
P. Benedict Arpagaus am Weissen Sonntag 2023
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Wer war der Apostel Thomas? Was zeichnete ihn aus? Ah! Das war doch dieser Zweifler. Der hat doch immer gezweifelt. Manche Antwort würde wohl so lauten. Ganz ehrlich: Hätten wir wirklich anders reagiert als der Apostel Thomas? Nachdem wir Jesu Kreuzestod miterlebt und seinen zerschundenen und ausgebluteten Leichnam gesehen hätten?
Der Glaube ist nicht etwas Abgeschlossenes und Statisches. Er ist eingebettet in die Dynamik des Lebens und geprägt durch unsere Lebenserfahrungen. Der Zweifel kann uns motivieren, weiter zu blicken, tiefer zu gehen und feiner zu hören. Fragen und Zweifel, die ausgestanden, ausgehalten und vielleicht sogar durchlitten sind, vermögen uns neu, tiefer und wahrhafter der Liebe und dem Licht des ewigen Gottes zuzuführen. „Glauben“ bedeutet, Gott in allem, was sich ereignet, in jeder Situation, auch in den persönlichen Ölbergstunden und trotz durchkreuzter Lebenspläne, zu vertrauen. Unser Glaube wird während der irdischen Pilgerschaft durch die Dynamik des Lebens immer wieder herausgefordert bleiben. Und das ist gut so. Das bewahrt uns davor, Gott zu definieren oder IHN an unseren Vorstellungen festzunageln. Das bewahrt uns davor, von Gott zu klein zu denken. Und genau das würden wir tun, wenn wir IHN festlegen wollten.
Wir Menschen haben das Bedürfnis, das Leben verstehen zu wollen. Als religiöse Menschen, als Christen wollen wir Gott verstehen, seine Pläne, seine Vorsehung und sein Wirken begreifen können. Gerade in traurigen und schmerzlichen Herausforderungen des Lebens versuchen wir, die Ereignisse zu begreifen und die Dinge in den Griff zu bekommen.
So schaffen wir Begriffe, mit welchen wir versuchen, auf die Erfahrung unserer Begrenztheit und Nöte eine Antwort zu geben und einen Sinn zu finden. Selbst Glaubenssätze sind und bleiben ein hilfloser Versuch, etwas über Gottes Wesen und Wirken aussagen zu wollen. Wir versuchen in Worte zu fassen, was gar nicht fassbar ist, sondern sich nur im Glauben, im Vertrauen sich uns erschliessen kann. Wir kreieren grossartige Begriffe wie zum Beispiel „Erlösung“; ein Begriff, der meine Gedanken schon länger hin- und herwälzt.
Wenn ich gefragt werde, was Ostern bedeutet, habe ich die Tendenz, eine theologische Antwort zu geben. Das würden wahrscheinlich viele von uns tun. Wir möchten eine Antwort geben. Aber ist das eine Antwort, die wir uns wünschen? Vielleicht auch. Aber geht es nicht vielmehr – gerade in der Frage um das Osterfest und letztlich in der Frage um die Erlösung – um ein persönliches Glaubensbekenntnis? Deshalb ist es sinnvoll, solche Fragen uns selbst zu stellen: Was bedeutet Ostern oder Erlösung für mich? Und nicht selten bleibt dann eine spontane Antwort aus. Denn jetzt ist es keine Frage, die mein Allgemeinwissen erfordert, sondern eine persönliche Frage, die meine existenzielle Antwort verlangt.
Was bedeutet Ostern für euch, für dich? Viele Antworten sind möglich und alle werden, wenn sie vom Herzen kommen, richtig sein. Eine geistliche Übung vielleicht für heute zu Hause: Setze dich kurz hin. Oder besser – ganz österlich – steh auf, stell dich aufrecht hin, atme einige Male tief durch und lass deine Antwort aus deinem Herzensgrunde, aus deiner Seelentiefe aufsteigen. Ohne jeglichen Druck. Den Kopf in Ehren, aber den darfst du jetzt etwas beiseitelassen. Lass dich nicht beunruhigen, wenn nicht gleich eine Antwort kommt. Vielleicht kommt sie leise und sanft in der Nacht, wenn du träumst. Vielleicht sehr spontan und dich froh erschütternd. Vielleicht gehst du mit dieser Frage eine Zeit lang schwanger und wider Erwarten leuchtet dir die Antwort irgendwann und irgendwo entgegen. Wir dürfen mit den grossen religiösen Begriffen und unseren existentiellen Fragen schwanger gehen. Vielleicht wird etwas Unscheinbares und Kleines unsere inneren Augen öffnen und uns verstehen und begreifen, glauben und vertrauen lassen.
Ich glaube an Gott, ich möchte mit Christus auf dem Weg sein, ich vertraue, dass Gott alles weiss und wir im Tiefsten Inneren von Gott angenommen und geliebt – und deshalb – Erlöste, aus der Todeszone, aus dem Reich der Finsternis Herausgelöste sind. Aber ich sehne mich danach, dass dieser Glaube nicht im Kopf stecken bleibt und sich mit Definitionen begnügt, sondern mich bis in die tiefsten Fasern meines Seins hinein, auch im Wellenbad des Lebens und erst recht in den Stürmen der Zeit, wahrhaft trägt und nährt. Es ist wichtig, uns nicht mit vorgefertigten Antworten zufrieden zu geben. Wenn die Antwort aus unserem Herzen kommt, dann erst entfaltet sie ihre ureigene Kraft, die uns persönlich aufrichtet, stärkt, ermutigt und belebt. Halt geben kann uns eine Antwort erst dann, wenn sie im Licht der göttlichen Gnade aus unserem Inneren aufsteigt und von der Erfahrung gestützt wird. Voraussetzung hierfür ist eine lebendige Gottesbeziehung und die Offenheit für das Leben mit seinen vielen Gesichtern: mutig Erfahrungen sammeln, sich mit dem biblischen Wort auseinandersetzen, darüber reflektieren, in Stille beten und im Austausch mit den Mitmenschen, im Besonderen mit den Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern bleiben. Beziehungen müssen gepflegt werden, die zwischenmenschlichen und nicht weniger diejenige mit Gott. Wenn Beziehungen nicht gepflegt werden, gehen sie ein. Wenn ein Mensch sich für eine Beziehung stark macht und seine Schritte tut, sein Gegenüber aber nicht mitzieht und sich nicht hineingibt, dann hat eine Beziehung keine Zukunft. Es bleibt dem einen nur, sich zurückzuziehen und sich neu auszurichten. Bei Gott ist das insofern anders, dass er nämlich immer da ist und bleibt, wahrhaft treu. Dennoch, auch die Gottesfreundschaft bedarf der Pflege und des Austauschs.
Liebe Glaubensbrüder und Glaubensschwestern, pflegen wir die Freundschaft mit Christus! Jeder und jede von uns muss hierzu das Seinige beitragen, aber nicht im Sinne von Leistung! Vielmehr uns kreativ einbringen, konkrete Schritte tun und unsere von Gott geschenkten Gaben einsetzen. Eine lebendige Christusbeziehung ist das A und O. Sie muss eine Selbstverständlichkeit in unserem Alltag sein. Sie muss unser tägliches Brot sein! So kann eine – im Zusammenspiel der Gnade Gottes und der Lebenserfahrungen – persönliche und tragende Antwort heranreifen.
In Thomas brennt die Sehnsucht, glauben und vertrauen zu können. Da hilft ihm die Glaubensgemeinschaft. Das ist eine weitere Säule des geistlichen Lebens nebst derjenigen der persönlichen Gottesbeziehung. Der Apostelkreis schliesst Thomas nicht aus, sondern integriert ihn und macht ihm Mut, auf den Auferstandenen zu warten. Sie verurteilen Thomas nicht. Die Brüder und Schwestern im Glauben stützen und bergen Thomas. Als Zweifelnder hat er seinen festen Platz im Apostelkreis, er gehört dazu, mit dem, was er ist und hat. So hat es Christus selbst verfügt. Und der auferstandene Herr erscheint, tritt in die Mitte der Jüngerschar und lädt Thomas ein, seine Wundmale zu berühren. Eine äusserst zärtliche und vertrauensvolle Geste. Wer lässt sich schon gerne da berühren, wo er oder sie verwundet ist? Und was auffällt: die anderen Apostel waren in ihrem Glauben offenbar auch nicht sattelfest. Warum haben sie die Türe verschlossen, obwohl sie dem Auferstandenen bereits begegnet sind? Doch noch Verunsicherung und Zweifel? Sie stehen in Wirklichkeit nicht besser da als Thomas.
In Jesus sind wir angenommen, wie Thomas von Jesus, dem Auferstandenen, angenommen wird, so wie er ist. Als Thomas die Wunden Jesu berührt, wird er vom Geheimnis der Liebe Gottes ergriffen und Thomas fängt an zu begreifen, empfängt die Antwort für sein fragendes Herz. Die persönliche Antwort, die Thomas empfängt, kennen wir nicht. Es bleibt seine persönliche, von Gott geschenkte Antwort, die ihre Kraft entfaltet und anfängt zu tragen, in das Bekenntnis mündend: „Mein Herr und mein Gott!“
In Jesus sind wir von Gott angenommen, so wie wir sind.
Amen.