
P. Philipp Steiner am Siebten Sonntag der Osterzeit
Liebe Schwestern und Brüder
Wenn die Kirche Gottesdienst feiert, dann ist dies nicht eine Erinnerung an längst vergangene Ereignisse, sondern ein Eintauschen in das Geschehen der Heilsgeschichte, das sich dabei stets neu aktualisiert und an uns, den Gläubigen, vollzieht. Wenn sich das Volk Gottes versammelt, um das Wort des Herrn zu hören und am Altar das Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung zu feiern bis er wiederkommt in Herrlichkeit, dann befinden wir uns im «Jetzt Gottes». Aus diesem Grund kann es keine Klage geben: Ach, hätte ich nur vor 2000 Jahren gelebt und Jesu Worte aus seinem eigenen Munde gehört, hätte ich doch ebenfalls seine Wundertaten miterlebt und seine Liebe gespürt, wie einfach würde mir dann der Glaube an ihn fallen! Nein, wenn wir für den Gottesdienst zusammenkommen, dann sind wir Zeuginnen und Zeugen seines Heilswirkens damals wie heute. Alles andere wäre auch tatsächlich eine Bevorzugung der Zeitgenossen Jesu und eine Benachteiligung der Christen der nachfolgenden Generationen. Allen wird die Begegnung mit Jesus Christus geschenkt – auch uns heute.
Nirgends wird dieses Hineingenommen Werden in die Heilsgeschichte so deutlich wie in den Drei Österlichen Tagen, in denen wir Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen feiernd vergegenwärtigen. Aber auch in den vierzig Tagen zwischen Ostern und Christi Himmelfahrt, die wir am vergangenen Donnerstag gefeiert haben, begegnete uns in der Liturgie immer wieder der Auferstandene, brach mit uns das Brot und führte uns tiefer in das Geheimnis seiner Liebe ein.
Und nun befinden wir uns am Siebten Sonntag in der Osterzeit. Liturgisch gesehen ein Schwellentag – wie damals ganz konkret im Leben der Apostel und der Jüngerinnen Jesu: Der Auferstandene ist zum Vater heimgekehrt und hat – wie wir am Donnerstag aus dem ersten Kapitel der Apostelgeschichte hören konnten – den Jüngern verheissen: «Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde» (Apg 1,8). An diesen Abschnitt knüpfte die vorhin gehörte Lesung an, die mit den Worten begann: «Die Apostel kehrten von dem Berg, der Ölberg genannt wird und nur einen Sabbatweg von Jerusalem entfernt ist, nach Jerusalem zurück. Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben» (Apg 1,12-13).
Das also ist nun der Punkt, an welchem die Feier der Liturgie und das biblische Geschehen zusammenkommen: Das gemeinsame Bleiben der Jünger im Obergemach und das einmütige Gebet «zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern» (Apg 1,14). Wenn wir nun hier in der Klosterkirche Einsiedeln zusammenkommen, dann sind auch wir im Obergemach, dem Abendmahlsaal, versammelt zum Gebet. Dadurch wird bereits der Bogen gespannt zum Pfingstfest am Sonntag in einer Woche, auf welches wir uns durch das Gebet um den Heiligen Geist vorbereiten.
So weit so gut! Die Liturgie der Kirche führt die Heilsgeschichte und unser Glaubensleben an diesem Punkt wunderbar zusammen. Und was ist mit dem Evangelium?
Hier wird es anspruchsvoll! Denn vom zum Vater erhöhten Christus sind weder in den Evangelien noch in der Apostelgeschichte Worte an die Jüngerschar überliefert. Und doch haben wir solche im vorhin verkündeten Evangelium gehört! Haben Sie gemerkt, aus welchem Kontext sie genommen worden sind? Nein?! Dann hoffe ich wenigstens, dass meine Mitbrüder es wissen! Sie stammen aus dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums, wo das sogenannte «Hohepriesterliche Gebet» die drei Abschiedsreden Jesu abschliesst. Und wann hat Jesus in der theologischen Konzeption des Johannesevangeliums diese Reden gehalten und das Gebet gesprochen? In der Übergangssituation zwischen Abendmahlssaal und dem Garten Gethsemane – also unmittelbar vor dem Beginn seiner Passion. Damit sind wir mit dem heutigen Evangelium also zurückversetzt worden in die Zeit vor dem Ostermysterium. Nimmt sich die Kirche mit der Wahl dieses Evangeliumstextes für den Siebten Ostersonntag nun etwas zu viel Freiheit heraus? Ist es vielleicht eine Verlegenheitslösung in Ermangelung einer besseren Alternative und der Prediger sollte es tunlichst vermeiden, dies in der Predigt anzusprechen?
Ich denke nicht. Wie der Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ein Tag im Übergang ist, so ist das Gebet Jesu vor seinem Leiden ebenfalls in eine Übergangssituation, in einen Moment des Abschieds und der Verunsicherung hineingesprochen. Und es sind Worte, die Jesus auch in unser Leben als Einzelne und als Kirche hineinspricht: Es sind Worte, die von seiner Verherrlichung handeln, von der Erkenntnis Gottes, von der Offenbarung seines Namens, vom Festhalten an seinem Wort, vom Bewahrt Werden, vom Eins Sein in Gott und untereinander.
Sie sind die erinnernde und vergegenwärtigende Versicherung, dass auch wir in Jesus Christus einen Beistand beim Vater haben, der für uns eintritt. Wir sind in sein Gebet hineingenommen! Aber es ist auch eine stete Aufgabe, uns vom Heiligen Geist, um dessen Herabkunft auf die Kirche wir stets neu beten sollen, in Jüngerinnen und Jünger Jesu Christi verwandeln zu lassen. Dies geschieht dadurch, indem wir in Jesu Verherrlichung des Vaters Anteil nehmen, seinen Namen den Menschen kundtun und an seinem Wort festhalten. Am meisten aber bezeugen wir Christus durch unser Einssein untereinander. Das heutige Evangelium gibt uns dafür die nötige Sicherheit: Wir gehören zu Jesus, wir sind durch ihn hineingenommen in die vollkommene Liebesgemeinschaft des dreieinen Gottes zum Zeugnis für die Welt. Dadurch können wir nicht nur Sonntag für Sonntag, Feiertag für Feiertag in der Liturgie Teil der grossen Heils- und Liebesgeschichte Gottes mit der Welt sein, sondern in unserem Alltag unsere Berufung als Christinnen und Christen leben, damit Jesu Wort in der Welt zum Strahlen kommt: «Ich bin bei euch, bis zum Ende der Welt» (Mt 28,20).
Amen.