P. Lorenz Moser am 33. Sonntag im Jahreskreis 2023

19.11.2023

Liebe Brüder und Schwestern

Es geht dem Ende des Kirchenjahres zu. Daran erinnern uns die Lesungen in den Gottesdiensten dieser Tage: sie sprechen vom Ende und allem, was damit zusammenhängt, ein Thema, das uns alle angeht, das mit vielen Fragezeichen versehen ist, das heute aber allzu gerne verdrängt wird. Es ist deshalb gut, wenn wir uns das eine oder andere Fragezeichen in Erinnerung rufen.

Da ist das eindrückliche Gleichnis des heutigen Evangeliums. Die Botschaft ist klar: Gott erwartet, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern sie – menschlich gesprochen – gewinnbringend anlegen. Kann man sich also das ewige Leben verdienen – oder eben durch «nichts Tun» verscherzen? Der Mann, der das eine Talent vergraben hat, musste das jedenfalls schmerzhaft erfahren.

Man kann den Gedanken noch ausweiten und sagen, alles, was wir tun, Gutes und Böses, aber auch was wir unterlassen, verpasst haben, hat Ewigkeitscharakter, denn das alles sind Mosaiksteinchen, aus denen unser Leben zusammengesetzt ist, mit dem wir am Ende vor Gott stehen. «Selbst die Haare auf dem Kopf sind gezählt». Gott nimmt uns voll und ganz ernst. Wir müssen für alles gerade-stehen!

Heisst das also, dass wir uns das Himmelreich zu erarbeiten, zu verdienen haben? Ist jeder seines eigenen Glückes Schmied?

Eines ist klar: Gutes tun ist alleweil besser als nichts tun! Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass gerade auch hier viele Möglichkeiten des Missbrauches gegeben sind: wie leicht kann man doch – vor allem ängstlichen – Menschen unnötig die Hölle heiss machen und damit geistliche Macht ausüben, statt ihnen den Weg zur befreienden Botschaft des Evangeliums zu ebnen?

Oder wie oft wurde suggeriert, dass man sich mit Geld den Himmel sichern kann? Denken wir nur an den berühmten Ablasshandel! Da wurde sehr oft der Kern der christlichen Verkündigung verdunkelt oder gar verfehlt.

Den verdienten Lohn bekommen, früher oder später Gerechtigkeit erfahren, alles in die rechte Ordnung gebracht: das ist die menschliche Perspektive, in der wir normalerweise das Ende unseres Lebens, das Ende der Welt einzuordnen versuchen.

Bei Gott sieht jedoch vieles ganz anders aus. Diese göttliche Perspektive begegnet uns in der hl. Schrift auf Schritt und Tritt. Gott ist ein Gott der Überraschungen, ein Gott, der nicht berechnet, sondern Erbarmen zeigt, der nicht verurteilt, sondern verzeiht, ein Gott, der auch dem Arbeiter, der nur eine Stunde gearbeitet hat, den vollen Lohn auszahlt, ein Gott, der uns nicht entlöhnt, sondern reich beschenkt. Da ist die Vollendung unseres Lebens nicht unser Verdienst, sondern das reine, unverdiente Geschenk Gottes. Und für dieses Geschenk gilt es offen zu sein. –

Gutes tun – sich von Gott beschenken lassen, das sind die beiden Pole, zwischen denen unser Leben als Christen ausgespannt ist.

Beides ist wichtig, beides ist in unserem Leben einzuüben und zu pflegen, wobei das zweite schwieriger sein dürfte und heute oft zu kurz kommt. Gutes tun: da kann man Buch führen, da hat man, wenn man will, die Kontrolle. Ich weiss, was ich getan und wo ich versagt habe.

Aber die Offenheit Gott gegenüber zu üben und zu pflegen, wie soll das geschehen? Entscheidend ist, dass wir Gott in unserem Leben, in unserem Denken und Tun, immer wieder den nötigen Raum schenken, dass wir uns immer wieder mit diesem Gott auseinandersetzen, auf seine Botschaft hören und damit unsere Vorstellung von ihm stets vertiefen und er so zum ständigen Begleiter in meinem Alltag wird – und zwar nicht als Aufpasser-Gott, sondern als Gott des Erbarmens und der Liebe.

Sind wir durchdrungen und bestimmt von diesem Gottesbild, dann sind wir, um die Sprache des hl. Paulus aus der heutigen Lesung aufzunehmen, Söhne/Töchter des Lichts und Söhne/Töchter des Tages. Dann gehören wir nicht der Nacht und nicht der Finsternis.

Mit einem solchen Gottesbild können wir getrost dem Tag des Endes entgegengehen, auch wenn viele Fragezeichen bestehen bleiben, denn wir wissen: in Gott sind wir bestens aufgehoben.

Amen.