P. Patrick Weisser am 21. Sonntag im Jahreskreis 2023

27.08.2023

Viele Evangelientexte von Markus, Matthäus und Lukas sind verblüffend ähnlich. Das liegt daran, dass die Evangelisten einander tatsächlich abgeschrieben haben. In solchen Fällen lohnt es sich, auf die Unterschiede zu achten, darauf, was der eine Evangelist am Text des anderen verändert. So können wir den Evangelisten wie beim Denken zuschauen. An dem, was sie ändern oder aber weglassen, sehen wir, was ihnen wichtig ist.

So ist es auch beim heutigen Evangelium, dem so genannten Messiasbekenntnis des Petrus. Matthäus übernimmt diese Erzählung vom älteren Markusevangelium. Allerdings nimmt er daran zwei bemerkenswerte Veränderungen vor.

Die erste Veränderung: Die Verheissung Jesu an Petrus, Petrus sei der Fels, auf den er seine Kirche bauen und dem er die Schlüssel des Himmelreiches geben wird, findet sich bei Markus nicht. Sie ist eine Hinzufügung von Matthäus.

Die zweite Veränderung betrifft die Fortsetzung des Abschnittes, den wir heute gehört haben. Sowohl bei Markus wie bei Matthäus macht Petrus Jesus Vorwürfe wegen seines vorausgesagten Leidens und Sterbens, und in beiden Evangelien erhält Petrus dafür einen scharfen Tadel. Doch Matthäus verschärft diese Zurechtweisung gegenüber Markus nochmals deutlich.

Matthäus schreibt: „Jesus wandte sich um und sagte zu Petrus: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ (16,23.) Matthäus ist hier viel ausführlicher als Mk.

Was besagen nun diese beiden Änderungen, die Matthäus am Text des Markus vornimmt?

Petrus wird der Fels der Kirche genannt und erhält mit den Schlüsseln des Himmelreiches die Binde- und Lösegewalt. Als einziger Evangelist braucht Matthäus den Ausdruck „Kirche“. Bei ihm spielt die Kirche als Organisation bereits eine wichtige Rolle – anders als bei Mk oder bei den noch früheren Paulusbriefen.

Die Kirche als Institution wird im Laufe der Geschichte immer wichtiger, je weiter die Zeit Jesu zurückliegt. Das ist verständlich. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass Matthäus beim Wort „Kirche“ nicht an den Vatikan und die römische Kurie denkt. Das alles kommt zum Glück erst sehr viel später.

Aber offensichtlich ist es bereits Matthäus klar, wie gefährlich diese so grosse Verheissung an Petrus ist. Und das ist der Grund, weshalb er den Tadel Jesu an Petrus deutlich verschärft.

Wie wollen wir auf die so grosse Verheissung Jesu an Petrus reagieren? Spontan würden wir vielleicht am liebsten sagen: Das darf ja wohl nicht wahr sein! Denn wer ist es, dem hier so grosse Verantwortung übertragen wird?

Es ist Petrus, der unbeständige Hitzkopf. Petrus, der zwar Jesus als Messias bekennt, ihm aber dann doch sagen will, was für ein Messias er zu sein hat. Petrus, der im Sturm auf dem See nichts Gescheiteres wünscht, als wie Jesus über das Wasser zu gehen, und der dann doch aus Angst fast ertrinkt.

Und es ist Petrus, der grossartig seine Bereitschaft erklärt, für Jesus zu sterben, und der dann doch wie alle anderen Jünger davonläuft und Jesus später sogar dreimal verleugnet. Wie kann ein solcher Mensch der Fels sein, auf den Jesus seine Kirche baut?

Ein erfundener Brief an Jesus, angeblich von einer Beratungsfirma geschrieben, kann uns hier helfen. In diesem Brief erklären Wirtschaftsberater, auf wen Jesus sich am besten verlassen solle. Alle Jünger werden der Reihe nach diskutiert, und an jedem gibt es einiges zu bemängeln. Der Brief endet damit, dass es nur einen einzigen verlässlichen Mann gebe, der auch von Geld etwas Ahnung habe: Judas Iskariot.

Die Verheissung Jesu an Petrus wirft viele Fragen auf, die von den Theologen der verschiedenen Konfessionen auch ganz unterschiedlich beantwortet werden. Sicher aber ist Eines: Es gibt ein besonderes Amt des Petrus. Unsicher ist allerdings, wie es genau zu verstehen ist. Darüber streiten die christlichen Konfessionen bis heute erfolgreich.

Sicher – und für uns auch viel wichtiger als die Diskussion über das Petrusamt – sind aber noch zwei weitere Einsichten.

Die erste sichere Erkenntnis: Jesu Verheissung gilt in gewisser Weise allen Gläubigen. Matthäus selbst schreibt das Wort von der Binde- und Lösegewalt an anderer Stelle seines Evangeliums ausdrücklich allen Jüngern zu. Jesus sagt dort: „Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt 18,18.)

Jesu Verheissung an Petrus gilt noch in einem weiteren Sinn allen Gläubigen. Denn Jesus baut immer auf den Glauben und das Vertrauen der Menschen, denen er begegnet. Wie oft sagt er nach einer Heilung etwa: „Dein Glaube hat dir geholfen.“

Jesus erlöst uns nicht ohne uns oder gar gegen unseren Willen. Er braucht unseren Glauben, unser Bekenntnis, dass er auch unser Erlöser ist. So ist tatsächlich auch unser persönliches Messiasbekenntnis der Fels, auf den Jesus seine Kirche bauen kann.

Wenn wir uns nicht persönlich und aus eigener Überzeugung zu Jesus bekennen, wer soll es dann für uns tun? Es gibt Dinge im Leben, die wir nun einmal nicht delegieren können.

Eine zweite Erkenntnis, die sicher ist: Wir mögen zwar darüber staunen, dass Jesus seine Verheissung ausgerechnet einem unbeständigen Hitzkopf wie Petrus macht. Aber: Wir sind kein Haar besser als Petrus. Wir sind genauso begeistert, wechselhaft, launisch, feige und verwundet wie er.

Das Eingeständnis dieser unserer Schwächen fällt uns zwar nie leicht. Aber es ist für den Glauben an Christus als unseren Erlöser grundlegend. Warum?

Wir alle begegnen früher oder später den Grenzen unseres Lebens, Leid, Schuld und Tod. Spätestens dann stellt sich die Frage, was im Leben denn eigentlich zählt. So machen uns eigenartigerweise gerade unsere Schwächen offen für den Glauben an Christus.

Die einzige Alternative wäre, dass wir statt auf Christus lieber auf unsere eigenen Stärken bauen und uns zu den einzig Verlässlichen zählen, die auch von Geld etwas Ahnung haben.

Amen.