P. Justinus Pagnamenta am 17. Sonntag im Jahreskreis 2023

31.07.2023

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Wir haben soeben zwei uns bekannte Gleichnisse gehört. Sie sind einander sehr ähnlich, aber sie weisen auch gewisse Unterschiede auf: Während der erste Mann per Zufall auf einen Schatz stösst, hat der andere, der Kaufmann, einen Plan und macht sich auf die Suche nach schönen Perlen, bis er endlich eine sehr wertvolle findet.

Die Gleichnisse stellen zwei verschiedene Arten dar, dem Herrn zu begegnen. Man kann ihn finden oder man kann von ihm gefunden werden. In der Tat gibt es viele Möglichkeiten, Gott zu begegnen, z.B. wie der Apostel Paulus, der von einem Licht auf dem Weg nach Damaskus überrascht wurde, oder mitten im Alltag, «zwischen den Töpfen und Pfannen der Küche», wie die heilige Teresa von Avila zu sagen pflegte.

Eines aber haben die beiden Gestalten der heutigen Gleichnisse gemeinsam: Beide erkennen den unschätzbaren Wert dessen, was sie gefunden haben, und voll Freude verkaufen sie ihren ganzen Besitz, um es zu erwerben.

Mit diesen beiden Gleichnissen wird die Ernsthaftigkeit unserer Entscheidung für das Himmelreich auf die Probe gestellt. Jesus fordert uns auf, um des Himmelreichs willen auf alles zu verzichten. Aber wohlgemerkt: Es geht nicht um einen einmaligen Verzicht, ein für alle Mal, z.B. für uns Ordensleute, wenn wir die Gelübde ablegen. Um in das Himmelreich gelangen zu können, muss dieser Verzicht jeden Tag erneuert werden. Und es geht nicht ausschliesslich um den Verzicht auf materielle Güter.

Vielleicht gefällt Ihnen das Wort «Verzicht» nicht. Kein Problem! Wir können dieses Wort mit einem anderen ersetzten. Statt von «Verzicht» können wir auch von «Befreiung» reden. Wir müssen uns von vielen Dingen befreien, wenn wir in das Himmelreich kommen wollen. Es geht tatsächlich um eine Befreiung, eine Befreiung von allem, was ein Hindernis auf unserem Glaubensweg sein könnte, Dinge wie Habsucht, Hochmut, Machtansprüche, übermässige Bequemlichkeit, Egoismus oder das, was der heilige Benedikt als voluntas propria bezeichnet – den Eigenwillen, der dem Willen Gottes entgegensteht … nur, um einige Beispiele zu nennen. Kurz gesagt, wir müssen uns von all dem befreien, was uns unfrei macht und verunmöglicht, dass wir Jesus aufnehmen und ihm in den Armen, in den Kranken, in den Bedürftigen, in den Freunden und Kolleginnen, in der Liturgie, [n den Mitbrüdern oder in der Gesellschaft dienen ….

Diese radikale Forderung kann uns erschrecken, vielleicht heute mehr denn je, da wir in einer Wohlstandsgesellschaft leben. Eine solche radikale Entscheidung können wir nur dann treffen, wenn wir zuerst den unermesslich grossen Wert des Himmelreichs erkennen. Nur so werden wir in der Lage sein, einen so grossen Verzicht zu leisten, sogar bis hin zur Hingabe unseres eigenen Lebens, im Bewusstsein, dass unser Schatz im Himmel ist, «wo weder Motte noch Wurm ihn zerstören und keine Diebe einbrechen und ihn stehlen» (Mt 6,19). Dann werden wir mit dem Apostel Paulus sagen können: «Was mir ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen für (einen) Verlust gehalten. Ja noch mehr: Ich glaube, dass alles (ein) Verlust ist, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles überragt. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen» (Phil 3,7–8).

Der reiche junge Mann, der sich geweigert hatte, alles zu verkaufen, um Jesus nachzufolgen (vgl. Mt 19,21), ging traurig weg, weil er nicht erkannt hatte, wie kostbar der von Jesus angebotene Schatz im Himmel war.

Möglicherweise befinden wir uns in der gleichen Situation wie der reiche junge Mann und leben so, als ob diese Welt, dieses irdische Leben, nie vergehen würde. Und so haben wir Mühe, uns von vergänglichen Dingen zu befreien. Vielleicht haben wir mit dem Verstand begriffen, dass diese Welt vergeht, aber noch nicht ganz mit dem Herzen. Wir haben diese Wahrheit noch nicht ganz verinnerlicht. Und wohlgemerkt: Es ist keine Glaubenswahrheit, sondern einfach eine Tatsache der menschlichen Erfahrung.

Wie Salomo damals, sollten auch wir heute um die Gabe der Weisheit bitten, vielleicht mit diesen Worten aus dem Psalm 90: «Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz» (V. 12). Wer ein weises Herz hat, dem fällt es nicht schwer, sich für das Himmelreich zu entscheiden, und er tut es mit grosser Freude, wie der Mann im Gleichnis, der «in seiner Freude hinging, alles, was er besass, verkaufte und den Acker kaufte» (Mt 13,44). Wer sich für das Himmelreich entschieden hat, sagt also nicht: «Ich habe alles verlassen», sondern: «Ich habe einen grossen Schatz gefunden». Er verliert nichts und gewinnt alles. Und er hält sich nicht deswegen für besser als andere, sondern lebt einfach in Freude und will diese Freude mit anderen teilen.

Die Eucharistie, die wir jetzt feiern, ist keine Sonntagspflicht, die wir verrichten müssen. Vielmehr ist die Eucharistiefeier schon jetzt, in diesem Leben, eine Teilhabe an den ewigen Gütern, eine Vorwegnahme der himmlischen Herrlichkeit (vgl. KKK 1402). Mit Freude wollen wir also jetzt Eucharistie feiern und dann diese Freude in die Welt bringen.

Amen.