P. Cyrill am 32. Sonntag im Jahreskreis 2023

12.11.2023

Evangelium: Mt 25,1-13

Gleichnisse dürfen wir nie 1:1 ins Leben übertragen, sonst geraten wir in schiefe Lage. Wenn wir nämlich das Verhältnis 5:5 oder fifty fifty auf alle, die Christus nachfolgen, transferieren, kann eine grosse Unsicherheit und Ungewissheit aufkommen.

Das Gleichnis der zehn Jungfrauen will nicht verunsi­chern: „Bin ich gerettet oder nicht?“ „Genügt das, was ich tue, fürs Himmelreich?“ Das Gleichnis will nicht verun­sichern, sondern aufrütteln, damit wir nicht erlahmen in unserem Bewusstsein „gerettet“ zu sein.

Eine Schwierigkeit mag bestehen, dass wir meinen, dieses Gleichnis spiele sich in Zukunft ab, das heisst, dass das Gericht noch kommen wird, dass es sich in Zukunft weisen wird, ob wir durch die Tür eingelassen werden oder nicht, dass wir also besser mit zusätzlichem Öl vorsorgen, damit es dann vor der Himmelstür wirklich reichen wird. Diese Unsicherheit will dieses Gleichnis nicht. Gott spielt nicht mit unseren Gefühlen. Er hat uns erlöst ohne Wenn und Aber. Das darf und soll unsere Grundstimmung als Christen sein. Daraus kann Gelassen­heit wachsen und Freude entstehen.

Und trotzdem ist das Gleichnis nicht ohne. Die Erzählung deutet nämlich nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart. Als Getaufte tragen wir schon das Hochzeitsgewand und wir befinden uns im Hochzeitssaal. Das Hochzeitsbankett ist bereit. Es gehört zu unserem Glauben, dass wir alle schon erlöst sind. Christus, der Bräutigam, hat mich soweit schön gemacht, dass ich bereit bin für das Fest. Er hat mich mit seinem Blut gewaschen, mich gekleidet mit seinem Gewand, geschmückt mit den Gaben seines Geistes. Ich darf mich bereit wissen mit all meinen Mitchristen.

Aber – und dieses Aber will nichts von der Bedingungs­losigkeit der Erlösung wegnehmen – aber das Verbleiben in der Festkleidung kann manchmal schön mühsam sein, vor allem wenn das Fest noch keinen Schwung hat. Das Warten macht müde und wir geraten alle in die Nacht, in die Nacht des Zweifels, in die Nacht der Einsamkeit.

Das Zentrum des Gleichnisses spielt in der Nacht von Heute. In der dunklen Nacht haben wir Schwierigkeiten zu sehen, dass wir erlöst, dass wir von seinem Geist getragen sind. Der Glaube an die Erlösung wird ange­griffen durch persönliche Nöte und Unbegreif­lichkeiten. Die Kriege, der Terror, die Erdbeben und Naturkata­strophen nagen an der Gewissheit über die Allmacht und Gegenwart Gottes. Die Frage der Rolle der Frau in der Kirche, der Mangel an Priestern belasten die Glaubens­freude. Auf diese Bedenken trifft noch der Hammer der sexuellen Missbräuche in den eigenen Reihen. Stimmt der Glaube wirklich oder folgen wir einer kollektiven Illusion? Ob all diesen Fragen wird es Nacht, Mitternacht, tiefste Finsternis um mich und noch schlimmer in mir!

Und genau hier setzt das Gleichnis wieder ein. Da mitten in der Nacht ertönt der Ruf: „Der Bräutigam kommt!“ Der Bräutigam ist zwar noch nicht sichtbar, doch er kommt. Das ist gewiss. Nun beginnt die Diskussion um das Öl. Wir alle bereiten unsere Lampen, um dem Bräutigam zu begegnen, ihn zu sehen. Wer sieht ihn denn im eigenen Chaos, um grossen Streit und Widerstreit der Geschichte? Der Zahn des Zweifels beisst sich tief in unser Fleisch. Im Innersten findet eine heftige Auseinan­der­setzung statt. Es mag nun fifty fifty stehen, ob wir ab der zermürbenden Mitternacht zerbrechen oder nicht. Will ich einen Gott annehmen, der die Mitternacht zulässt, der mich bis zum Äussersten warten lässt?

Für die einen ist es zum Davonlaufen. Sie suchen sich das Öl auswärts bei anderen Händlern. Das zermürbende Warten auf den Angekündigten macht keinen Sinn mehr. Er wird ja nur angekündigt, aber gesehen hat ihn noch keiner. Für die anderen macht gerade die Sehnsucht nach dem Angekündigten und seine Begegnung dem jetzigen dunklen Warten einen Sinn. Der feste Glaube, dass ER kommt, gibt dem Warten, dem Sehnen, dem Wachbleiben einen Sinn. Die ersehnte Begegnung stiftet der ganzen Nacht eine Richtung. Sie verleiht allem Chaos dieser Erde, der persönlichen Nacht, wie den Nächten aller menschli­chen Tragödien ein Licht. Wenn der Bräutigam kommt, kann es nicht sein, dass etwas in der Sinnlosigkeit bleibt. Er kommt in unsere Mitternächte, um sie auszuleuchten. Es gibt keine Finsternis, keine noch so grosse menschliche Katastrophe, die er nicht zu erhellen vermöchte. Sein Kommen löst die Sinnlosigkeit des Bösen, des Hasses, der Gewalt, der Tragödien, der Konflikte. Nicht, dass sich das Böse einfach auflöste, sondern dass ER es zur Erlösung verwendet. So wie ER das Kreuz, das schlimmste Verbre­chen der Menschheit – wir wollten Gott töten – genom­men, gewendet und zum grössten Erlösungswerkzeug ge­macht hat. Er hat das Böseste zum Besten verwandelt. Durch das Kreuz geschieht Erlösung. Im dunklen Schrei Jesu, im Stöhnen dieser Welt, „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, wendet sich die Ohnmacht in erlösende Allmacht. Diese Verrücktheit geschieht immer wieder um Mitternacht, in der tiefsten Finsternis.

Um diese sinnstiftende Wende hinzukriegen, brauchen wir gutes Öl. Um in der mitternächtlichen Ohnmacht Gottes Allmacht sehen zu können, brauchen wir genügend Öl.  Um unsere tiefsten Nächte sinnstiftend deuten zu können, brauchen wir das Öl des Glaubens, dass der Bräutigam jetzt kommt, wirklich kommt, ja schon da ist. Um Mitternacht entscheidet es sich, ob ich daran zerbreche oder ob ich wirklich annehmen kann, dass der allmächtige Gott durch die Ohnmacht rettet.

Wenn ich glaube, dass ich neues vielleicht besseres Öl anderswo kaufen kann als beim Kreuz, verpasse ich das Sinnstiftende der Nacht, den Sinn des Wartens. Wenn ich meine, einfach „Herr, Herr!“ beten zu können, ohne ihm wirklich in den Zweifeln, in den Krämpfen dieser Welt, in den Tränen meiner Nächte zu begegnen, wird sich die Tür nicht öffnen. Er wird mir sein Gesicht nicht zeigen, nicht zeigen können, weil ich ihn in seiner Nacht nicht sehen wollte.

Damit wird die geistige Nacht nicht glorifiziert. Es ist gewiss nicht Gottes Wille, dass solche menschliche, mora­li­sche, geopolitische Katastrophen geschehen, wie wir sie zurzeit erleben. Gott will die Nacht dieser Erde, das Kreuz, nicht, aber er versteht, dieses trotz allem zu wen­den und daraus Erlösung zu schaffen. Sein Kommen stiftet Sinn.

Deswegen macht es trotz allem Sinn, dem Ruf „Der Bräutigam kommt!“ zu glauben und den Bräutigam zu ersehenen und zu bleiben.