen Heils-bringer, nach einem, der sie aus ihrer Insolation herausholt und ihre tiefsten Verletzungen heilt. Und so singen wir ja auch heute noch im «Stille Nacht», dass der «sōtēr», der Retter sich allen Menschen zuwendet, dass ihm jeder Mensch wichtig ist: (2. Strophe:) «Hirten erst kundgemacht: Christ, der Retter ist da.» 

«Er ist der Christus, der Herr», sagen die Engel ja auch noch. Christus heisst der Gesalbte, hebräisch: der Messias. Dieses Kind ist wirklich der verheissene Friedens-König, bestätigen die Engel. Und sie sagen noch mehr: Er ist der Herr. In diesem kleinen schwingt die ganze Geschichte des jüdischen Volkes mit. Immer, wenn in der Bibel der Gottesname auftaucht, sagen die Gläubigen hebräisch «Adonai», zu Deutsch eben «Herr». Wenn nun dieses Kind der Herr ist, dann eben der Adonai, Gott selbst. Die Engel wollen den Hirten also eine weitere Enttäuschung ersparen. Der Messias ist nicht einfach ein weiterer Herrscher, der nichts für sie tun wird. Es ist Gott selbst. Und dieser wurde nun in Bethlehem geboren. 

Und so springen die Hirten auf und vertrauen darauf, dass sie das Zeichen der Engel dann schon deuten können, wenn sie nach Bethlehem kommen. Weil sie eine Sehnsucht nach Frie-den haben! Weil sie den Heilbringer erwarten, der ihnen wahren Frieden bringt. Die ersten Zeugen der Geburt Christi sind ausgegrenzte Menschen, die ein Gespür dafür haben, wer ihnen Frieden bringt. Und wirklicher Friede braucht Menschen, die von der weihnachtlichen Botschaft betroffen sind, die sich zur Krippe aufmachen, den göttlichen Frieden zu erfahren, anzubeten, um dann selbst ein Werkzeug dieses Friedens zu sein. So jedenfalls haben wir am Anfang des Gottesdienstes gesungen: «O kommet nach Bethlehem – O lasset uns anbeten den König und Herrn.»

Unsere Welt sehnt sich nach Frieden. Aber die Krippe dieser Welt ist zu oft leer, die Welt droht in ihrem Innersten den Frieden zu verlieren. Uns ist der göttliche Friedenskönig gebo-ren, so deuten wir das Zeichen der Krippe. Wir dürfen uns also beim Verlassen dieser Kirche bei der Krippe erneut treffen lassen vom Frieden, der vom göttlichen Kind ausgehet. Und wie die Hirten damals die Botschaft hörten und losrannten, sucht die Friedensbotschaft auch heu-te eine Antwort: Unser Mittun. Denn Frieden können wir nicht nur fordern. Wir dürfen ihn uns schenken lassen und weitertragen. Lassen wir uns bei der Krippe erneut treffen von der Weihnachtsbotschaft, die uns sagt: «Fürchtet euch nicht, ich verkünde euch eine große Freu-de, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter ge-boren; er ist der Christus, der Herr.»

Predigt von Diakon Fr. Meinrad Maria Hötzel im Pontifikalamt am 25. Dezember 2024

Liebe Schwestern und Brüder,
haben Sie den Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheißt, von dem wir gerade im Buch Jesaja gehört haben, entdeckt? Ich glaube nämlich, dass er hier ist. Oder besser sie, denn hier in Einsiedeln ist es eine Freudenbotin. Schauen Sie doch mal nach oben! Dort in der Weihnachtskuppel können Sie einige Elemente, die im Text erwähnt wurden, entdecken: Mächtige Berge im Hintergrund, über die ihre Schritte die Botin zu uns geführt haben und auch die Trümmer, die zum Jauchzen und Jubeln aufgefordert werden, können Sie erspähen, sie sind zum Stall umfunktioniert. Den Inhalt der Freudenbotschaft finden Sie als Personifikationen von Barmherzigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden, die das verkündete Heil ausmachen, rundum unterhalb des Bildes. Und tatsächlich dürfen Sie sogar mit eigenen Augen sehen, wie Gott, der HERR, zu den Menschen zurückkehrt, denn in der Mitte der Kuppel, in der Laterne, ist dargestellt wie Gottvater mit dem Heiligen Geist vom Himmel her zu uns auf die Erde herabfliegt. Und wer steht im Zentrum von all dem, durch wen kommt diese wahrhaft frohe Botschaft in die Welt? Inzwischen haben Sie sie wohl schon entdeckt: unsere Freudenbotin hier ist Maria, die Mutter Jesu. Passenderweise ist sie in der Weihnachtskuppel auch nicht, wie auf den meisten Weihnachtsbildern, sitzend oder liegend dargestellt, wie man es einer Frau kurz nach einer Geburt durchaus gönnen würde, sondern sie steht, ja kommt den vielen um sie gedrängten Menschen und uns fast noch etwas entgegen und zeigt uns das neugeborene Kind. Josef scheint das Ganze wohl etwas zu früh und zu öffentlich zu sein, jedenfalls eilt er herbei und bringt erst mal eine Windel. Maria hingegen ist ganz davon in Anspruch genommen, ihre Botschaft zu den Menschen zu bringen, denn diese Botschaft von der Erlösung, der Rettung Israels und aller Menschen ist nicht irgendein Inhalt, sondern dieses Kind Jesus – der Name bedeutet auf Hebräisch Gott, der HERR, rettet. Es ist selbst diese frohe Botschaft. Frohe Botschaft heisst übrigens auf Griechisch euangelion. Evangelium meint also nicht die literarische Gattung von vier Büchern der Bibel, sondern das Zeugnis von Jesus Christus, Jesus dem Messias, also dem, der Heil und Erlösung von Gott zu den Menschen bringt, persönlich.

Der Anfang des Johannes-Evangeliums, den wir gerade vernommen haben, zeigt uns diese Einsicht der frühen Christinnen und Christen gut. Von Gott lässt sich nur sprechen, weil er von Anfang an von sich selbst spricht. Dieses Wort Gottes meint aber nicht einfach eine x-beliebige Mitteilung von Inhalt, sondern dass Gott erkennen lässt, wer er ist, was ihn ausmacht und das ist Liebe. Weil wahre Liebe aber immer ein Gegenüber braucht, können wir von diesem Wort, dieser Selbstaussage Gottes mit menschlichen Begriffen wie von der liebenden Beziehung zwischen Vater und Sohn sprechen. Dieser Liebe in sich selbst hat Gott dann mit der Schöpfung Ausdruck verliehen und möchte sie ganz mit dem Guten, mit Licht und Leben erfüllen, wie es ihn ausmacht. Weil Gott dies aber seiner Schöpfung nicht aufzwingt, sondern sich wünscht, dass seine Liebe in Freiheit erwidert wird, kann dies auch verweigert werden, was die Menschen immer wieder taten und tun: «Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.»

Deswegen wählte Gott einen ganz neuen Weg, um seine Liebe zu den Menschen zu bringen. Wir sehen es sehr schön im Fresko unserer Weihnachtskuppel: Gott kommt vom Himmel herabgeflogen und bringt Frieden und Versöhnung, symbolisiert durch Ölzweig und Kreuz. Dass Gott als alter Mann mit Bart dargestellt wird, soll nicht bedeuten, dass er so aussieht. Auch diese Darstellungsweise ist ein Symbol, das bedeutet, dass Gott Vater ist und wir in seinem Sohn an seiner väterlichen Liebe erkennen können, wie Gott ist. Dieser Sohn, die Liebe Gottes selbst wird geboren als Mensch, begegnet uns in Jesus Christus: «Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.»

So beeindruckend das Ganze klingt und vor allem im Kunstwerk von Cosmas Damian Asam bildnerisch dargestellt auch aussieht, kann es doch ziemlich abstrakt bleiben, wenn man nun an die Geburt Jesu Christi nur als Ereignis von vor zweitausend Jahren denkt und diesem Jesus Christus nie begegnet ist. Wie aber sollte man ihm begegnen?

Kehren wir zurück zu unserer Freudenbotin Maria. Sie werden es nur schwer sehen können, aber wenn man Maria mit dem Jesuskind in einer Nahaufnahme betrachtet, erschrickt man. Denn Maria scheint ihr Kind völlig verantwortungslos zu halten: Während ihre linke Hand nämlich nur das Tuch unter dem Kind hält, greift sie dieses selbst nur mit zwei Fingern der rechten Hand an der Hüfte. Vielmehr als dass sie es trägt, präsentiert sie das Kind also wirklich.

Genau die gleiche Geste des Präsentierens werden wir in Kürze hier in der Messe sehen. Abt Urban wird eine Hostie in die Hand nehmen und uns in der gleichen Weise zeigen, wie es Maria hier mit dem Jesuskind tut. Das ist natürlich kein Zufall, sondern damit kommt zum Ausdruck, dass wir mit der Hostie vom Priester wirklich leiblich Jesus Christus gereicht bekommen wie Maria ihn uns als ihren Sohn geben konnte. Marias frohe Botschaft von Frieden und Heil muss also nicht abstrakt bleiben, sondern in der Kommunion, im Empfang des Leibes Christi dürfen wir ihrem Sohn ganz persönlich begegnen, kommt er, kommt der göttliche Friede zu jeder und jedem von uns. Sehr schön ausgedrückt hat dies ein Mitbruder von uns Einsiedler Mönchen, dessen 100. Todestag wir nächstes Jahr mit einem Gedenkjahr feiern werden, Bruder Meinrad Eugster: «Der Friede ist wieder eingekehrt vom Himmel herab. Sei gegrüsst Du liebes Jesuskind. O möchte die ganze Welt diesen Frieden geniessen, so würde alle Not und Elend verschwinden.»

So überraschend und doch passend schreibt Bruder Meinrad davon, den Frieden, der mit dem Jesuskind zu uns kommt, zu geniessen. Damit meint er sicher nicht die Illusion einer heilen Welt, die ignoriert, dass es im Kleinen und Alltäglichen so viele Konflikte und Schwierigkeiten und im Grossen Krieg und Leid in Überzahl gibt. Denn diese Zeilen stammen aus einem Brief vom Dezember 1918, als gerade der Erste Weltkrieg mit einem Friedenschluss zu Ende gegangen war, der sich als so brüchig erwies, wie es auch heute für all die Waffenruhen, Waffenstillstände und versprochenen Friedensverträge der Kriege unserer Zeit zu befürchten gilt. Den wahren Frieden werden wir Menschen nie machen können, sondern wir können ihn nur geniessen in der Begegnung mit echter Liebe. Diese Liebe können wir uns in der persönlichen Begegnung mit Jesus Christus schenken lassen, verkosten, ja wirklich geniessen.

Aber führt das dann nicht einfach zu einem Rückzug in das eigene geistliche Leben, in den Trost meiner persönlichen Spiritualität, die sich vor den Problemen der Welt und den Herausforderungen des Lebens verschliesst? Dieser Bruder Meinrad Eugster, den ich zitiert habe, tat das jedenfalls nicht, sondern beeindruckte seine Mitmenschen durch ein hingebungsvolles Leben an seine Mitmenschen und seine Aufgaben im Kloster. Nach seinem Tod sagte ein Mitbruder über ihn: «Bruder Meinrad war immer so lieb und gütig, so demütig und bescheiden, so freundlich und wohlwollend, dass man sich den göttlichen Heiland, als er auf Erden gewandelt, nicht anders vorstellen könne.» Ist es nicht das, was die Verse aus dem heutigen Evangelium meinen: «Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden»? Wenn wir die frohe Botschaft annehmen, uns den Frieden und die Liebe in Jesus Christus persönlich übergeben lassen, dann können wir selbst zu Botschaften vom Frieden werden, zum Zeugnis von Jesus Christus. Beim Hinausgehen aus der Kirche werden Sie nachher am Ehrengrab von Bruder Meinrad Eugster vorbeikommen und können sich von ihm inspirieren lassen, Jesus, den göttlichen Frieden als Geschenk anzunehmen und weiterzugeben. So möchte ich mit einem Wunsch von Bruder Meinrad schliessen: «Möge das liebe Jesuskind in der armen Krippe Sie bescheren mit der Gnade eines steten inneren Friedens, Frieden mit Gott und in Gott.» Amen.

Predigt von P. Benedict Arpagaus am Stephanstag, 26. Dezember 2024

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben

Am 4. Adventssonntag spielte sich in der Kapelle unserer Klausur folgende Szene ab. Ich betrat für das Mittagsgebet den Raum und weil die Kerzen noch nicht brannten, zündete ich diese an. Zuerst drei Kerzen des Adventskranzes, sodann die Altarkerzen. Die vierte Kerze des Adventskranzes hatte ich schlicht vergessen. Ein aufmerksamer Mitbruder gab mir einen leisen Hinweis, die 4. Kerze doch auch anzuzünden. Und ein Gast, der in der Kapelle die Szene mitverfolgte, machte lachend die Bemerkung: „Gaudete ist halt schön!“ Zur Erinnerung: der dritte Adventssonntag gilt als Sonntag der Vorfreude auf das sich nahende Weihnachtsfest. Früher trug dieser Sonntag deshalb den Namen „Gaudete-Sonntag“. „Gaudete“, dieses lateinische Wort bedeutet: „Freude“. 

Aber weshalb erzähle ich das? Wir stehen doch in der Weihnachtszeit! Weil mit dieser Szene meine heutige Predigt Gestalt angenommen hat.

„Gaudete ist halt schön!“ Ja, Freude ist etwas Schönes und Vorfreude hat ihren besonderen Reiz. Sie beflügelt uns, sie weitet das Herz, sie erfüllt uns mit Lebendigkeit. Dankbar sollen wir solche Momente der Freude annehmen und geniessen. Aber wir kennen das: wer von uns möchte solche Momente der Freude, des Glücks und der Erfüllung nicht gerne festhalten? Nie sollten sie vorbeigehen. Die Apostel Petrus, Jakobus und Johannes machten genau diese Erfahrung auf dem Berg Tabor. Als Jesus sich vor ihren Augen in unbeschreiblichem Lichte verklärte und Mose und Elija erschienen, da wollten sie, ganz benommen von diesem Geschehen und ergriffen von beglückender Freude, drei Hütten bauen – sie wollten bleiben, dieses wunderbare Ereignis festhalten, bei „Gaudete“ stehen bleiben (vgl. Mt 17,4; Mk 9,5; Lk 9,33). Die irdische Realität holte sie schnell wieder ein. Ihr Weg und Auftrag auf Erden waren noch nicht zu Ende. 

Wir haben alle erfahren, wie schnell unsere Hoffnungen zunichte gemacht, unsere Pläne durchkreuzt werden und unsere Träume platzen können. Heute Freude, morgen Trauer. Heute Vitalität, morgen Krankheit. Heute Kreativität, morgen Leere. Heute Liebe, morgen Verlorenheit. Heute Weihnachten, morgen Karfreitag. Jede Freude dieser Welt ist und bleibt eine vorläufige und unvollendete. Das Leben lehrt uns dies zumal bitter und hart. 

Ich habe immer ein bisschen Mühe mit dem Stephanstag. Einfach mal feiern und es schön haben dürfen! Eine ganze Woche Weihnachten ohne irgendwelche störenden Einschübe. Mit Ostern geht das doch auch? Aber nein! Unmittelbar nach dem Geburtsfest Jesu setzt uns der Kirchenkalender einen Märtyrer, den heiligen Stephanus vor. 

Das Kirchenjahr hat mit unserer Lebensrealität zu tun. Wohl auch deshalb liegt der Stephanstag so nah beim Weihnachtsfest, damit wir, bei allen Durch-Kreuzungen unseres Lebens, die Schmerz und Trauer wecken, Weihnachten nicht sogleich aus den Augen verlieren, die Botschaft, dass Gott mit uns ist.
 
Seit ich mich erinnern kann, hat mich der Tod immer beschäftigt. Als Kind, als Jugendlicher. Dabei hat mich nicht die Angst geleitet, aber die Frage, was das denn sei, wie das denn sei. Durch meinen vorklösterlichen Beruf als Pflegefachmann und später vom Kloster aus in der Seelsorge arbeitend, bin ich regelmässig mit Sterben und Tod, mit Trauer und Schmerz konfrontiert gewesen. Ich habe mich seit jungen Jahren für das Thema der Nahtoderfahrung interessiert, habe mir Berichte angehört und Literatur von Ärzten gelesen, die sich zu diesem Thema geäussert haben. Und nun ist mir eine Begegnung mit einem jungen Menschen zuteilgeworden, der selbst eine solche Nahtoderfahrung gemacht hat. Ich bin zutiefst dankbar, dass dieser Mensch seine Erfahrung mit mir zu teilen gewagt hat. Ich bin von der Authentizität seiner Erfahrung überzeugt. Seine mit mir geteilte Erfahrung beglückt mich selbst, wenn ich daran denke. Im Detail kann ich hier nicht darauf eingehen. Aber etwas, was dieser junge Mensch erlebt hat, möchte ich kurz erzählen. Sie werden dann verstehen, warum. Von einem lichtstrahlenden Wesen erzählte der junge Mensch, von einem noch nie zuvor gesehenen intensiven Licht, überaus strahlend und doch nicht blendend, vom Wahrnehmen einer unbeschreiblichen Liebe und Güte – Mutterliebe sei nichts dagegen –, und keinen Schmerz mehr, und natürlich der Wunsch, „dort“ zu bleiben. Er habe eine gütige und klare Stimme gehört: „Mein Sohn, du musst zurück.“ Er habe geantwortet, er wolle nicht zurück, es sei doch jetzt alles gut und er wolle nicht mehr in diesen Schmerz. Die lichtvolle Stimme habe zur Antwort gegeben, dass seine Zeit noch nicht da sei, um zu bleiben. Und wenn er zurückgehe, käme der Schmerz wieder. Aber er solle sich dann erinnern, was er jetzt erfahren habe. Erinnern soll er sich! Genau das tut er nun. Jedes Mal, wenn ein Ereignis ihn niederdrücke und er sich an diese geschenkte Erfahrung erinnere, weiche die Bedrückung und er gewinne neuen Lebensmut. Er habe im Übrigen keine Angst mehr vor dem Tod, was er sonst von Kindheit an immer gehabt habe. Er erinnert sich und wird diese geschenkte Erfahrung nie vergessen. Sie richtet ihn auf, sie trägt ihn, sie macht ihm Mut, das Leben auf Erden zu wagen, seine Gaben einzusetzen, seine Berufung zu leben, vertrauend, dass hier alles nur vorläufig ist und etwas unbeschreiblich Grossartiges auf ihn wartet. Sein Glaube ist nun nicht nur mehr im Kopf, sondern fliesst durch sein ganzes Sein. 

Deshalb steht der Stephanstag unmittelbar nach Weihnachten. Weil das Leben so ist. Heute noch Leichtigkeit und Freude, morgen schon Leid und Tod. Und gerade deshalb sollen wir heute nicht vergessen, dass gestern noch Weihnachten war! Dass wir uns erinnern und feiern und daran festhalten, dass Gott wirklich und wahrhaft mit uns ist: Immanuel! (vgl. Jes 7,14; Mt 1,23). Das richtet uns auf, das trägt uns, das macht uns Mut, das Leben auf Erden zu wagen, unsere von Gott geschenkten Charismen zu leben, unsere Berufung zu erfüllen, trotz allem, was dagegensprechen mag. So gibt es keinen Grund, uns lähmen zu lassen, in Traurigkeit zu versinken, noch träge zu werden und aufzugeben! Das ist der tiefere Sinn des Kirchenjahres mit seinen geprägten Zeiten und besonderen Festen. Nicht die Christen haben diese Haltung erfunden. Wir haben dies vom alten Volk Israel gelernt. Bereits die Israeliten feierten ihre Feste als Erinnerung an die Heilstaten Gottes. Nur geht es für uns heute nicht bloss um eine Erinnerung an ein wichtiges und befreiendes Ereignis, das damals stattgefunden hat. Für uns geht es vielmehr darum, uns im Heute von diesen weihnachtlichen Feierlichkeiten nähren zu lassen für die irdische Pilgerreise, die ein klares Ziel vor Augen hat: Durch Jesus Christus, in der Heiligen Geistkraft, eins zu sein mit dem himmlischen Vater! In der Gemeinschaft der Allerheiligsten Dreifaltigkeit finden wir alles in allem (vgl. 1 Kor 15,28), die Fülle des Lebens, jenseits von Zeit und Raum, eine Wirklichkeit, die unser Denken unendlich übersteigt (vgl. Eph 4,6; Eph 3,19; Phil 4,7). Wir können das hier auf Erden nicht fassen.

Und auch deshalb steht der Stephanstag unmittelbar nach Weihnachten: Stephanus, der gepeinigt seinem Tod entgegensieht, erblickt – gestärkt durch seine Glaubenserfahrungen und verankert in Gottes Wort – noch mehr, nämlich den Himmel offenstehend. Er sieht seinen Herrn und Erlöser, Jesus Christus! Er fokussiert sich ganz und gar auf Christus! 

Für die kommenden Monate und Jahre ist es dringlich, dass wir uns erinnern, an Gottes Verheissungen und an SEINE Menschwerdung, um uns unmissverständlich sagen zu lassen, dass Gott in unbeirrbarer Treue mit uns ist! Gerade heute, am Stephanstag, sollen wir uns erinnern, dass gestern Weihnachten war! Und eigentlich gilt es hier anzufügen: Wir sollen uns auch in Erinnerung rufen, dass selbst Weihnachten eine vorläufige Freude ist. Denn Weihnachten möchte uns weiterziehen, zum endgültigen Finale: das ewige Ostern. Amen. 

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