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Predigt von P. Mauritius Honegger am 26. Sonntag im Jahreskreis 2024

Liebe Mitchristen

Der heutige Abschnitt aus dem Markusevangelium ist ein schwieriger Text. Finden Sie das nicht auch? Einerseits zeigt Jesus eine grosse Toleranz und Grosszügigkeit gegenüber Menschen, die Gutes tun, auch wenn sie nicht seine Jünger sind: "Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns", bringt Jesus seine Grundhaltung zum Ausdruck. 

Andererseits sind da auch ungewohnt harte, ja fast erschreckende Worte, die Jesus spricht: "Hau deine Hand ab! Hau deinen Fuss ab! Reiss dein Auge aus!" Jemand soll mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen werden. Hier geht es um Leute, die Böses tun. Gegen das Böse, gegen die Sünde ist Jesus kompromisslos. Da kennt Jesus nur eins: ein Nein mit Entschiedenheit. 

Worüber Jesus hier spricht, ist das Verhalten gegenüber den "Kleinen", wie er sie nennt. Wer einem von diesen Kleinen einen Gefallen tut, auch wenn es nur ein Becher Wasser ist, der wird dafür belohnt werden. Wer aber einem dieser Kleinen Ärgernis gibt, wer sie zum Bösen verführt, der muss mit einer Strafe rechnen. 

Jesus solidarisiert sich also mit diesen sogenannten Kleinen. Er steht auf ihrer Seite. Damit erweist sich Jesus voll und ganz in Übereinstimmung mit der Position Gottes im Alten Testament. Denn schon im Alten Testament hat Gott sich stets auf die Seite der Schwachen und Wehrlosen gestellt und sich zu ihrem Anwalt erklärt. Als Arme und Schwache gelten zur Zeit des Alten Testaments ganz besonders die Witwen und Waisenkinder, Menschen also, die den Schutz einer menschlichen Familie verloren haben, die aus eigener Kraft kaum überleben können, die sich gegen Unrecht nicht wehren können. 

So heisst es etwa in einem Psalmvers: "Gott ist ein Vater der Waisen und ein Anwalt der Witwen" (Ps 68,6). Oder im Buch Exodus: "Ihr sollt keine Witwe oder Waisen ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreien, werde ich auf ihren Klageschrei hören und mein Zorn wird entbrennen" (Ex 22,21-23). 
 
Gott steht auf der Seite der Kleinen, der Armen und Schwachen. Ihr Schicksal ist ihm nicht egal. Diese Linie führt Jesus fort mit seiner Predigt und mit seinen Taten. Immer wieder überrascht er die Leute, weil er sich mit Zöllnern und Prostituierten abgibt, weil er Kinder in die Mitte stellt, weil er sich nicht scheut, die Mächtigen auf ihr ungerechtes Verhalten hinzuweisen. 

Auf dieser Linie ist auch der Jakobusbrief, aus dem wir heute einen bemerkenswerten Abschnitt gelesen haben: Es ist eine Kritik an gewisse reiche Personen. Sie verhalten sich egoistisch. Sie sammeln Schätze, während sie ihren Arbeitern einen Hungerlohn bezahlen. "Der Lohn eurer Arbeiter schreit zum Himmel", heisst es da im Jakobusbrief.  

Als reiches Land hat die Schweiz, haben wir alle eine Verantwortung. Unser Wohlstand darf nicht auf Kosten der Ärmsten erwirtschaftet werden. Auch innerhalb unserer Landesgrenzen gibt es Armut. Durch die Krisen der letzten Jahre – Pandemie, Ukrainekrieg, Inflation – ist dies wieder verstärkt zum Vorschein gekommen.   
Wie die Situation für sozial schwache Menschen in unserem Land zurzeit aussieht, darüber berichtete Schwester Ariane vor einiger Zeit in einem Interview. Schwester Ariane kümmert sich in der Stadt Zürich um Obdachlose und andere Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Was Schwester Ariane sagt, muss uns allen zu denken geben: 

"Statt die Verletzlichsten in die Mitte unserer Gesellschaft zu stellen, werden sie immer weiter an den Rand gedrängt. Was es braucht, ist eine grundsätzliche Reflexion darüber, wie wir mit den Ärmsten in unserer Gesellschaft umgehen. Wir ertragen ihre Bedürftigkeit nicht, weil sie uns unsere eigene Bedürftigkeit vor Augen führt, weil sie uns aufzeigt, dass wir im Grunde alle ‹Bettelnde› sind – sei es um Liebe, Annahme oder Anerkennung – seit Beginn unseres Lebens bis zum letzten Atemzug."

Wir werden nicht gern mit unserer Bedürftigkeit, mit unserer Unvollkommenheit konfrontiert. Darum laufen wir Gefahr, die Randständigen aus unserem Bewusstsein zu verdrängen. Aber auch wenn wir wegschauen, Gott vergisst die Armen nicht. Er ist ihr Anwalt. Gerade sie sind diese Kleinen, von denen Jesus im Evangelium spricht. 

Worauf es Jesus ankommt, ist das richtige Verhalten ihnen gegenüber. Wo er Gutes feststellt, ist er tolerant. Gutes darf nicht verhindert werden, egal von wem es kommt. Auch wer nicht Christ ist, kann sich für das Gute in der Welt einsetzen. "Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns" – so fasst Jesus seine Haltung gegenüber dem Guten zusammen. 

Doch gegenüber der Sünde kennt Jesus nur eine Antwort: ein entschiedenes Nein. Das ist zuallererst einmal eine Gewissenserforschung für uns selber: Sage ich entschieden Nein, wenn einem Menschen Unrecht angetan wird, oder schaue ich lieber weg? Sage ich entschieden Nein, wenn über andere Menschen schlecht geredet wird, oder beteilige ich mich auch an solchem destruktiven Geschwätz? Sage ich entschieden Nein zu den Gefühlen von Eifersucht, Neid und Hass, die manchmal in meinem Herzen aufsteigen? Sage ich entschieden Nein, wo ich Lieblosigkeit, Verachtung, Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer Menschen feststelle?  

Jesus ist radikal gegen das Böse. Böse ist, was dem Leben schadet, was die Entfaltung des Lebens verhindert, was die Mitmenschen verletzt, aber auch mir selber nicht gut tut. Gegen diese zerstörerischen Kräfte kennt Jesus nur eine Antwort: ein entschiedenes Nein. Das heutige Evangelium fordert auch uns auf, entschieden Nein zu sagen zur Sünde in ihrer ganzen Destruktivität.  

Aber eine Sache dürfen wir dabei nicht vergessen: Kompromisslosigkeit gegen die Sünde darf nicht zur Härte gegenüber anderen Menschen führen. Darauf weist schon der heilige Benedikt in seiner Mönchsregel hin. Dem Abt gibt er nämlich den Rat: "Er soll die Fehler hassen, aber die Brüder lieben". Diese Unterscheidung zwischen Sünde und Sünder ist wichtig. Die Sünde verlangt Entschiedenheit; der Sünder Barmherzigkeit. Das Nein zur Sünde darf nicht zu einem Nein gegen den Menschen führen. Wir müssen uns stets unsere eigene Bedürftigkeit bewusst machen: Wir alle sind Bettelnde. Wir alle gehören zu den Kleinen. Wir alle sind unvollkommene Sünder und immer wieder angewiesen auf Gottes Barmherzigkeit, auf die Nachsicht und Vergebungsbereitschaft unserer Mitmenschen. 

Vergebt einander, wie auch der Herr euch vergeben hat! (Kol 3,13) Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! (Lk 6,36) Amen.  
 

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