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Predigt von P. Justinus Pagnamenta am 12. Sonntag im Jahreskreis 2024

«Wir glauben … an den einen Herrn Jesus Christus … gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater».

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Ich habe gerade einen Glaubensartikel aus dem Grossen Glaubensbekenntnis vorgelesen. Er wurde auf dem Ersten Konzil von Nizäa im Jahr 325 formuliert. Es war eine Zeit grosser innerkirchlicher Auseinandersetzungen über die Natur Jesu Christi. Die grosse Frage war: Ist Jesus wahrer Gott seit Ewigkeit her oder ist er ein erhabenes Geschöpf, erhabener als die Egel, aber dennoch ein Geschöpf, das Gott dem Vater unterstellt ist?

Sind solche Auseinandersetzungen über die wahre Natur Christi sinnvoll? Sind Formulierungen wie «gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater» bloss theologische Spitzfindigkeiten? Oder sind sie von grundlegender Bedeutung für den christlichen Glauben? Ist es für uns Christen wichtig, an die Gottheit Christi zu glauben? Darüber wurde viel geschrieben.

Aber heute möchte ich einen neuen Ansatz versuchen. Anhand der Lesung aus dem zweiten Korintherbrief versuche ich zu erklären, wieso es wichtig, ja sogar heilsnotwendig ist, an die Gottheit Jesu Christi zu glauben. Zunächst müssen wir aber die Beweggründe verstehen, die den Apostel Paulus veranlassten, diesen Brief zu schreiben.

Einige Gegner des Paulus hatten sich in die christliche Gemeinde von Korinth eingeschlichen und versuchten, seine Autorität als Apostel in Frage zu stellen. Es handelte sich vermutlich um judaisierende Christen, die versuchten, jüdische Normen, Gesetzen und Traditionen in der christlichen Gemeinde einzuführen.

Mit seinem Brief geht Paulus zum Gegenangriff über. Er erklärt sich zum Diener des Neuen Bundes, der bereits von den Propheten angekündigt wurde und dem Alten Bund weit überlegen ist. 

Gemäss Paulus besteht die Überlegenheit des Neuen Bundes darin, dass der Mensch dadurch befähigt wird, gemäss dem Willen Gottes zu leben. Diese Befähigung entsteht durch den Glauben an Jesus Christus als wahren Gott, der sich für uns bis zum Tod am Kreuz hingegeben hat. Und somit sind die rituellen Vorschriften des Alten Bundes für die Christen überflüssig geworden.

Wie geht das? Wie ist es, dass der Mensch, der an Jesus Christus glaubt, fähig wird, den Willen Gottes zu tun? Und zwar ohne von oben her erlassene Vorschriften. Ich versuche dies anhand eines Beispiels zu erklären.

Nehmen wir an, ich befinde mich in einer äusserst gefährlichen Situation, aus der es keinen Ausweg gibt; mein Leben ist in Gefahr und ich habe alle Hoffnung verloren. Doch irgendwann greift eine Person ein, sie setzt ihr eigenes Leben aufs Spiel und rettet mein Leben vor dem sicheren Tod.

Mein ganzes Leben lang würde ich dieser Person gegenüber unendlich dankbar sein. Nie und nimmer könnte ich dieser Person Unrecht tun. Ich fühle mich ihr gegenüber verpflichtet. Aber diese Verpflichtung wird mir nicht von oben herab auferlegt, sondern kommt aus meinem Inneren. Ich brauche kein Pflichtenheft, um dieser Person meine Dankbarkeit zu erweisen. Irgendwie fand eine radikale und dauerhafte Veränderung in meiner Beziehung zu dieser Person statt, die ich vorher vielleicht gar nicht kannte.

Nun kommen wir zum zentralen Punkt meiner Ausführung.

Wir Christen glauben, dass Jesus für uns gestorben ist, für unsere Erlösung. Er, der Unschuldige, ist unschuldig für uns Sünder gestorben. Durch seine Hingabe bis zum Tod am Kreuz hat er den Neuen Bund gestiftet.

Wenn nun Jesus nur ein Geschöpf wäre, ein erhabenes Geschöpf, den Engeln überlegen, aber dennoch ein Geschöpf ... Wäre also Jesus nur ein Geschöpf, wären wir unendlich dankbar und verpflichtet, aber nur ihm gegenüber. Es wäre nicht viel anders als bei dem Beispiel, das ich vorhin genannt habe.

Wenn wir hingegen glauben, dass Jesus Christus wirklich zu 100 Prozent von Ewigkeit her Gott ist … wenn wir wirklich glauben, dass Gott selbst sich für uns hingegeben hat, dann übersteigt unser Gefühl der Dankbarkeit und folglich auch unser Gefühl der Verpflichtung alle menschlichen Dimensionen. Dieses Gefühl der Dankbarkeit und der Verpflichtung erstreckt sich auf jeden Menschen, denn jeder Mensch ist als Ebenbild Gottes geschaffen.

Deswegen schreibt Paulus zu Beginn der heutigen Lesung: «Die Liebe Christi drängt uns» (2 Kor 5,14). Ja, die Liebe Christi, die Liebe Jesu zu uns drängt uns, sie verpflichtet uns, nach dem Willen Gottes zu leben. Und diese Verpflichtung, wird uns nicht von oben herab auferlegt, sondern kommt spontan aus unserem Inneren, aus unserem Gefühl unendlicher Dankbarkeit für alles, was Gott für uns getan hat.

Der Glaube an den Herrn Jesus Christus als wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, ist keine Nebensache, keine theologische Spitzfindigkeit. Der Glaube an Jesus Christus als wahren Gott, der sich für uns hingegeben hat, ist vielmehr eine Heilsnotwendigkeit, denn er verwandelt und erneuert uns bis in unser Innerstes (vgl. 2 Kor 5,17).

Durch diesen Glauben verwirklichen sich diese Worte, die Gott durch den Propheten Ezechiel gesprochen hat: «Ich gebe euch ein neues Herz und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres. Ich beseitige das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich gebe meinen Geist in euer Inneres und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Rechtsentscheide achtet und sie erfüllt» (Ez 36,26–27).

Liebe Schwestern und Brüder!

Lassen wir uns von der Liebe Christi ergreifen und in Besitz nehmen. Lassen wir uns von dieser Liebe Christi drängen zu einem Leben nach dem Willen Gottes. Alles, was wir tun, sagen oder denken, das tun, sagen und denken wir in einer Haltung der unendlichen Dankbarkeit für alles, was unser Herr Jesus, wahrer Gott, in seiner unendlichen Liebe für uns getan hat. Das feiern wir jetzt in der Eucharistie.

Amen!
 

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