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Predigt von P. Mauritius Honegger in der Osternachstfeier 2025

Liebe Mitchristen,

im Lektionar sind für den Wortgottesdienst der Osternacht – sage und schreibe – neun biblische Lesungen vorgesehen – die Psalmen noch nicht einmal eingerechnet. Immerhin fünf davon haben wir in dieser Feier gehört. Ich kenne nur ganz wenige Orte, wo alle neun Lesungen gelesen werden. Es ist möglich, wie wir das gemacht haben, «aus pastoralen Gründen» ein paar Lesungen wegzulassen. Aber bei einer Lesung steht ausdrücklich: Diese Lesung darf nie fehlen. Wissen Sie welche?

Es ist die Lesung aus dem Buch Exodus, die nie fehlen darf: die Erzählung vom Durchzug durch das Rote Meer. Und warum ist das so? Weil diese Lesung das heutige Ereignis, Ostern, die Auferstehung Jesu Christi, mit seinen alttestamentlichen Wurzeln verbindet. Ostern orientiert sich nämlich am jüdischen Pesachfest. Schon der jährlich schwankende Termin ist ein Hinweis dafür. 

Normalerweise sagen wir: Ostern ist am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond. In dieser Formulierung erscheint aber gar nichts mehr von den jüdischen Wurzeln des Festes. Die koptische Kirche definiert den Ostertermin anders: Für die ägyptischen Christen findet Ostern immer am ersten Sonntag nach dem jüdischen Pesachfest statt. In dieser Definition ist das Osterfest nicht abgeschnitten von seinen jüdischen Wurzeln. 

Die Bedeutung des Pesachfestes ist vielschichtig. Wie viele andere Festtermine im jüdischen Kalender war auch Pesach ursprünglich ein Erntedankfest. Das ist für uns hier nördlich der Alpen fast nicht vorstellbar – erleben wir doch erst jetzt langsam das Wiedererwachen der Natur nach der Winterstarre. Aber in Israel, das viel südlicher liegt und an die Wüste grenzt, herrscht ein ganz anderes Klima. Im Winter ist die Regenzeit, wenn die Wiesen grün werden und die Pflanzen wachsen können. Im Sommer hingegen gibt es keinen Regen; die Sonne brennt auf das Land herunter und dörrt alles aus. 

Jetzt im Frühling wird in Israel die Gerste reif. Pesach war deshalb ursprünglich das Erntedankfest anlässlich der Gerstenernte. Ein bisschen klingt das ja noch durch, wenn wir in der Bibel vom Fest der ungesäuerten Brote hören. Aus dem frischen Getreide wurden Brote gebacken und ein besonders schönes Brot, von den Erstlingsfrüchten der Erde, trugen die Gläubigen in den Tempel von Jerusalem und brachten es Gott dar zum Zeichen ihrer Dankbarkeit. 

Der zunächst landwirtschaftlich geprägte jüdische Festkalender wurde später heilsgeschichtlich überlagert und mit markanten Ereignissen aus der Geschichte des Volkes Israel verbunden. Schon zur Zeit Jesu und auch heute noch steht am jüdischen Pesachfest die Befreiung aus der ägyptischen Gefangenschaft im Zentrum. Und eben aus diesem Grund darf die Lesung aus dem Buch Exodus in der Osternacht nie fehlen. 

Wie wichtig das Bewusstsein für die historischen Wurzeln des heutigen Festes auch ist: Wir müssen zugeben, dass der Durchzug durch das Rote Meer auch problematische Seiten hat: Die Vernichtung der Ägypter ist grausam: Eine ganze Armee ertrinkt im Meer. Kann das ein guter Gott sein, der menschliches Leben so leichtfertig zerstört?
Diese Frage stellen wir uns heute, weil wir überzeugt sind, dass jedes menschliche Leben wertvoll ist und geschützt werden muss. Aber wir müssen verstehen, dass der Text aus der Perspektive der Israeliten erzählt wird, dass er nicht neutral ist, sondern dem kollektiven Gedächtnis des Volkes dient.  

Jesus Christus hat schliesslich auch die ertrunkenen Ägypter erlöst. Aber das hatten die Verfasser des Exodus-Buches fast tausend Jahre vor Christ Geburt noch nicht im Blick. Für sie waren die Ägypter mit ihren Streitwagen einfach die grosse Bedrohung, die todbringende Macht, der Inbegriff des Bösen. Vor den Israeliten war das Rote Meer, hinter ihnen rückte mit grosser Geschwindigkeit der Feind heran. Die Israeliten waren in eine Falle geraten, in eine Sackgasse, aus der es keinen Ausweg mehr zu geben schien. 

Dass Gott sein Volk aus einer so gefährlichen Lage doch noch retten konnte, dass er den Israeliten in dieser Ausweglosigkeit doch noch einen Ausweg eröffnet hat – das ist für die Juden bis heute eine unglaubliche Befreiungstat, ein grosses Wunder, ein Zeichen für die unverbrüchliche Treue ihres Gottes. 

Das Pesachfest ist in erster Linie die dankbare Erinnerung an diese Befreiung des Volkes aus der Todesgefahr. Jesus Christus knüpft an diese kollektive Erinnerung an, transformiert und überbietet sie: Bei ihm ist es nicht mehr eine Befreiung aus dem Tod im letzten Moment, sondern eine Befreiung durch den Tod hindurch. Jesus ist nicht im letzten Moment noch vom Kreuz herabgestiegen. Er ist dem Tod nicht entronnen. Aber trotzdem oder gerade deswegen hat er den Tod besiegt. 

Der Tod Jesu am Kreuz, diese scheinbar so schmachvolle Niederlage, hat sich paradoxerweise als ein glorreicher Sieg erwiesen, der allen Menschen den Zugang zum ewigen Leben eröffnet. Jetzt gibt es nicht mehr Sieger und Verlierer. Jetzt gibt es nicht mehr Gerettete und Bestrafte. Jetzt gibt es nicht mehr Israeliten und Ägypter. Ostern hat alle Menschen zu Geretteten gemacht. Alle, die auf Jesus Christus getauft sind, haben auch Anteil an seinem Sieg über den Tod. 

Der Tod Jesu am Kreuz ist eine Befreiung durch den Tod hindurch. Alle Menschen müssen einmal diese Schwelle überschreiten. Der Tod ist unausweichlich. An Ostern hat Jesus Christus uns einen Ausweg eröffnet, der durch den Tod zum Leben führt. 

Damals ist eine ganze Armee im Meer ertrunken. Heute sterben Tausende Flüchtlinge auf der Überfahrt über das Mittelmeer. Ostern kann den sinnlosen Tod dieser Menschen verwandeln. Sie sind hinübergegangen ins Leben bei Gott, der jeden einzelnen Menschen liebt.  

Damals am Roten Meer standen die Israeliten mit dem Rücken zur Wand, vor ihnen das Rote Meer, hinter ihnen der heranrückende Feind. Heute befinden sich, nicht weit vom Roten Meer, Menschen in einer ähnlichen Ausweglosigkeit: Im Gazastreifen haben sie vor sich das Meer, hinter sich Grenzzäune und Panzer, über sich Kampfflugzeuge. Beten wir, dass Gott auch hier ein Wunder wirkt, dass er die Gewalt beendet und Frieden möglich macht. 

Auferstehung bedeutet: Es gibt Hoffnung. Die todbringende Macht des Bösen kann überwunden werden, durch den Ostersieg des Auferstandenen, Jesus Christus, unseren Herrn. Amen. 
 

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