
P. Theo Flury am Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag 2023
Wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt? Siebenmal? Jesus antwortete Petrus: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal. Wir sollen also Gott nachahmen, der uns immer wieder vergibt, wenn wir selbst bereit sind, in unseren mitmenschlichen Beziehungen stets einen Neuanfang zu wagen.
Wir sind nicht perfekt. Ein Blick in die Welt, aber auch in unser eigenes Leben, lässt keinen Zweifel übrig: mit uns stimmt etwas nicht. Selbst bei grössten Bemühungen schaffen wir es nicht, das zu überwinden, was die Bibel Sünde nennt. Sie lauert sprungbereit im Hintergrund, eingenistet in unseren Schwächen, und wartet nur darauf, uns dann und wann, da und dort vom Plan Gottes und vom Weg der Liebe abzubringen, den uns Jesus Christus vorgezeichnet hat.
Die Schweiz begeht heute den Eidgenössischen Dank – , Buss – und Bettag.
Wir aber, die wir hier regelmässig anwesend sind, setzen uns an jedem Sonntag in besonderer Weise mit dem Beten, Danken und Büssen auseinander. Wie geschieht das?
Bettag. Die Feier, die sich auch jetzt wieder vollzieht, ist ein Gottesdienst, ein Gebet zu Gott. Er ist es, zu dem hin wir alle gleicherweise uns wenden. Der Mensch, der sich so auf Gott ausrichtet, wird mit einer Dimension in Berührung kommen, die ihn nicht kleiner, sondern grösser werden, über sich selbst hinauswachsen lässt.
Danktag. Was jetzt wiederum im Geschehen begriffen ist, wird auch Eucharistiefeier genannt. Eucharistie heisst Danksagung. Wofür? Für die Schöpfung und die Erlösung, für das Werk Gottes, das, in und durch Jesus Christus, bis ans Ende der Zeiten fortdauert. Im Danken öffnen wir uns auf Beziehung hin und für den Empfang eines Geschenks, das nicht nur in einer Vielzahl von Wohltaten besteht, sondern in Jesus Christus selbst, dem wir besonders in der Kommunion begegnen. In ihr wird unter den so unscheinbaren Zeichen von Brot und Wein derjenige empfangen, von dem wir im grossen Glaubensbekenntnis bekennen, dass er Gott von Gott ist, Licht von Licht, der Sohn des Vaters, für uns und zu unserem Heil Mensch geworden. Hand aufs Herz: Sind wir uns dessen immer bewusst, wenn wir zum Kommunionempfang hintreten? Haben wir uns auf diese Begegnung vorbereitet? Sind wir ausreichend gesammelt? Oder empfangen wir die Hostie gewohnheitsmässig oder gar gedankenlos?
Busstag. Die Feier, die hier wieder einmal kurz erklärt werden möchte, nennen wir schliesslich Messe oder sprechen, viel seltener, vom Messopfer. Diese Begriffe wurden vorwiegend früher gebraucht, als nicht nur die Aspekte des Betens und des Dankens im Bewusstsein der Glaubenden verankert waren, sondern ebenso der Aspekt der Busse. Er ist in der Verkündigung in den letzten Jahrzehnten wohl etwas in den Hintergrund geraten, weil er als billige Erziehungsmethode verfälscht und missbraucht werden kann, indem man versucht, durch Angst vor Strafe jedes beliebige unliebsame Verhalten auszumerzen. Busse bezieht sich auf den Zusammenhang von Schuld, Umkehr, Sühne und Vergebung, einem wichtigen Thema nicht nur in der Bibel, sondern auch in unseren Lebensläufen und in der Geschichte der Kirche. Das wird uns gerade in diesen Tagen wiederum dringlich und sehr schmerzlich bewusst.
Wie gehen wir auf der zwischenmenschlichen Ebene mit Verfehlungen um? Wir bitten um Entschuldigung und versuchen zuvor, einen entstandenen Schaden, wenn möglich, irgendwie aufzuwiegen. Diesen Ausgleich nennt man Sühne. Fähig zum Schuldigwerden und zum Leisten von Sühne ist aber nur der Mensch, der zurechnungsfähig ist. Einem Kleinkind wird man vieles einfach nachsehen.
Wer schuldig wird, stört immer auch die Ordnung und den Plan Gottes. In diesem Sinn wird die Schuld zur Sünde, zu einer Angelegenheit zwischen Menschen und Gott. Dieser erscheint in den Schriften der Bibel zwar als barmherzig, aber auch als gerecht – das ist kein Widerspruch! Er nimmt uns grundsätzlich ernst und beurteilt uns durchaus als fähig, Verantwortung zu übernehmen. Er sagt nicht einfach: «Oh, schauen wir über Dein Verhalten hinweg; Du weisst es halt nicht besser; Schwamm darüber.» Das Neue Testament ist allerdings ebenso davon überzeugt, dass es vor Gott kein rein menschliches Aufwiegen von Sünde gibt, dass aber, stellvertretend, Jesus Christus sein Leben für uns in die Waagschale geworfen hat. Diese Tat wird in mehreren Schriften des Neuen Testaments, ebenfalls in vielen gottesdienstlichen Texten, Opfer genannt. Das religiöse Opfer ist, laut Wörterbuch, Ausdruck der uneingeschränkten Hingabe an Gott. Wir Menschen sind dazu erwiesenermassen nicht fähig, aber in der Verbindung mit Jesus Christus, der dazu fähig war, werden wir in seine Bewegung zu Gott hin mitgenommen und dazu aufgerufen, eins mit dem Herrn unser eigenes Kreuz zu tragen und so unsere, wenn auch bruchstückhafte, Hingabe zu vollziehen. In der Messe nun wird das Lebensopfer Jesu kultisch dargestellt und wirksam; es handelt sich also nicht lediglich um ein frommes Sich erinnern an ein in der Vergangenheit liegendes Geschehen. Die Messe gleicht heute zwar der Form nach dem Abendmahl vom Gründonnerstag, inhaltlich geht es aber um den Karfreitag: «Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut, hingegeben und vergossen für euch zur Vergebung der Sünden». So werden in jeder Feier der Messe der Karfreitag, mit ihm auch Ostern, in unserer Zeit wirklich gegenwärtig. Gleichzeitig werden wir mit und durch Jesus Christus sakramental in dieses Geschehen einbezogen.
Siebenundsiebzigmal sollen wir vergeben und bitten: «Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir jenen vergeben, die uns gegenüber in Schuld gefallen sind.» Vergebung ist eines der charakteristischen Merkmale des Christlichen. Wir können und sollen vergeben, weil Gott uns in Jesus Christus, durch sein Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen vergeben hat und vergibt. Oft fällt uns das Vergeben allerdings sehr schwer! Es ist nicht Teil eines selbstverständlichen Automatismus, ebenso wenig hat jemand ein Recht auf Vergebung. Sie ist immer ein Geschenk, das in bestimmten Fällen erst dann gewährt werden kann und soll, wenn Schuld eingestanden, Umkehr sichtbar erfolgt und Sühne geleistet worden ist.
Amen.