
P. Lorenz Moser am 10. Sonntag im Jahreskreis 2023
Liebe Brüder und Schwestern
Die heutige Lesung hat mich irgendwie stutzig gemacht. Es kam mir das Opferwesen des alten Testamentes in den Sinn, wo es Rauchopfer, Brandopfer, Schlachtopfer, Sündopfer, Sühneopfer gibt – und dazu eine unübersehbare Menge von Vorschriften und Regelungen, die es einzuhalten galt.
Und da steht im gleichen Alten Testament: «Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Erkenntnis Gottes, nicht Brandopfer». Im Klartext heisst das nichts anderes, als dass Gott diese Opfer gar nicht will!
Es scheint darin ein urmenschliches Bedürfnis zum Ausdruck zu kommen: mit irgendwelchen Leistungen sich abzusichern und selbst Gott gegenüber auf Nummer sicher zu gehen, mit den verschiedensten Opfern Gott günstig zu stimmen, ja gleichsam etwas wieder gut zu machen, um sich damit Gottes Wohlgefallen zu sichern, so wie wir es in unserem menschlichen Zusammenleben auch immer wieder tun.
Und dabei heisst es: nicht Opfer will ich…
Die Christen haben zwar diese alttestamentliche Opferpraxis nicht beibehalten, wohl aber den Opfergedanken übernommen. Ob Jesus selber sein Erlösungswerk je als Opfer verstanden hat, wage ich zu bezweifeln, jedenfalls lässt es sich kaum mehr nachweisen; später jedoch hat man es so interpretiert und Jesu Erlösungstat in vielfältiger Weise als Opfer verstanden, welches die alttestamentlichen Opfer abgelöst hat. So sind wir uns bis in die heutige Zeit gewohnt, vom Kreuzesopfer, vom Messopfer, vom Opfer des neuen Bundes zu sprechen und verbinden damit die verschiedensten theologischen Vorstellungen. Da kann es ein wertvoller Gedankenanstoss sein, wenn Gott durch den Propheten dazwischenruft: «nicht Opfer will ich…».
Was aber will er? Nach dem Text der heutigen Lesungen sind es zwei Dinge, die an die Stelle der Opfer treten sollen:
Liebe und Barmherzigkeit auf der einen, Erkenntnis Gottes auf der anderen Seite.
Liebe und Barmherzigkeiten sollen unser Verhältnis zu den Mitmenschen bestimmen: ein Ja zu den Mitmenschen, so wie sie sind; sie so akzeptieren, wie Jesus sie akzeptiert hat, ohne Rücksicht auf die gängigen Schablonisierungen der Gesellschaft wie sie am Beispiel der Pharisäer zum Ausdruck kommt: für Jesus ist es kein Ärgernis, mit den Zöllnern und Sündern zu essen; im Gegenteil: diese bedürfen ganz besonders der Zuneigung, denn nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Nicht die ausgleichende Gerechtigkeit, die hinter der Haltung der Pharisäer steht, soll die Richtschnur unseres Handelns sein, sodass wir am Schluss «quitt» sind und keiner dem andern mehr etwas schuldig ist. Es ist ein bedingungsloses Ja, das uns Jesus vorgelebt hat. Und dieses bedingungslose Ja verlangt Gott von uns: «Liebe will ich, nicht Schlachtopfer».
Und Erkenntnis Gottes, das bedeutet nichts weniger als das ständige Bemühen, über Jesus und durch seine Offenbarung sich ein immer tieferes Gottesverständnis anzueignen, und zwar nicht ein Wissen, das vollgestopft ist mit theologischen Finessen und Einzelheiten, die das Wesen Gottes letztlich doch nicht erfassen können; es ist vielmehr ein Betroffensein durch Gott, das mein Leben mehr und mehr bestimmt und mich dazu bringt, mein Leben und die ganze Welt im Lichte Gottes zu sehen. Es ist die Entdeckung, was es heisst, dass Gott zu mir Ja sagt, oder, um ein anderes Bild aufzugreifen: es ist die immer grösser werdende Selbstverständlichkeit, dass Gott bzw. Jesus unser Freund ist.
Diese existentielle Nähe zu Gott – das Ziel unserer Gotteserkenntnis – pflegen und vertiefen wir durch das persönliche Gebet und insbesondere auch durch die gemeinsame Eucharistiefeier, wo die Vereinigung mit Jesus Christus zeichenhaft durch das Essen des Brotes und das Trinken des Weines vollzogen wird. Das ist der tiefste Kern der Erkenntnis Gottes, dass wir eins mit ihm werden.
«Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Erkenntnis Gottes, nicht Brandopfer». Amen.