
P. Cyrill Bürgi an Pfingsten 2023
Evangelium: Joh 20,19-23
In dieser vergangenen Woche durfte ich mit Jugendlichen auf dem Fahrrad den Spuren des heiligen Meinrad folgen. Vom Geburtsort in Rottenburg, Deutschland, über die Insel Reichenau, seinem Ausbildungsort und Heimatkloster, an den Zürichsee, seinem Wirkungsort als Lehrer, über den Etzel nach Einsiedeln, den Orten seiner innigen Vertrautheit mit Gott. Naturgegeben gibt es bei solchen Fahrten immer ein Schlusslicht, das langsamste Glied in der Gruppe. Einer der Jugendlichen, der keine Handy besass, fragte: „Was ist, wenn ich verloren gehe?“ „Wir lassen dich nicht allein“, war meine Antwort. Diese simple Aussage beeindruckte mich selbst, und ich machte es mir zur Aufgabe, dem hintersten Fahrer Gesellschaft zu leisten, wenn er von allen anderen um Längen im Stich gelassen wurde – in der Hoffnung, dass die Gegenwart von jemandem tröstlich empfunden wurde.
Sie selbst kennen wohl die Erfahrung, dass die einfache Gegenwart bei einem kranken Kind oder einem sterbenden Menschen sehr wohltuend für den Betroffenen ist. Man kann die Situation nicht ändern oder verbessern, aber man kann beistehen.
Die einfache Gegenwart schenkt Trost und Sicherheit. Es geht nicht um vertröstende Worte, die zusichern, dass alles gut wird. Das Gegenwärtigsein ist kein billiger Trost. Die einfache Gegenwart bürgt mit der eigenen Person, mit sich selber. Diesen Sinn haben die letzten Worte Jesu im Matthäusevangelium: „Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Jesus verbürgt mit seiner eigenen Person seine stete Gegenwart. Das ist ein sehr schönes Gottesbild, das wir uns verinnerlichen dürfen. Gott ist stets gegenwärtig. Er selber bürgt dafür. Wir können nie aus seiner Gegenwart fallen. Wir sind in seiner Hand. „Was kann uns da noch passieren?“ Das schenkt uns Vertrauen, Gelassenheit und auch eine Freiheit.
Johannes spricht vor seiner Passion vom ‚anderen Beistand‘, den er senden wird. Dieser wird immer bei uns bleiben und uns alles lehren (vgl. Joh 14,16; 16,26). Es geht um Gottes ständige Gegenwart. Nur Johannes spricht von diesem Beistand, griechisch παράκλητος, Paraklet. Parakletos kann man verschieden übersetzten. Häufig brauchen wir das Wort Beistand oder „Tröster“. Der Paraklet ist die tröstende Hilfe, als würden wir einen Arzt herbeirufen. Er ist aber auch ermahnender Zuspruch, ein freundliches Zureden eines Freundes. Letztlich geht es um den Beistand als tröstende Gegenwart. Der innerweltlich wirksame Paraklet ist zunächst Jesus. Der Heilige Geist, der andere Paraklet, steht im engen Zusammenhang mit Jesus – von ihm gesandt, ja, aus ihm hervorgegangen.
Das heutige Evangelium verbindet die Erscheinung des Auferstandenen mit der Sendung eben dieses Heiligen Geistes: „Er hauchte sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22)!
Die Erscheinungen Jesu sind ein Bild für die Gegenwart Gottes, auch der Empfang des Heiligen Geistes ist ein Bild der Gegenwart Gottes. Es geht immer um dasselbe: Gottes Gegenwart spendet unendlicher Trost. Es geht nicht darum, dass der eine weggeht und der andere kommt, dass Jesus geht und der Heilige Geist kommt. Es ist immer Gott, der gegenwärtig, präsent ist. Seine Gegenwart ist eine tröstende. Diese ist den Jüngern gesandt ist und nicht allgemein der Welt. Sie kann sie nicht erkennen, weil sie nichts von ihr wissen will.
Diese tröstende Gegenwart ist ein Kennzeichen des neuen Gottesvolkes. Das ganze Alte Testament spricht davon, dass das eigentliche Werk Gottes seine tröstende Gegenwart ist. Dieser Trost oder seine Tröstung ist eine umfassende Bezeichnung für das messianische Heil. Ja, die Heilszeit des Messias wird Gottes Trost genannt.
Johannes nimmt diese alttestamentliche Erwartung auf und verbindet sie mit den beiden Bildern der Gegenwart Gottes, mit der Erscheinung des Auferstandenen und mit dem Empfang des Heiligen Geistes.
Diese Gegenwart Gottes ist kein billiger Trost. Sie schenkt in erster Linie Frieden, SEINEN Frieden, sodann lässt sie uns Jesus sehen, d.h. erkennen, dass er lebt unter uns. Daraus erwächst Freude, die uns niemand nehmen kann. Ja, sie lässt uns zu Boten genau dieser Gegenwart werden: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Jesus ist selbst die tröstende Gegenwart Gottes. Nun sollen wir diese tröstende Gegenwart sein – mit derselben Vollmacht wie er. Der Heilige Geist leitet uns dazu an. Mit dem Empfang des Heiligen Geistes verbindet sich aber auch die Vollmacht, Sünden zu vergeben, die Fähigkeit, einander zu verzeihen. Der Heilige Geist überführt die Welt. Er lässt uns erkennen, was zu Gott führt und was von ihm trennt (vgl. Joh 16,8ff).
Die Sendung des Heiligen Geistes ist nicht irgendein Ereignis neben der Auferstehung und der Erhöhung Jesu. Wir dürfen uns nicht irgendein Vakuum zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten vorstellen, so als wäre Jesus weggegangen und der Heilige Geist noch nicht gekommen. Gott hat diese Welt nie verlassen.
Es geht immer um dieselbe tröstende Gegenwart Gottes, die Herz und Sinn erfreut, die in der Unrast Ruhe schenkt, in der Hitze Kühlung bewahrt und in Leid und Tod Trost spendet.
SEINE Gegenwart hilft uns, die Geister zu unterscheiden. Was unseren Verstand und unser Gewissen hell und klar macht, was Verhärtung löst, und Versöhnung schafft, was heilt und in die innere Freiheit führt, was Beziehungen stärkt und aufbaut, ist Zeichen SEINER ständigen Gegenwart. Dieses Erfassen seiner Gegenwart ist uns gegeben. Wir können diese Gegenwart unterscheiden vom Geist der Welt, der in die Enge, die Ichbezogenheit und in die Verworrenheit von Lug und Trug führt.
Gottes Paraklet, der Tröster, seine Gegenwart, ist also kein billiger Trost, vertröstende Worte auf ein zukünftiges besseres Reich, sondern eine tröstende Gegenwart in der Zeit wie die Mutter oder der Vater beim kranken Kind, wie ein lieber Mensch bei einer sterbenden Person.
Pfingsten will uns dieses tröstende Gottesbild vermitteln: „Ich lasse dich nicht allein. Du kannst nicht aus meinen Händen fallen.“