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Predigt von P. Patrick Weisser am 3. Adventssonntag 2024

Wie Kaiser Augustus oder König Herodes, so ist auch Johannes der Täufer eine historische Gestalt. Es hat ihn wirklich gegeben. Nicht nur alle vier Evangelien erzählen von ihm; es gibt auch ausserbiblische Quellen, die ihn erwähnen.

Um Johannes den Täufer und seine Botschaft besser zu verstehen, vergleichen wir seine Gestalt mit anderen Bewegungen und Glaubensrichtungen, die damals, im 1. Jahrhundert n.Chr., bei den Juden verbreitet sind.

Da sind zunächst einmal die so genannten Sadduzäer. Sie sind die religiöse Elite im Land. Sie sind zuständig für den Opferkult und die religiösen Feiern im Tempel von Jerusalem. Sie sitzen im Hohen Rat und stellen die Hohenpriester.

Seit Palästina unter römischer Herrschaft ist, müssen die Sadduzäer mit den Römern zusammenarbeiten. Weil sie ihre Macht möglichst behalten wollen, müssen sie bei den Römern für gute Stimmung sorgen. Dieses Paktieren macht die Sadduzäer in den Augen vieler Juden unglaubwürdig.

Zu den gläubigen Juden, die den Tempelkult kritisieren, gehören die Pharisäer. Sie versuchen, fern vom Tempel ein religiöses Leben zu führen, streng nach der Tora, dem jüdischen Gesetz. Sie lehnen den Opferkult ab, betonen dafür die rigorose Einhaltung der religiösen Gesetze. Politisch stehen die Pharisäer den Römern feindlich gegenüber.

Das tut auch eine andere religiöse Gruppe jener Zeit, die Essener. Sie ziehen sich in die Wüste am Toten Meer zurück und führen dort ein strenges religiöses Gemeinschaftsleben, ähnlich wie in den späteren christlichen Klöstern.

Die Essener sind trotz ihres Rückzuges aus der Gesellschaft alles andere als unpolitisch. Sie erwarten nämlich einen kommenden Retter, mit dem sie als „Kinder des Lichtes“ den Krieg gegen die „Kinder der Finsternis“ aufnehmen wollen.

Damit kommen wir zu den Messias-Gestalten jener Zeit. Die gläubigen Juden sind der Ansicht, dass Gott selbst sein Volk führen müsse. Deshalb lehnen sie die römische Besatzung ab. Sie hoffen auf einen Messias, einen Gesandten Gottes, der die Römer mit Gewalt aus dem Land vertreiben und, wie einst König David, als politischer Herrscher an Gottes Stelle regieren wird. Messias-Gestalten, die genau das verwirklichen wollen, gibt es damals mehrere, und sie haben viele Anhänger.

In dieser politisch angespannten Zeit mit den genannten unterschiedlichen religiösen Gruppierungen tritt nun Johannes der Täufer auf. Er verkündigt das bevorstehende Gericht Gottes und ruft die Menschen zur Umkehr. Zum Zeichen dieser Umkehr tauft Johannes die Menschen am Jordan.

Das Besondere an Johannes dem Täufer und seiner Verkündigung ist: Johannes verkündet Gottes Erbarmen unabhängig vom Tempel und seinem Kult, unabhängig auch vom bisherigen religiösen Leben der Menschen. Damit bietet Johannes zu den bestehenden Formen religiösen Lebens eine echte Alternative: Jeder Mensch hat Zugang zu Gottes Erbarmen. ---

Es lohnt sich, einmal der Frage nachzugehen: Welcher dieser Gruppen und Bewegungen fühlen wir uns spontan am meisten verbunden?

Setzen wir uns nicht zu schnell auf die Seite von Johannes und später von Jesus. Es ist nämlich gut möglich, dass wir trotz unseres christlichen Glaubens ähnlich denken wie die Sadduzäer, die Pharisäer, die Essener oder die Messias-Gestalten. Schauen wir das genauer an.

Der Sadduzäer in uns identifiziert sich mit dem kirchlichen Kult, mit der Hierarchie, dem Ansehen und der Macht der Kirche. Er möchte gern gesehen und geachtet werden als wichtiges Glied einer wichtigen Institution. Er reagiert empfindlich auf Kritik an Kirche und Tradition. Und er möchte, dass alles so bleibt, wie es angeblich immer war.

Der Pharisäer in uns reduziert das religiöse Leben auf Gesetz und Moral. Etwas kleinlich beobachtet er sich selbst und andere; er vergleicht beständig. Er ist stolz darauf, besser und religiöser zu sein als andere, und schaut gern verächtlich auf andere herab. Er ist sehr stolz auf seine Frömmigkeit.

Der Essener in uns zieht sich zurück. Er ist aber innerlich voll Groll auf die bestehenden Verhältnisse und hofft auf einen gewaltigen Umbruch. Seine Zurückgezogenheit ist nicht friedlich, sondern aggressiv und engstirnig. Er denkt nach dem Schema von Gut und Bös und hält sich selbst natürlich für gut.

Der Messias in uns ruft zu Reformen in Kirche und Gesellschaft auf. Er hält sich für befugt, seine Ideen durchzusetzen, auch gegen Widerstand. Er setzt sich tatkräftig für das ein, was er für gut und richtig hält. So läuft er Gefahr, dass er genauso eng und ungerecht wird wie das, was er vielleicht zu Recht kritisiert und zu ändern wünscht.

Haben wir gefunden, wo wir persönlich am Ehesten stehen? Sind wir Sadduzäer, Pharisäer, Essener, Messias-Gestalten oder eine Mischform von ihnen? ---

Wie auch immer: Johannes der Täufer macht uns ein verlockendes Angebot. Wer auch immer wir sind, wie auch immer wir denken, es ist möglich, umzukehren. Der Weg zur Versöhnung mit Gott steht allen offen.

Johannes der Täufer hat für jeden, der will, ein Angebot; er zeigt jedem einen Weg, sich mit Gott zu versöhnen. Selbst die Zöllner, die wegen ihrer Mitarbeit mit den Mächtigen und wegen ihrer Geldgier von den anderen gehasst werden, bekommen einen guten Rat: „Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.“ Sogar für die gefürchteten Soldaten in fremden Diensten hat Johannes ein gutes Wort: „Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold!“ (Lk 3,13f.)

Dieser Abschnitt aus der Verkündigung Johannes’ des Täufers überliefert uns nur das Lukasevangelium. Lukas zeichnet mehr als die anderen Evangelien Jesus als Freund der Sünder, der Armen, ja sogar der Heiden und Römer. Im Lukasevangelium verkündigt Jesus besonders eindrücklich, dass Gott barmherzig ist. 

Es scheint, dass im heutigen Evangelium das so positive Bild, das Lukas von Jesus zeichnet, auch auf Johannes den Täufer abfärbt. 

Die Botschaft, die Johannes und dann auch Jesus von Nazareth verkündet, ist nicht nur neu, sondern auch überaus wichtig: Egal wo wir im Leben stehen, egal, was uns bedrückt oder belastet, Gottes Barmherzigkeit steht uns immer offen.

Wir Christen glauben: Gott ist barmherzig. Alles andere ist Nebensache. 

Amen.
 

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