P. Thomas Fässler am 12. Sonntag im Jahreskreis 2023

25.06.2023

Es gibt Abschnitte in der Bibel, liebe Schwestern und Brüder, bei denen jeder Satz eine eigene Spruchkarte verdienen würde. Weil er sitzt. Weil er kurz und bündig eine Wahrheit auf den Punkt bringt, uns aufrüttelt, zum Nachdenken anregt. Einen solchen Abschnitt haben wir gerade vorhin gehört. Als Prediger weiss man in solchen Momenten gar nicht, auf welchen dieser Sätze man nun eingehen soll. Entscheidungshilfe bietet mir die Tatsache, dass in diesem relativ kurzen Abschnitt eine Aussage gleich drei Mal, einem Refrain gleich also, vorkommt: «Fürchtet Euch nicht!», lautet sie. «Fürchtet Euch nicht!» Man könnte diesen Zuspruch auch anders formulieren: «Habt nur Vertrauen!»

Vertrauen muss der Mensch lernen. Dies geschieht bereits in den ersten Tagen seines Lebens. So betonen Psychologen, wie wichtig es ist, dass Eltern reagieren, wenn ihr Baby etwa wegen Hunger schreit. Denn so lernt es, dass es sich auf seine Eltern verlassen kann, in einer Situation, in der es ihre Hilfe braucht. In vielen kleineren und grösseren Situationen wird dieses Vertrauen weiter gefestigt: Etwa im Schwimmbad, wenn die Mutter ihrem Kleinen am Beckenrand zuruft: «Keine Angst, es passiert nichts, ich bin da, spring nur!» Die Erfahrung, dass tatsächlich nichts Schlimmes passiert, lässt das Kind diesem «Fürchte Dich nicht, hab keine Angst!» immer mehr vertrauen. Die positiven Erfahrungen der Vergangenheit lassen es darauf vertrauen, dass auch beim nächsten Mal nichts Tragisches geschieht. Solches Vertrauen ist wichtig, dass ein Mensch sich gut entwickeln kann.

«Hab keine Angst, fürchte Dich nicht!» Wie viele Strudel der Angst aber gibt es doch im Strom des Lebens, in die wir so leicht hineingezogen werden können. Die Angst etwa vor dem, was im eigenen kleinen Lebenskreis alles geschehen könnte, am Arbeitsplatz, mit der Gesundheit, in der Familie. Aber auch die Angst vor den Folgen des globalen Klimawandels, der Inflation, der Wohnungsknappheit können uns beschweren, ja gar zum Verzweifeln bringen. In so manchem sucht der Mensch in diesen Ängsten, in diesem Gefühl des Ausgeliefertseins nach Halt, nach Sicherheit, ja nach irgendjemandem, nach irgendetwas, dem er vertrauen kann, bei dem er sich absichern, ver-sichern kann. Wirklich halten kann uns in all dem aber nur das Vertrauen darauf, dass in allem, was geschieht, Gott da ist. Dass dadurch alles Geschehen einen Sinn hat, auch wenn es mir momentan alles andere als so erscheint. Natürlich ist dies nicht mit einem naiven Vertrauen gleichzusetzen, mit einem billigen Schulterklopfen, im Sinne von «Es wird schon gut!». Denn die Härten des Lebens treffen gläubige Menschen genauso wie alle anderen.

Viele Menschen haben dieses Vertrauen auf Gott nie gelernt. Weil es ihnen nie vermittelt wurde. Oder weil sie bei einem kindlichen Gottesbild stehengeblieben sind, bei der Vorstellung, dass der liebe Gott sie schon vor allem Harten bewahrt. Ein solches Gottesbild zerbricht unweigerlich an den ersten Schwierigkeiten des Lebens. Dabei wird oft nicht das eigene Bild von Gott kritisch hinterfragt, sondern vielmehr Gott selbst als ein Märchen abgetan. Gott gibt es nicht, schliesst man schnell. Oder er interessiert sich nicht für mich. Oder er kann mir nicht helfen, auch wenn er noch wollte. Das «Fürchtet Euch nicht!» wird zu einer leeren Beschwichtigungsformel. Denn klar muss ich mich fürchten! Vertrauen ist höchstens etwas für naive Dummköpfe und Schwächlinge, die sich nicht wehren können. Und dann gibt es auch Leute, die ihr Vertrauen auf Gott verloren haben, weil geschenktes Vertrauen verletzt, missbraucht worden ist. Sie können niemandem mehr trauen, nicht einmal mehr Gott. Dann braucht es viel, sehr viel, bis Vertrauen wieder neu wachsen kann.

Wie aber können Menschen neu oder überhaupt erstmals Vertrauen in Gott fassen? Ich meine, dass es nur einen einzigen Weg dafür gibt: Durch Menschen, die ihnen dieses Vertrauen im Alltag vorleben. Die sich nicht so schnell aus der Bahn werfen lassen, was auch immer geschieht. Die dadurch im Kleinen und Grossen bezeugen, dass sie darauf vertrauen, dass Gott zu ihnen schaut, für sie sorgt. Es sind sie, die der Welt Hoffnung schenken – und damit Ruhe, inneren Frieden. Es sind sie, die den jungen Menschen mit ihrem eigenen Leben sagen, dass sie keinesfalls die letzte Generation sind, sondern dass es sich lohnt, sich für etwas einzusetzen. Hoffnung, Vertrauen können auch wir, kann auch ich anderen schenken, wenn ich selbst jeden Tag aus dem Vertrauen darauf lebe, dass Gott bei mir ist, was auch immer kommt, was auch immer geschieht, selbst Leid und Tod – dass er mich an seiner Hand hält, ja dass ich in seinem Schoss wunderbar geborgen bin.