P. Justinus Pagnamenta an Epiphanie

06.01.2023

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Wir feiern heute das Hochfest der Epiphanie, d.h. der Erscheinung des Herrn. Die Erzählung aus dem Matthäusevangelium mit den Sterndeutern, bzw. mit den drei Königen, ist uns seit unserer Kindheit bekannt. Aber haben Sie sich schon jemals gefragt, was für eine Epiphanie – was für eine Erscheinung des Herrn – diese sein soll? Was haben die Sterndeuter gesucht und was haben sie gefunden? Sie suchten einen König, den König der Juden. Und wo haben sie ihn gefunden? Nicht in Jerusalem, in einem reich geschmückten Königspalast, sondern in einem kleinen Dorf, in Betlehem, in einem gewöhnlichen unscheinbaren Haus. Darin trafen sie einen Handwerker, seine junge Ehefrau und ihr kleines Kind in Windeln. Nichts, gar nichts Ausserordentliches! Kann da von Epiphanie, von einer Erscheinung des Herrn, die Rede sein?! Wie weit entfernt ist eine solche Alltagsszene von den grossen Gotteserscheinungen des Alten Testamentes mit Engelerscheinungen, Wolken- und Feuersäulen, Blitzen, Donner und Erdbeben! Wer hätte damals in Betlehem erahnen können, das dieses kleine Kind der Messias, der Christus war?

Sicher nicht Herodes. Er war von einer unfassbaren geistlichen Blindheit befallen. Keineswegs hätte er auch nur die geringste Chance, im kleinen Kind Jesus, den Mensch gewordenen Gott zu erkennen. Aber auch für das Irdische war Herodes ausserordentlich kurzsichtig. Er war so sehr machtbesessen, dass er nicht einmal über seine Nasenspitze hinaus sehen konnte. Der schon über sechzigjährige Herodes hatte Angst vor einem kleinen Kind. Er hatte Angst, dass eines Tages dieses kleine Kind seinen Thron hätte an sich reissen können. Und schon schmiedete er einen mörderischen Plan. Oh, elender Herodes! Wie lange wollte er noch leben?! Wenige Jahre später, als Jesus noch ein Kind war, starb Herodes unter den fürchterlichen Qualen einer grauenhaften Krankheit. Er, der alles an sich raffen wollte, hatte auf einmal alles verloren.

Können wir heutzutage nicht das gleiche beobachten? Ist es nicht so, dass Menschen, die sehr irdisch gesinnt und für das Geistliche ganz verschlossen sind, oft den Boden der Vernunft verlieren?

Nicht viel besser war die Haltung der Hohepriester und der Schriftgelehrten. Sie gehörten sozusagen zur «richtigen», zur «wahren» Religion. Sie waren Theologen, sie kannten die hl. Schrift sehr gut. Sie wussten, dass der Messias in Bethlehem geboren werden solle. Sie wussten! Aber ihr «Wissen» reichte nicht weiter. Sie machten sich nicht auf den Weg, sondern blieben in Jerusalem, in ihren bequemen Häusern. Die Kunde der Geburt Christi liess sie absolut gleichgültig, denn ihr Glaube war rein theologisches Wissen und hatte so viel wie keine Bedeutung für das konkrete Leben. Die Hohepriester und die Schriftgelehrten waren so sehr von ihrer Selbstgerechtigkeit überzeugt, dass sie erstarrten. Sie blieben im Glauben stehen und waren nicht mehr bereit weitere Schritte im Leben und im Glauben zu machen. So ein Glaube, auch wenn er dogmatisch 100% korrekt ist, nützt zu nichts, denn er ist kein lebendiger Glaube.

Vorbildlich für uns sind die Sterndeuter. Sie suchten einen König und der Stern hatte sie in ein kleines Haus eines kleinen Dorfes geführt. Sie fanden dort eine ganz normale Familie der Mittelklasse. Aber sie waren deswegen nicht enttäuscht, sondern vielmehr von sehr grosser Freude erfüllt, denn dem Anschein zum Trotz erkannten sie in dem kleinen Kind Jesus, den ersehnten König der Juden, den Messias, den Christus!

Diese Sterndeuter gehörten nicht einmal zum jüdischen Volk. Sie gehörten zu einer anderen Religion und Kultur. Sie gehörten sozusagen nicht zur «richtigen» Religion. Trotzdem waren gerade sie die Ersten, die Jesus begegneten und ihm als dem Messias huldigten. Wie ist es möglich gewesen?

Wahrscheinlich hatte ihnen ihre kultische Praxis den Blick für den tieferen Sinn der Wirklichkeit geöffnet. Sie waren offen für eine Wirklichkeit, die man mit den leiblichen Augen nicht sehen und mit den Händen nicht so richtig greifen kann. Sie hatten eine sogenannte übernatürliche Sicht des Lebens, die ihnen ermöglichte, die Zeichen der Gegenwart Gottes auch im normalen Alltagsleben zu erkennen. Dank ihrer Religion waren die Sterndeuter vorbereitet, dem wahren Gott zu begegnen, der auch im ganz unscheinbaren Alltag erscheinen kann. Die Sterndeuter gehörten nicht zur «wahren» Religion und doch haben sie in Bethlehem den wahren Gott angebetet. Ihre Religion liess ihnen einen Strahl jener Wahrheit erkennen, die alle Menschen erleuchtet (vgl. Nostra Aetate, Nr. 2).

Jesus kam in die Welt, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf (vgl. Joh 1,10–11).  Für Herodes damals und für die irdisch gesinnten Menschen von heute ist Jesus ein Spielverderber. Für die Hohepriester und Schriftgelehrten damals und für die Selbstgerechten von heute hat Jesus so viel wie keine Bedeutung. Und für uns? Was bedeutet Jesus für uns und unser Alltagsleben? Was machen wir mit unserem Glauben, wenn wir nach dem Gottesdienst die Kirche verlassen?

Möge uns Gott die übernatürliche Sicht des Lebens schenken, damit wir Gott erkennen und aufnehmen können, Ihn, der auch im Unscheinbaren erscheint. Jesus, der Mensch gewordene Gott, kommt! Er ist nicht einfach gekommen, als wäre es ein Ereignis der Vergangenheit. Er wird nicht einfach eines Tages in seiner Herrlichkeit kommen, als wäre seine Wiederkunft ein Ereignis einer fernen Zukunft, die uns gar nicht betrifft. Jesus, der Sohn Gottes, ist der kommende. Er kommt ins unscheinbare Heute, in unser alltägliches Leben. Wir müssen nur die Zeichen seiner Gegenwart in unserem Leben und im Leben unserer Mitmenschen wahrnehmen können. So können wir auch im unscheinbaren Alltag Epiphanie – Erscheinung des Herrn – feiern!

Amen!