Eine Szene, die wir lieber nicht sehen würden. Jesus treibt mit einer Geissel aus Stricken die Tempelhändler hinaus. Es steht im Text zwar nichts von Wut, aber es ist offensichtlich, dass Jesus in dieser Situation getroffen war, traurig und wütend zugleich. Das passt nicht so recht in das Bild, das wir von Jesus haben, dem gewaltlosen Prediger.
Doch schauen wir genau hin. Was passiert da gerade? Er findet eine wirklich befremdende Situation vor: „Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler […] Er machte eine Geissel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus […] das Geld […] schüttete er aus, ihre Tische stiess er um […] macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! […]“ (vgl. Joh 2,14-17). Jesus schlägt nicht zu, er treibt die Händler lediglich hinaus. Er verletzt kein Leben. Er stachelt seine Jünger nicht auf, gegenüber den Händlern Gewalt anzuwenden. Er zettelt keine Hexenjagd an. Er möchte die Händler nicht „fertig“ machen. Etwas anderes steht im Fokus. Ein aus tiefstem Herzen kommender Eifer treibt ihn an. Seine absolute Liebe für Gott, seinen himmlischen Vater, mit dem er eins ist (vgl. Joh 10,30), setzt ihn in Bewegung und lässt ihn handeln, um den heiligen Ort der besonderen Gegenwart Gottes, den Ort des Gottesdienstes und der Gnade zu reinigen von all dem, was die Bedeutung dieses Ortes, des Tempels verfälscht. Ein wahrhaft heiliger Eifer, eine berechtigte Wut. Gleichgültigkeit ist keine christliche Haltung.
Diese Szene hat uns nicht zu stören. Jesus gibt kein schlechtes Beispiel ab, vielmehr rüttelt er uns auf: He, was tut ihr da eigentlich!? Ist das der Sinn dieses geheiligen Ortes? Später am Kreuz spricht er die Worte: „Vergib ihnen, Vater, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34).
Liebe, die aus Gott fliesst, ist weder angepasst brav, noch oberflächlich, noch gleichgültig nett. Liebe, wie sie Jesus gelebt hat, kann durchaus eine Herausforderung sein, die aufschreckt und verunsichert, eine reinigende Kraft, die Altgewohntes durcheinanderwirbelt, eine kreative Macht, die manchmal schmerzhaft ist, die zugleich eine zutiefst befreiende und heilsame Veränderung erwirkt.
Das, um was es im Tempel geht, um Gottes Gegenwart und Gnade, die Leben schafft und schenkt, kann niemals gekauft und verkauft werden, mit ihr darf niemals gehandelt und gescherzt werden. In bildhaft starker Sprache sagt Jesus an anderer Stelle selbst: „Gebt das Heilige nicht den Hunden und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor…“ (Mt 7,6).
Ein Mitbruder erlebte diesbezüglich vor längerer Zeit folgendes. Er begegnete einer Person, die in der Kirche ein Glacé ass, was gegen unsere Hausordnung verstösst. Der Mitbruder machte diese Person freundlich darauf aufmerksam und bat sie, das Glacé draussen zu essen. Sie wurde ungehalten und sprach dem Mitbruder ein Wort zu, welches ich hier nicht in den Mund nehmen möchte. Es begann mit „A“ und endete mit „ch“. Der Mitbruder reagierte meines Erachtens erstaunlich ruhig und gelassen, blieb in der Sache aber bestimmt. Es darf uns Christen und Christinnen nicht egal sein, wie mit sakralen Räumen und religiösen Symbolen umgegangen wird. Grenzen zu setzen ist erlaubt und geboten.
Hier müssen wir allerdings, gerade heute am Weihefest der Gnadenkapelle, weitergehen. Es wäre inkonsequent und unglaubwürdig, feierten und beweihräucherten wir heute diesen prachtvollen Gnadenort, im Alltag gegenüber den Mitmenschen und der Schöpfung aber verhielten wir uns so, als ob sie bloss profanes Zubehör wären.
Wir erinnern uns an die Schöpfungsgeschichte im ersten Buch der Bibel, Genesis. Gott erschuf die Welt und alles Leben. Es war seine Idee, weil es das Wesen der wahren Liebe ist – und Gott ist Liebe (vgl. 1 Joh, 4,8) –, Leben zu erwecken. Diese Idee entzündete sich und breitete sich aus, erschuf die Weiten des Kosmos, dessen Universen und Galaxien und unsere Mutter Erde, mit allem, was auf ihr atmet und lebt. Was Gott geschaffen hat, kann nicht gottlos sein, geistlos, ohne Seele. Alles ist von Gottes Geist durchdrungen: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut“, lesen wir im Schöpfungsbericht (vgl. Gen 1,31). Gott, heisst es im Schöpfungsbericht weiter, segnete alle seine Geschöpfe (vgl. Gen 1,22). Und Jesus hören wir sagen: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Mk 16,15). Im Brief des Apostels Paulus an die Kirche in Rom lesen wir, dass die ganze Schöpfung der Erlösung harre (vgl. Röm 8,19-22). So dürfen wir annehmen, dass die ganze Schöpfung Tempel Gottes ist, sein geheiligter Ort. Im ersten Brief an die Kirche in Korinth finden wir schliesslich die starke Aussage: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst“ (1 Kor 6,19). Jeder von uns ist ein geheiligter Ort, weil Gottes Geist in uns wohnt und durch uns wirkt.
Der heilige Tempel ist überall. So antwortete Jesus der Frau am Jakobsbrunnen: „Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet […] Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden“ (Joh 4,21.23). Alles von Gott Geschaffene ist göttlich, was nun nicht bedeutet, dass eine Blume oder ein Baum Gottheiten sind, noch sonst ein Geschöpf, auch kein Mensch. Gott allein, der Schöpfer, ist Gott!
Jedoch dies erkennend und glaubend, dass jedes Leben von Gottes Geist durchflutet ist, dass Gott wahrhaft allgegenwärtig ist, sollten wir lernen, mit jedem Raum in dieser Welt so umzugehen, als ob er ein sakraler Raum wäre. Das erfordert ein Umdenken! Im Mönchtum ist dieser Gedanke präsent. So finden wir in der Benediktsregel folgende interessante Aussage im Kapitel über den Cellerar (Verwalter): „Alle Geräte und den ganzen Besitz des Klosters betrachte er als heiliges Altargerät“ (RB 1,10). Im Klartext: Es gibt keine Trennung zwischen „sakral“ und „profan“. Diese Trennung findet in unseren Köpfen statt. Wenn wir hier umdenken, umkehren, dann verändert sich unser Verhalten in und gegenüber dieser Welt von Grund auf.
Ehrfurcht vor heiligen Stätten! Ehrfurcht vor geweihten Orten! Ehrfurcht vor religiösen Symbolen! Aber somit auch und nicht weniger: Ehrfurcht gegenüber den Mitmenschen, gegenüber den Geschöpfen, gegenüber dieser Erde, die Gott selbst so wunderbar geschaffen, gesegnet und uns als Wohnstätte anvertraut hat, solange unsere irdische Pilgerreise dauert.
Während meiner letzten Ferien auf einer Bergwanderung tauchte ein Gedanke auf: Wenn Gott allgegenwärtig ist, dann ist auch alles, was von seiner Gegenwart erfüllt ist, sein heiliger Tempel. Diese Klosterkirche ist prächtig. Unsere Gnadenkapelle ist eine kostbare Perle. Unzählige wunderschöne Räume von Menschen erbaut zur Ehre Gottes. Und wir brauchen solch konkrete Orte für unsere Glaubensfeier in Gemeinschaft. Doch der schönste sakrale Raum wurde nicht von Menschenhand geschaffen, vielmehr Gott selbst erschuf diesen – wir nennen sie: Erde.
Eine Wanderung in herrlicher Bergwelt. Immer höher. Immer grösser die Berge. Immer kleiner das „Ich“. Oben angekommen: ein herrlicher Blick in die imposante Bergwelt und Natur. Ich staune und erahne Gottes Grösse und Ewigkeit, erkenne meine Kleinheit und Verletzlichkeit. Dieses Staunen gipfelt spontan, aus tiefstem Herzen kommend, in Worte, denen nichts beigefügt werden muss: Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geist. Wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit, und in Ewigkeit. Amen.