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Predigt von P. Daniel Emmenegger am 3. Sonntag im Jahreskreis 2025

Glauben Sie an die Zukunft? – Ich nicht!
Glauben Sie, dass wir – wir Christen; dass die Kirche eine Zukunft hat? – Ich nicht!

Ich gebe zu: Das ist ein bisschen stark und missverständlich gesagt. Lassen Sie mich deshalb klarstellen: Keineswegs glaube ich, dass es Christen; dass es die Kirche in einer nahen oder fernen Zukunft nicht mehr geben wird. Überzeugt bin ich vielmehr vom Gegenteil: Die Kirche wird es geben, solange die Welt und ihre Zeit dauert. Dies aber glaube ich, weil ich mehr glaube als an die Zukunft – viel mehr! Ich glaube an den Schöpfer der Zeit: An Gott, der ewig ist. Und ich glaube dem Zeugnis, dass der Schöpfer der Zeit als Mensch in der Zeit gelebt hat; ich glaube an Jesus Christus! Ich glaube also, dass in der Zeit das Ewige da ist. Nicht in der Zukunft, die nie ist und nie sein wird. Das Ewige ist da: heute – und immer heute. Und ich glaube, dass dieses Ewige, dass Gott sich in der Zeit ausspricht, ja uns anspricht: heute – und immer heute.

Das scheint mir auch das Erste zu sein, woran uns der Abschnitt aus dem Buch des alttestamentlichen Propheten Nehemia heute erinnern will: Gott ist und Er spricht sich aus. Er spricht sich aus in der Weisung, die der Priester Esra dem versammelten Volk vorträgt. Im Wesentlichen besteht diese Weisung aus den Zehn Geboten. Durch sie weist Gott den Menschen den Weg zum Leben – immer heute. Ja, wir können sagen: Wer ihnen folgt, kann in der Zeit, kann heute des Ewigen ansichtig werden.

Ein zweiter Aspekt deutet sich in der Lesung sogleich an: Der Mensch steht nicht vor der Wahl, entweder den Geboten Gottes zu folgen oder nach eigenem Urteilsvermögen zu leben, d. h. aufgrund eigenen Urteils zu entscheiden, was für das Leben – das eigene Leben oder das Leben anderer – gut ist. Erinnern Sie sich, wem der Priester Esra die Weisungen Gottes vorträgt? Keineswegs Menschen ohne eigenes Urteilsvermögen, ganz im Gegenteil: Die Weisungen Gottes werden verständigen Menschen vorgetragen, Menschen mit Verstand. Gemeint ist, dass jeder Mensch guten Willens ab einem gewissen Alter fähig ist, die Weisungen Gottes als etwas Gutes und Lebenswertes zu erkennen und anzunehmen.

Eine solche Erkenntnis kann allerdings weh tun! Auch das wird in der heutigen Lesung deutlich. Wie nämlich reagieren die verständigen Menschen, nachdem sie die Weisungen Gottes gehört haben? Sie weinen! Sie weinen Tränen der Trauer darüber, wie wenig ihr eigenes Leben den Weisungen Gottes, die sie als gut und lebenswert erkennen, entspricht. Allerdings brauchen sie sich solcher Tränen nicht zu schämen! Was sind sie denn anderes als das Eis der Sünde, dessen Last sich auf der Seele angehäuft hat und das die Son-ne der göttlichen Weisungen schmelzen lässt und in heilsames Wasser verwandelt, das reinigt und heilt?  So sind diese Tränen zugleich Brücke zur Freude – zur Freude am Herrn, zu der der Priester Esra zuletzt ermutigt; die Freude am Herrn, die ihre Erfüllung dann allerdings erst im Evangelium findet: In der Person Jesu, der, sich selbst meinend, sagt: «Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.»

In Jesus zeigt sich uns von Anfang an ein Menschenleben in vollkommener Entsprechung mit den Weisungen Gottes und in vollkommener Treue zu ihnen. Dieses gott-menschliche Leben wird uns allerdings zeigen, dass vollkommene Entsprechung mit den Weisungen Gottes und vollkommene Treue zu ihnen in unserer Welt die Form des Kreuzes annimmt. Die Weisungen Gottes sind kein Rezept für eine – nach weltlichen Massstäben – erfolgreiche Zukunft. Sie sind ein Weg zu Wahrhaftigkeit und Liebe; sie weisen den Weg zum Leben – heute und immer: heute. Dieses Leben fällt nicht der Vergänglichkeit anheim. Dass sich darin vielmehr das Tor zur Ewigkeit öffnet, dafür bürgt Gott, der Schöpfer der Zeit selbst – in und durch Christus. Von ihm heisst es im Hebräerbrief: Er ist derselbe gestern, heute und …
… nein, nicht morgen, sondern in Ewigkeit (Hebr 13,8). Wer in Christus ist, für den gibt es kein Morgen; auf das Heute folgt die Ewigkeit, oder besser: Ihm zeigt sich im Heute das Ewige. Immer. Bis zum Ende seiner Lebenszeit.

Ich weiss nicht, was Ihnen das noch junge Jahr 2025 schon beschert hat. Mir selbst wurde ein Geschenk zuteil, dessen Grösse ich erst langsam ahne. Ich bin erst dabei, dieses Geschenk auszupacken. Dieses Geschenk hat einen Na-men: Bruder Meinrad Eugster, der Ehrwürdige Diener Gottes, dessen Grab Sie hinten in der Kirche finden und dessen Todestag sich am 14. Juni zum hundertsten Mal jährt. Einige Mitbrüder aus unserer Klostergemeinschaft bemühen sich sehr darum, uns Bruder Meinrad näher zu bringen. Dafür bin ich ihnen zutiefst dankbar. Allmählich begreife ich, wie sehr in diesem bescheidenen, dankbaren, klösterlich-alltäglichen Leben Christus sichtbar wird: Der Ewige im alltäglichen Heute. Und so möchte ich schliessen mit einem Gebet bzw. mit einer Kombination zweier Gebete, die ich mir in der Bruder-Meinrad-Zelle zu eigen gemacht habe und die auch Sie bei einem Besuch der Bruder-Meinrad-Zelle drüben bei der Hofpforte unseres Klosters beten können:

"Ewiger Gott, überall sind doch nur Sorgen und Elend, diese Zeiten scheinen uns angesichts von Krieg, Krankheit, Armut und Leid oft böse. Segne und stärke uns in unserer Gesundheit und lass uns Gutes tun zum Wohle der leiden-den Menschheit, um so einstens um so herrlicher gekrönt zu werden am grossen Neujahrsmorgen im Himmel. Hilf uns, auszuharren mit Beharrlichkeit im Guten bis einstens der ewig grosse Morgen anbrechen wird. Schenke uns bei Zeiten allen Segen, alles Gute und alles Glück und lass uns alle wohltuend erfahren, dass alles vergänglich ist, aber die Ewigkeit bleibt, in der uns unaussprechliche Freuden verheissen sind. In diesem ewigen Erwachen schenke uns Freude und Friede im Herrn. Amen."

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