Liebe Schwestern und Brüder
Wenn ich vom heutigen Fest höre, der Epiphanie des Herrn, dann denke ich sogleich an die Apokalypse. Vielleicht auch deshalb, weil das heutige Fest tatsächlich eine Apokalypse ist. Dieses Wort wird leider oft negativ gedeutet. Wir verbinden die Apokalypse mit Zerstörung, Vernichtung und Ende. Dies weckt Unruhe oder Angst in uns.
Das griechische Wort «Apokalypse» heisst aber übersetzt «Offenbarung» oder genauer «Enthüllung»: Ein Schleier wird weggenommen. Plötzlich sehen oder nehmen wir etwas wahr, das schon da gewesen ist, aber verschleiert war.
So geht es in der Apokalypse nicht um Zerstörung, sondern um eine Erkenntnis: Etwas wird klar. Etwas zeigt sich in Wahrheit – so wie es tatsächlich ist. Natürlich, das, was falsch, unvollständig oder veraltet ist, muss verschwinden oder sich ändern. Dieses Loslassen der Schleier, der falschen Vorstellungen kann schmerzlich sein.
Epiphanie heisst übersetzt «Erscheinung», was sehr ähnlich tönt wie «Apokalypse, Offenbarung». Bei diesem uralten Fest des Christentums, das älter ist als Weihnachten, geht es nicht zuerst um die Drei Könige, sondern um die Erscheinung Gottes. Traditionellerweise werden drei Geschichten ins Gedächtnis gerufen, in denen Gott sich der Welt offenbart. Für das allererste Mal zeigt er sich der Welt, als die Sterndeuter ihn in einer Krippe entdecken. Mit der Taufe Jesu beginnen die drei Jahre seines öffentlichen Lebens. Und bei der Hochzeit in Kana geschieht das erste Wunder Jesu: Das fleischgewordene Wort Gottes offenbart seine göttliche schöpferische Kraft.
Es ist interessant über die drei Gruppen zu meditieren, die in diesen drei Geschichten erscheinen, und die uns an unseren eigenen Lebensweg erinnern können.
Die erste Gruppe besteht aus den sogenannten Drei Könige. Es sind eigentlich keine Könige, sondern Sterndeuter oder Magier. Und auch ihre Anzahl ist nicht bekannt. Es sind Menschen, die durch die Beobachtung der Schöpfung, des Kosmos – durch das Studieren der Sterne und ihrer Konstellationen zu Gott geführt werden. Ihre Wissenschaft führt sie ans Ziel. Auch wir sollten nicht vergessen, dass unsere Beobachtungen, unsere Suche, unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse uns zu Gott führen können. Die Schöpfung ist entstanden durch den Logos, durch das Wort und die Weisheit Gottes. Deshalb ist die Schöpfung Ausdruck ihres Schöpfers. Sie ist Wort Gottes an uns und spricht für den, wer Ohren hat zu hören. Vielleicht stimmt das Zitat von Louis Pasteur: «Ein wenig Wissenschaft entfernt uns von Gott, viel jedoch führt uns zu ihm zurück.»
Die zweite Gruppe in diese drei Geschichten besteht aus Menschen, die auf einem spirituellen Weg sind. Sie befinden sich in der Wüste, dort, wo Johannes im Jordan tauft. Sie sind da, weil sie auf der Suche sind. Sie wollen etwas in ihrem Leben ändern. Sie wollen sich reinigen und umkehren. Nachdem alle und Jesus selbst getauft worden sind, öffnet sich der Himmel. Der Heilige Geist kommt herab und eine Stimme verkündet: «Das ist mein geliebter Sohn» (Mt 3,17). Die Dreieinigkeit offenbart sich. Diese Geschichte erinnert uns an die Worte Jesu: «Wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird aufgetan» (Mt 7,8), oder auch an die Worte Jakobus: «Nähert euch Gott, und er wird sich euch nähern» (Jak 4,8).
Die dritte Gruppe besteht aus einer gemischten Gruppe. Dabei sind das Hochzeitspaar und die Gäste – darunter sind inkognito der Sohn Gottes und seine Mutter Maria. Weiter gibt es die Gastgeber, sowie das Service-Personal. All diese Menschen sind nicht unbedingt auf einen spirituellen Weg oder auf der Gottsuche. Sie sind einfach da. Sie zelebrieren gemeinsam das Leben und die Liebe. Gott ist mitten unter ihnen, ohne dass sie es wissen. Und plötzlich zeigt Gott seine Macht und seine Grosszügigkeit. Er verwandelt 600 Liter Wasser in Wein. Einige haben wahrscheinlich weiter gefeiert und den Wein genossen, ohne etwas zu merken. Andere hingegen haben Gott und sein Wirken erkannt. Diese Geschichte sollte uns daran erinnern, dass Gott immer unter uns ist, auch wenn wir ihn nicht bemerken oder an seiner Gegenwahrt und seinem Wirken zweifeln. Es soll uns auch daran erinnern, dass er unseren Alltag verwandeln will. Wasser wird zu Wein: Er will uns das Leben in Fülle schenken.
Liebe Schwestern und Brüder, Apokalypse und Epiphanie, Enthüllung und Erscheinung. Gott ist Fleisch geworden, weil er sich durch unsere Sinne offenbaren und uns schenken will. Unsere Sinne sind begrenzt und nehmen nur einen winzigen Teil der Wirklichkeit wahr. Gott lädt uns ein, uns zu öffnen. Er lädt uns ein, uns auf unserem Weg Zeit zu nehmen, um hinter den Schleier der Erscheinungen zu schauen. Viele Wege können zu Gott führen. Und Gott kann alle Wege nützen, um uns zu begegnen.
Alle haben wir persönliche, einzigartige, unverwechselbare Begabungen und Talente von Gott empfangen. Durch sie möchte Gott sich jedem einzelnen von uns auf persönliche und einzigartige Weise offenbaren. Es gibt so viele Wege der Offenbarung Gottes, wie es Menschen gibt. Und in Christus werden alle diese Wege vereint, denn er ist der Weg. Die Sterndeuter haben die Sterne betrachtet und haben Gott gefunden. Andere sind aufgrund ihrer spirituellen Suche in die Wüste gegangen und haben dort eine Stimme vom Himmel gehört und darin Gott erkannt. Andere wiederum durften Gott erkennen durch ein unerwartetes Wunder, und dabei Wein geniessen. Sehen, Hören, Schmecken und vieles mehr: Gott offenbart sich durch all unsere Sinne. Haben Sie sich schon einmal gefragt, durch welche Sinne oder Begabungen sich Gott in Ihrem eigenen Leben offenbart? Oder anders gefragt: Was sollte sich in mir enthüllen – entfalten, damit ich die Epiphanie erlebe? Denn Gott ist schon da: «In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir» (Apg. 17,28). Amen.