Liebe Schwestern und Brüder in Christus
Wir ehren heute hier in Einsiedeln einen der wohl berühmtesten Mitbrüder unserer Geschichte: den heiligen Wolfgang, der um 924 im schwäbischen Pfullingen geboren wurde, also vor 1'100 Jahren.
Wolfgang war ein europäischer Weltenbürger: Schüler auf der Reichenau und an der Würzburger Domschule, Lehrer und Dekan in Trier, Mönch von Einsiedeln, Missionar in Ungarn, Bischof von Regensburg, von wo aus er sich eine Zeit lang auch ins Salzburgerland zurückgezogen hatte.
Was bringt das Feiern eine Geburtstages? Ist es nicht besser, den Geburtstag eines jetzt lebenden Mitbruders zu feiern als jenen eines verstorbenen? Müssten wir nicht eher der Eltern des heiligen Wolfang gedenken, die ihm sein Leben überhaupt ermöglicht haben? Die Dankbarkeit ist auf jeden Fall der Grund, warum wir uns an den heiligen Wolfang erinnern, denn Mitbrüder wie er machten es möglich, dass wir heute hier sind und dass wir feiern können. Und die Haltung der Dankbarkeit ist auch der Grund, warum wir heute den runden Geburtstag eines Mitbruders feiern, der unter uns lebt und wirkt.
Der Grund, dass wir den heiligen Wolfgang heute feiern, ist nicht sein Geburtstag, sondern sein Todestag: Er starb an einem 31. Oktober. Dieser Tag ist gleichsam sein Geburtstag zum ewigen Leben. Was ändert es, ein Leben vom Todestag her anzuschauen? Wir glauben, dass Wolfgang das Ziel seines Lebens schon erreicht hat, dass Gott vollendet hat, was im Leben Wolfgangs Stückwerk geblieben ist, wie das die heutige Lesung für uns sagt: «Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefässen; so wird deutlich, dass das Übermass der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.»
Wer vom Geburtstag her das Leben des heiligen Wolfgang anschaut, könnte versucht sein, die einzelnen Stationen seines Lebens aufzureihen und Wolfang dann vorzuwerfen, er sei unbeständig gewesen, nie zufrieden, immer weitergezogen. Nicht einmal als Bischof von Regensburg, von aussen gesehen das Ziel seiner «Karriere», kam er zur Ruhe und hat sich oft zurückgezogen. Hätte er nicht doch Mönch in Einsiedeln bleiben sollen?
Wer auf sein Leben vom Todestag her schaut, muss sagen: dass Wolfgangs Leben Stückwerk war, kümmert den Heiligen nicht mehr, er lebt in der Vollendung Gottes. Und Gott kann zerbrechliche und zerbrochene Gefässe ganz machen. Ein Künstler-Mitbruder sagte mir, dass die Menschen in Japan die Technik, bei der zerbrochene Keramik- oder Porzellangegenstände mit einem speziellen Kleber und Goldpulver repariert werden, «Kintsugi» nennen. Der Begriff Kintsugi bedeutet wörtlich «reparieren mit Gold». Diese Kunstform betont die Schönheit der Risse und Brüche, anstatt sie zu verstecken. Und ein anderer Künstler-Mitbruder gab mir diese Schale, die ich in Händen halte, und meinte, der Boden sei durchbrochen und damit als Schale nicht mehr zu gebrauchen. Wenn er sie umkehrt, könnte er sie allerdings etwa als Lampenschirm verwenden.
So, liebe Mitchristen, wirkt Gott: Gott kann unser zerbrechliches und manchmal zerbrochenes Leben zu einem Ganzen machen, er kann es mit Gold reparieren und damit noch wertvoller als vorher machen, oder er kann unser durchbrochenes Leben zu etwas umkehren, das dann wieder Sinn macht. Alle einzelnen Lebensstationen zusammen haben den heiligen Wolfgang zu einem Menschen gemacht, von dem sich seine Zeitgenossinnen und Zeitgenossen verstanden, geliebt und aufgehoben fühlten. Er war dank seiner Brüche und Lebensstationen zu einem dieser Arbeiter geworden, denen Gott mit den Worten des Evangeliums die Kraft gab, «die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.»
Auch unser Leben kann Gott ganz machen, vollenden. Wir müssen das Leben nicht nur vom Startpunkt einer Karriere her betrachten, sondern von unserer Vollendung her. Dann dürfen auch wir einmal unseren Todestag als Geburtstag zu Leben begehen. Der heilige Wolfgang sei uns dafür Fürbitter! Amen.