Liebe Brüder und Schwestern!
Die Speisung der Fünftausend oder, wie sie auch genannt wird, die wunderbare Brotvermehrung, gehört zu den eindrücklichsten Geschichten des neuen Testamentes. Sie ist so wichtig, dass sie von Matthäus und Markus gleich zweimal erzählt wird; zudem kommt sie, wie wir in der Lesung gehört haben, bereits im Alten Testament, wenn auch in einer viel einfacheren Variante vor. Dabei geht es immer darum, dass Gaben, die im Auftrag Gottes verteilt werden, für alle Menschen reichen, auch wenn es nach menschlichem Ermessen viel zu wenig ist. Und das ist ein Zeichen für die liebevolle und gütige Sorge Gottes um uns Menschen: er will, dass unser Hunger gestillt wird, der leibliche Hunger, aber auch der geistige Hunger – aber nicht auf die bequeme Weise, wie es die Leute sich erhofften, die ihn zum König machen wollten.
Bei Johannes spielt die Geschichte noch eine andere, sehr wichtige Rolle. Im Gegensatz zu den drei anderen Evangelisten fehlt bei ihm der sogenannte Einsetzungsbericht, also die Geste beim letzten Abendmahl, wo Jesus den Jüngern das Brot und den Kelch reicht mit den Worten: nehmt und esst, nehmt und trinkt, das ist mein Leib, das ist mein Blut, also jene Geste, welche zur Grundlage unserer Eucharistiefeier geworden ist.
Es ist nun allgemeine Auffassung der Theologen, dass das 6. Kapitel des Johannesevangeliums die Stelle des Einsetzungsberichtes einnimmt, denn im gleichen Kapitel folgt anschliessend an die wunderbare Speisung die sogenannte «Brotrede», in welcher Jesus die Bedeutung des Brotes auf vielfältige Weise darlegt: es geht um die Speise, die für das ewige Leben bleibt, um das Brot, das von Gott herabkommt und der Welt das Leben gibt. Und schliesslich sagt Jesus: «Ich bin das Brot des Lebens», denn er ist der Gesandte Gottes. Wer diesen Gesandten Gottes aufnimmt, der hat das ewige Leben.
Und um zu zeigen, dass dieser Jesus voll und ganz angenommen und aufgenommen werden will, führt er das Bild noch weiter und vertieft es: wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm.
Je mehr man sich in diesen Text vertieft, umso mehr merkt man: es geht um das, was in jeder Eucharistiefeier gefeiert wird. Aber mit dem Text des Johannes wird der Blick ausgeweitet: die Einsetzungsworte sind nicht vorhanden, wohl aber hineinverwoben in ein grösseres Ganzes; es geht nicht einfach darum, dass Jesus sichtbar und greifbar wird in den Gestalten von Brot und Wein, das ganze Drum und Dran ist ebenfalls wichtig und gehört auch zur Vergegenwärtigung Gottes in unserer Mitte: das Zusammensein im gemeinsamen Gebet, das Hören des Wortes Gottes, das gemeinsame Feiern in welcher Art und Weise auch immer.
Dies scheint mir sehr wichtig gerade auch im Hinblick auf die Entwicklung, die wir heute in unserer Kirche feststellen müssen, ich meine das Fehlen von Priestern in immer mehr Pfarreien und als Folge der Ersatz der Eucharistiefeier durch sog. Wortgottesdienste.
Zugegeben: gegenüber der Eucharistiefeier fehlt dem Wortgottesdienst etwas, doch je mehr uns die verschiedenen Formen der Präsenz Gottes in unserer Mitte bewusst sind, umso weniger erscheint der Wortgottesdienst als blosser Ersatz, er wird zu einer eigenständigen Form der Gegenwart Gottes in unserer Mitte, die es zu pflegen gilt.
Könnte Johannes mit seinem Verzicht auf den Einsetzungsbericht nicht Ansporn dazu sein, Gottes Gegenwart auch in anderen Formen zu feiern, wie wir Mönche es im Chorgebet tun oder eben durch Wortgottesdienste in den Pfarreien? Wichtig ist, dass wir feiern. Amen.