P. Lukas Helg am Vierten Sonntag der Osterzeit 2023

30.04.2023

Vorbemerkung: Natürlich weiss ich: Jedes Evangelium ist für Jung und Alt. Jede und Jeder, gleich welchen Alters, kann sich durch mindestens einen Satz daraus angesprochen fühlen. Liege ich falsch, wenn ich glaube, dass das heutige Evangelium speziell unsere ältere Generation im Visier hat? In diesem Sinn versuche ich, es auch auszulegen.

Liebe Mitchristen, speziell liebe ältere Semester 60, 70, 80 plus (ich zähle mich selber auch dazu!)

Ja, das Alter ist schon speziell. Wenn vieles nicht mehr möglich ist? Wenn Krankheit und Gebrechen uns an das kommende Ende mahnen? Sie haben sich bestimmt auch schon gefragt, warum der Mensch langsam zerfallen muss und nicht in der Höchstform einfach gehen kann? Im Alter denkt man zurück, überschaut sein Leben. Franz Kafka macht es auch – recht ungewohnt und verschlüsselt – nämlich mit einer kleinen Fabel. Er beschreibt das Leben aus der Sicht einer kleinen Maus.

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und frass sie.

Soweit Franz Kafka.

Das Leben als Sackgasse. Die Unmöglichkeit, umzukehren. Das erbarmungslose Ausgeliefertsein an den Tod, ob du vorwärts oder rückwärts gehst. Bruder Tod mit der Mausefalle am Ende unseres Weges. Und immer diese enger und enger zusammenrückenden Mauern, bis kein Weg mehr weiter führt.

Wahrlich keine christliche Deutung unseres Lebens. Aber eine verbreitete, die wir ernst nehmen sollten.

Mich fasziniert ein Ausspruch Jesu im heutigen Evangelium. Jesus sagt von sich selbst: „Ich bin die Tür“. Und zwar die Tür zu den Schafen. Ich, der Hirt, trete durch sie ein. Aber auch die Tür für die Schafe. Wenn sie eintreten, werden sie gerettet – durch mich. Denn „ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben“. Johannes 10,10 – was für ein wunderbarer Schlusssatz des heutigen Evangeliums; wir sollten ihn auf einen Zettel schreiben und ihn wie den Hausschlüssel immer bei uns tragen, besonders wir älteren Leute! Uns ist Leben in Fülle verheissen. Eine Tür ist etwas ganz anderes als eine Mauer. Die Mauer steht für Resignation, Erstarrung, Ausweglosigkeit, Tod – die Tür hingegen für Durchgang, Zukunft, offenes Leben, Freude.

Jesus sagt von sich selbst: Ich bin die Tür. Ich durchbreche die Mauern, die euch voneinander und von Gott trennen. Dazu bin ich auf die Welt gekommen – um die Mauer der Unmenschlichkeit zu durchbrechen. Deshalb habe ich die Kranken, die Aussätzigen, die Armen, die Ausgestossenen, die Huren und die Sünder in die Gesellschaft zurückgeholt.

Ich bin gekommen, um die Mauer mancher Gebote und Gesetze zu durchbrechen und ihnen wieder den ursprünglichen Sinn zu geben als Hilfe und Schutz für euch. – Ich bin gekommen, um die Mauer der Gottferne zu durchbrechen. Deshalb habe ich euch in Bildern und Gleichnissen meinen himmlischen Vater näher gebracht.

Liebe ältere Mitchristen!

Ja, Sie wissen es, es gibt noch eine andere Mauer, und Sie haben vielleicht Angst vor ihr, die Mauer des Todes.

Wir stehen mitten in der Osterzeit. Die feierliche Osternacht ist uns noch in bester Erinnerung. Was geschah damals? Christus hat für uns die Mauer des Todes durchbrochen. Seit Ostern steht am Ende unseres Lebens eben keine Mauer mehr, noch viel weniger eine grausame Mausefalle. Seit Ostern steht am Ende unseres Lebens eine Tür, die schon einen Spalt offen steht. Durch diesen Spalt fällt Licht in unsere Welt.

Natürlich, so selbstverständlich und ohne jegliche Anstrengung kommen wir an unserem Lebensende nicht durch diese Türe. Es gibt da schon Eintrittsbedingungen. Jesus sagt: „Wer an mich glaubt“. Eine konkretere Antwort finde ich ebenfalls im heutigen Evangelium – im Gleichnis vom Hirt und den Schafen. Natürlich lassen wir uns nicht gern als Schafe betiteln; wir halten sie ja doch meistens für dumm. Aber lesen Sie zu Hause Johannes 10,1-10 noch einmal durch. Sie finden dort zwei Sätze, die mir wie Eintrittsbedingungen vorkommen. Der erste: „Die Schafe hören auf die Stimme des Hirten“ – und der zweite: „Die Schafe folgen ihm nach“. Da haben wir’s.

Nachfolge. Im Griechischen steht hier das Verb akolouthein. Genau das gleiche Wort wird im ganzen Neuen Testament immer dort verwendet, wo es um die Nachfolge Jesu geht. Ich erinnere Sie an die wunderbare Stelle im 9. Kapitel des Lukasevangeliums – Lukas 9,23 „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“. Wäre das nicht ein Tagesprogramm für unsere alten Tage? Das gehörte eigentlich auch noch auf den kleinen Zettel, den ich immer bei mir trage. Es gibt keinen Grund zur Angst vor Sterben und Tod. Uns älteren Semestern muss man Manches zweimal sagen. Ich tu’s jetzt auch! Unser Leben steuert nicht auf eine undurchdringliche Mauer zu, sondern auf eine Türe. Und hinter dieser Türe steht keine Mausefalle, sondern eine Person, Jesus, der gute Hirt. Und wenn ich dummes Schaf falsche Wege gegangen bin, versperrt mir Gott nicht wie die Katze bei Kafka den Rückweg, sondern er gibt mir eine neue Chance und trägt mich auf seinem Rücken auf den richtigen Weg zurück. Aber aufgepasst! Es könnte die letzte sein.

Amen.