P. Pascal Meyerhans am Sechsten Sonntag der Osterzeit 2023

14.05.2023

Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen. Wissen Sie, was Waisen sind? Mir sind zwei Waisen begegnet, sechsjährige Zwillinge. Die 20jährige Mutter Prostituierte, die diese Kinder zufällig bei ihrem Gewerbe empfangen hat. Sie wollte sie zwar bei der Geburt umbringen, hat sie dann aber vor ein Frauenkloster gelegt, wo diese Kinder dann schlecht und recht aufgezogen wurden. Es würde uns wohl alle interessieren, wie es bei diesen zwei weiterging. Ungefähr so, wenn niemand da ist, der sie richtig erzieht.

Jesus nimmt heute Abschied von seinen Jüngern, weil er zum Vater heimkehrt. Ihm ist es wichtig, dass wir Menschen nicht als Waisen zurückbleiben. Er schickt uns einen Beistand, den Geist der Wahrheit. In dieser Osterzeit hat sich Jesus immer wieder gezeigt als der, der vom Tod auferstanden ist, als der, der lebt, – für uns Christen gar nicht so leicht zu glauben. Und doch, Jesus ist den Jüngern erschienen, hat mit ihnen gegessen, damit sie glauben konnten, dass er lebt.

Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen. Ich send euch einen Beistand, den Geist der Wahrheit, der euch hilft zu glauben. Jesus will bei uns bleiben und uns helfen, damit auch wir im Glauben feststehen.

Ist es wirklich wahr, dass Jesus uns nicht verwaist zurücklässt? Es sieht momentan in der Kirche alles andere aus. Ist die Situation eingetroffen, wo das Wort aus dem Lukasevangelium wahr wird: «Wird der Menschensohn, wenn er wiederkommt, noch Glauben antreffen auf dieser Welt?» Es scheint, dass es soweit ist: der Glaube vieler scheint eingeschlafen oder sogar weg zu sein.

Kürzlich hat ein Priester, für den der Priesterberuf immer noch eine grosse Gnade und Freude bedeutet, in einer theologischen Zeitschrift geschrieben, dass er vor 35 Jahren mit 16 andern jungen Männern zum Priester geweiht wurde. Damals belegte dieser Beruf in der Rangordnung der gesellschaftlichen Anerkennung – es waren dreissig Ränge – einer der obersten Plätze. Inzwischen kommen wir Priester in dieser Rangordnung nicht einmal mehr vor. Das ist auch recht so, wir sind nicht da um aufzutrumpfen, aber ist das nicht ein deutliches Zeichen, wie es um das Glaubensleben steht oder bergab gegangen ist? Bei Vielen ist Glaube doch nur noch eine Worthülse, mit der sie im Grunde genommen nichts mehr anfangen können.

Da gebührt ein grosser, echter Dank all jenen, die im Glauben, dass Jesus für sie da ist und lebt, die trotz allem «Wenn und Aber» durchhalten und treu bleiben: Ihnen gebührt ein grosser Dank und vor allem auch Hut ab.

Heute ist auch Muttertag. Muttertag ist zwar kein kirchlicher Festtag.

Trotzdem möchte ich ein Wort dazu sagen, weil im Evangelium die Rede vom Abschied Jesu ist, wie er sich um die annimmt, von denen er Abschied nimmt – und die auch im Glauben zu ihm stehen.

Abschied nehmen.  Hier einmal Abschied nehmen von der Mutter.

Als ich mit neun Jahren Erstkommunikant war – es war anfangs Mai – da hat unsere Familie diesen Festtag ganz im Stillen gefeiert. Meine Mutter, die hochschwanger war, hat damals gemeint, dass wir am Erstkommuniontag keine grosse Feier machen, dafür dann bei der Taufe des Neugeborenen alles zusammen feiern: Erstkommunion und Taufe. Eine Woche später haben wir unsere Mutter mit ihrem Neugeborenen beerdigen müssen. Sie starb an der Geburt ihres fünften Kindes.

Muttertag und Abschied nehmen. Kann man das überhaupt in einer solchen Situation? In einem Moment wie diesem steht ja sowieso alles still. Die Frage war nur: wie geht es bei uns daheim weiter?

Und da war es ganz ähnlich wie beim Abschied Jesu. «Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen», hat er gesagt. Bei uns daheim musste es ja auch weitergehen. Wir waren eine gläubige Familie, wo das Gebet wichtig war. Gott liess uns nicht im Stich. Da ist eine liebe ledige Tante, die Schwester meines Vaters zu uns gekommen und hat ihr ganzes Leben für unsere Familie aufgeopfert. Grossartig, auf jeden Fall! Ich werde euch einen andern Beistand geben, sagt Jesus, den Geist der Wahrheit und euch nicht als Waisen zurücklassen.