P. Lukas Helg am 28. Sonntag im Jahreskreis 2023

15.10.2023

O je, auch das noch! Ist es denn nicht schon viel mehr als genug, wenn die Tagesschau und die Zeitungen jeden Tag voll sind von Kriegsnachrichten, im Moment aus dem Nahen Osten, vorher und immer noch in der Ukraine. Jetzt gibt’s auch noch Brutalitäten im Sonntagsevangelium. Eine königliche Hochzeit endet mit Inferno für eine ganze Stadt. Dieser König ist ein zweiter Putin, ein zweiter Netanjahu.

Liebe Mitchristen! In der Vorbereitung dieser Predigt habe ich studiert, was die Schrifterklärer zu diesem heiligen Text sagen. Für sie steht mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit fest: Jesus selber hat kein so blutrünstiges Gleichnis erzählt. Wenn wir erfahren wollen, wie Jesus dieses Gleichnis erzählt haben könnte, dann müssen wir das 14. Kapitel des Lukasevangeliums lesen oder einen Abschnitt im apokryphen Thomasevangelium. Ich will versuchen, es mit eigenen Worten zu erzählen und zu aktualisieren. Lassen sie mich etwas phantasieren.

Kurzfassung: Gott lädt zu einem Festmahl ein. Die Eingeladenen kommen nicht, dafür Nicht-Eingeladene. Oder etwas ausführlicher: Jesus erzählte den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes folgendes Gleichnis: Mit dem Himmelreich verhält es sich wie mit einem Mann, der drei befreundete Familien zu einem Festessen eingeladen hatte. Er sandte seinen Knecht aus, um den Familien zu sagen: Kommt. Alles ist bereit. Die erste Familie sagte ab. Vater und Sohn müssen unbedingt an das Fussballspiel vom FC St. Gallen. Ebenso die zweite: die ganze Familie möchte gemeinsam den spannenden Krimi Tatort anschauen. Und die dritte Familie hat selber ein Fest: die älteste Tochter heiratet. Der Knecht kam mit den 3 Absagen zurück. Der Hausherr wurde zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell in den Armenviertel unserer Stadt und bring, wen immer du findest. Der Knecht tat, wie ihm befohlen. Und das Haus füllte sich mit Armen, Krüppeln, Blinden und Lahmen. Das grosse Essen konnte doch noch stattfinden. Der Hausherr war trotzdem sehr traurig und enttäuscht, weil seine drei befreundeten Familien ihre Hobbys seiner Einladung vorzogen.

Soweit meine Phantasiegeschichte. Aber lesen Sie doch selber zu Hause in Ihrer Bibel im Lukasevangelium nach: Kapitel 14, die Verse 15 bis 24. All jenen, welche die Texte unserer neuen Leseordnung ausgewählt haben, würde ich sehr gern die Frage stellen, warum sie im Lesejahr A (da sind wir ja mitten drin) dieses Gleichnis in der brutalen Matthäus Version ausgewählt, die ursprünglichere und mildere Lukas Version im Lesejahr C hingegen nicht berücksichtigt haben. Das finde ich sehr schade!

Liebe Mitchristen! Was hat Matthäus aus dieser Urform gemacht? Er hat die Heilsgeschichte Israels und der jungen christlichen Kirche in das Gleichnis eingebaut. Bei Matthäus werden aus dem einen Diener zwei Gruppen. Die erste Gruppe, das sind die Propheten des Alten Bundes. Sie wollen das Volk Israel zum Glauben an Gott zurückführen – erfolglos. Mit der zweiten Gruppe meint er die Jünger Jesu. Sie verkünden das Reich Gottes oft auch erfolglos, werden misshandelt und erleiden das Martyrium wie Petrus und Paulus. Matthäus baut sogar die historisch gesicherte und auf das Jahr 70 nach Christus datierte Zerstörung Jerusalems in das Gleichnis ein. Er deutet diese Katastrophe rückblickend als Strafe Gottes für den Unglauben Israels. Damit strapaziert er das Gleichnis masslos. Es wird unverständlich. Warum werden Überbringer einer Einladung umgebracht? Wie kann man Krieg führen und eine ganze Stadt in Schutt und Asche legen, wenn das Festessen schon zubereitet ist? Matthäus interpretiert noch weiter: die Leute aus dem Armenviertel, welche anstelle der 3 Familien eingeladen werden, das sind die Heiden, die den christlichen Glauben angenommen haben, das sind wir Christen. Matthäus hält ihnen eine Predigt, wenn er schreibt, unter diesen Heiden gebe es Böse und Gute. Bitte, wiegt euch nicht in falscher Sicherheit. Die Entscheidung für den Glauben ist nicht fester Besitz, sie ist immer gefährdet. Christsein heisst noch lange nicht, eine reine Weste haben. Der König wird zum Polizisten, der die Kleider kontrolliert. Was dann mit dem Mann ohne Hochzeitskleid passiert, das erinnert mich wieder daran, wie die Hamas in die jüdischen Kibbuz eindringen und die Leute brutal entführen oder umbringen.

Liebe Mitchristen!

Jetzt verstehen wir dieses happige Evangelium vielleicht ein bisschen besser. Wir hören Matthäus auf der Kanzel seiner christlichen Kirche predigen. Aber Wissen allein genügt nicht. Wirklich wissen wir erst, wenn wir uns von diesem Wissen verändern lassen. Deshalb  kommt jetzt der wichtigste Schritt: Ich persönlich, jede und jeder von uns, wird heute in diesem Gottesdienst ganz persönlich von Jesus angesprochen. Ich soll meine persönliche Glaubensgeschichte in dieses Gleichnis hineinschreiben, wie Matthäus es für seine Zuhörerinnen und Zuhörer getan hat. Ich muss mich einigen wichtigen Fragen stellen, wenn ich mich als Eingeladener oder Eingeladene sehe.  Wie reagiere ich auf die Einladung Gottes? Was für ein Meister im Erfinden von fadenscheinigen Entschuldigungsgründen bin ich? Für was Alles nehme ich mir Zeit? Was ist mir wichtig? Auf welchen Hochzeiten bin ich überall am Tanzen?  Welchen Hobbys laufe ich nach, wenn Gott mich einladen will? Aber wir sollten auch unsere heutige Kirchensituation mit diesem Gleichnis verbinden. Warum laufen uns heute so Viele davon? Ist die Einladung nichts mehr wert? Ist das wirklich ein Fest, zu dem wir einladen? Ist es bei uns immer so friedlich und harmonisch wie bei einem frohen Fest? Haben bei uns zu Viele keine weisse Weste mehr? Sind wir wirklich als Dienerinnen und Diener einer Frohen Botschaft unterwegs? Gehen wir überhaupt hinaus? Oder warten wir als immer kleiner werdende Gruppe drinnen, bis sie von draussen zu uns kommen? Sie haben es bestimmt gemerkt, liebe Mitchristen, ich sehe die Rolle von uns, die wir drinnen beim König und beim Festmahl sind und die Sonntagsmesse besuchen, in der des Dieners im Gleichnis. Hinausgehen! Zu den Menschen am Rand unserer Gesellschaft! Und das mit freudigem strahlendem Gesicht! Einladen zum Festmahl Gottes! Der heilige Matthäus gibt Ihnen und mir eine saftige Hausaufgabe. Packen wir sie an. Gott helfe uns dabei. Amen.