Liebe Brüder und Schwestern
Vor vielen Jahren war ich bei einem Bekannten eingeladen; wir wollte uns mit einem Fondue verwöhnen und dabei über Gott und die Welt sprechen. Wir bereiteten alles vor, gaben Wein und Käse in das Caquelon, und ich begann zu rühren. Sofort waren wir dann bei den Themen, die uns unter den Nägeln brannten.
Auch uns brennen hoffentlich Fragen unter den Nägeln, nachdem wir den Abschnitt aus dem Lukasevangelium gehört haben. Er stammt aus der sogenannten Feldrede. Obwohl wir heute nur den ersten Abschnitt vernommen haben, möchte ich sie jetzt zum besseren Verständnis als ganze ins Auge fassen: Im Mittelpunkt steht die herausfordernde Entscheidung für ein Leben mit Jesus oder ohne ihn und um das Ineinander von Leben und Glauben.
Doch nun zum biblischen Text. Auf die Seligpreisungen folgen, parallel aufgebaut, die Wehrufe. Daraufhin spricht Jesus eindringlich von der Vergeltung, von der Feindesliebe, vom Richten, von der wahren Frömmigkeit und vom Haus auf dem Felsen.
Da werden zuerst die Armen, die Hungernden, die Weinenden und die Ausgeschlossenen seliggepriesen. Die Wehrufe beziehen sich hingegen, nachfolgend, auf die Reichen, die Satten, die Lachenden und die von den Menschen Gefeierten. Es geht dabei wohl nicht in erster Linie um Reichtum und Armut an sich, wobei Jesus gewiss erwartet, dass jene, denen es gut geht, mit den Benachteiligten teilen. Hier geht es viel eher um mögliche negative Konsequenzen der Nachfolge Jesu: «Selig seid ihr, wenn ihr gehasst werdet um des Menschensohnes willen» (vgl. Lk 6,22). Die Wehrufe über die Privilegierten schliessen danach mit folgenden Worten: « Weh euch, wenn euch alle Menschen loben, denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.» (Lk 6, 26) Der falsche Prophet redet dem Volk nach dem Mund, schmeichelt ihm und manipuliert es, um zu persönlichen Vorteilen zu kommen und um ein leichtes Leben zu haben. Der richtige Prophet hingegen, Jesus, dient der Wahrheit, gelegen oder ungelegen, auch wenn sie hart ankommt, Widerspruch hervorruft und soziale Nachteile mit sich bringen kann.
Das Evangelium Jesu ist gewiss eine gute Nachricht – eu angelion – aber keine bequeme, harmlose. Wer Jesus nachfolgen will, muss das wissen.
Der Evangelist Lukas stellt vier doppelte Wegweiser an vier entscheidende Wegkreuzungen der Nachfolge auf. Sie geben jeweils die Richtung zu zwei unterschiedlichen Zielen an: das eine Schild weist zum Haus auf dem Felsen, das andere zum Haus, das auf Sand gebaut ist. Der Weg zum Haus auf dem Felsen ist steinig und schmal, der Weg zum Haus auf Sand dagegen breit und scheinbar angenehm zu gehen.
Der erste Wegweiser steht am Wegkreuz, an dem wir uns in Situationen des Vergeltens zu entscheiden haben. Wenn wir nur denen Gutes tun, die uns wohlgesinnt sind und uns Gutes getan haben, gehen wir den breiten gängigen Weg. Jesus aber fordert uns heraus: wir sollen auch jenen Menschen Gutes tun, die uns Unrecht zufügen. Er fordert sogar von uns, nicht nur auf Rache zu verzichten, sondern selbst Angriffe widerstandslos geschehen zu lassen.
Der zweite Wegweiser bezieht sich auf Situationen, in denen wir Personen einschätzen und bewerten. Der breite Weg ist jener, auf dem wir andere schnell verurteilen, für uns selbst jedoch blind sind. Jesus mahnt uns, zuerst uns selbst in den Blick zu nehmen, und dann erst andere in Betracht zu ziehen; nicht aber um sie zu verurteilen, sondern um ihnen beizustehen. Wer die Erfahrung gemacht hat, zuerst im eigenen Auge sorgfältig einen Balken herauszuziehen, kann auch einem andern helfen, einen kleinen Splitter aus seinem Auge zu entfernen.
Der dritte Wegweiser bezieht sich auf unsere Weise, Religion zu leben. Der breite Weg besteht darin, Lippenbekenntnisse von sich zu geben, aber auf der Handlungsebene keine Konsequenzen zu ziehen. Es sind Bekenntnisse, die zwar vielleicht aus dem Herzen kommen; der Impuls hin zur Praxis wird jedoch aufgehalten durch irgendeine Lähmung. Wer hingegen den Glauben bekennt und tut, wessen Leben also vom Glauben geprägt und durchformt ist, der findet zum Haus, das auf Fels gebaut ist.
Das Haus ist unser Leben, Jesus der Fels. Dieser Fels garantiert Standfestigkeit; das Haus bleibt auch bei den grössten Stürmen aufrecht stehen. Wer den breiten gängigen Weg wählt, der kommt zum Haus auf Sand, zum Haus ohne solides Fundament. Schon ein kleiner Sturm oder eine Flut bringt es zum Einsturz.
Wer ohne Jesus geht, mag auf augenscheinliche, kurzsichtige Berechnung setzen und sich auf kleine oft wechselnde Teilziele konzentrieren, die zwar Glück verheissen, diese Verheissung aber nicht wirklich und nachhaltig erfüllen. Wer dagegen Jesus nachfolgt, kann festen Kurs setzen auf ein letztes Ziel hin. Dieser Mensch wird, wie Bruder Meinrad Eugster, ein Leben für die Ewigkeit führen und gerade dadurch die Kraft erhalten, im Zeitlichen, das eben nicht alles ist, bei Anfeindungen und Misserfolgen unbeirrt den evangelischen Werten gemäss zu handeln, ohne hin und her geworfen zu werden wie ein Schiff im Sturm. Diese Einsicht unterstreicht Jesus doppelt, wenn er für seine Predigt auf dem Feld, wie wir gesehen haben, zu drastischen, fast schockierenden Beispielen und Bildern greift.
Ungefähr so verlief die Unterhaltung am eingangs erwähnten Fondueabend. Nur – ich rührte und rührte, der Käse wollte einfach nicht schmelzen. Da bemerkte ich: in der Hitze des Gefechts hatte ich vergessen, die Herdplatte anzuschalten. So verhielte es sich auch, wenn wir Getaufte lebten, ohne unsern Glauben zu nähren und zu pflegen. Es fehlte die transformierende Wärme; das Leben gliche ohne sie, bei aller Rührigkeit, einer kalten, bröseligen Masse. Ein Glaube hingegen, der das konkrete Leben überspringen möchte, gliche einer leeren Bratpfanne auf dem Feuer, sie würde mit der Zeit verglühen. Leben und Glauben: Es braucht beides in der fallweisen richtigen Zuordnung zueinander. Wenn wir Leben und Glauben vertiefter ineinander führen möchten, sollten wir, wie eine gute Köchin, einer jeden Situation entsprechend umsichtig und klug vorgehen. Das gute christliche Leben gleicht einem gesunden und schmackhaften Gericht!
Amen.