
Abt Urban beim Requiem für Papst em. Benedikt XVI.
«Die Liebe Christi war die bestimmende Kraft in unserem geliebten Heiligen Vater; wer ihn hat beten sehen, wer ihn hat predigen sehen, weiss das. Und so konnte er dank dieser tiefen Verwurzelung in Christus eine Last tragen, die rein menschliche Kräfte übersteigt: Hirt der Herde Christi, seiner universalen Kirche zu sein. […] In der Ersten Lesung sagt uns der hl. Petrus – und der Papst spricht mit dem hl. Petrus: ‘Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist. Er hat das Wort den Israeliten gesandt, indem er den Frieden verkündete durch Jesus Christus; dieser ist der Herr aller.’»
Liebe Schwestern und Brüder, diese Worte stammen nicht von mir. Sie wurden am 8. April 2005 anlässlich der Beerdigung von Papst Johannes Paul II. vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger gesagt. Wenn wir heute bei uns die gleiche Lesung aus der Apostelgeschichte wie damals vernommen haben, dann auch dieselbe Kernbotschaft: Wir verkünden den Frieden durch Jesus Christus: «Dieser ist der Herr aller.»
Diese Christuszentriertheit, die Ratzinger für seinen Vorgänger festhielt, können wir auch vom späteren Papst Benedikt XVI. bezeugen. Seine tiefe Verwurzelung in Christus zeigte sich immer und überall. Da Benedikt XVI. Theologe war – das Nachdenken über Gott also gleichsam sein Beruf war –, kann man ihn natürlich kritisieren. Aber dann eben vor allem auch auf der Ebene der Theologie und nicht, wie es im Moment oft geschieht, rein soziologisch und psychologisch. Überhaupt fehlt mir heute in vielen kirchlichen Debatten das theologische Nach- und Mitdenken. Der Theologe Ratzinger folgte bei aller Wertschätzung für die historisch-kritische Methode der modernen Bibel-Exegese nicht allen Schlussfolgerungen dieser Art der Lektüre der Hl. Schrift. Damit können andere Mühe haben und diese auch benennen. Papst Benedikt XVI. hat in seiner ihm eigenen Verwurzelung in Christus das Johannesevangelium zum Dreh- und Angelpunkt seiner Jesus-Meditationen gemacht und in diesem viele Aussagen gefunden, die Jesus eben als Christus bezeugen im Sinne der heutigen Lesung: «Dieser ist der Herr aller.»
Im Johannesevangelium findet sich ein wichtiges hermeneutisches Prinzip für das Denken von Benedikt XVI. Es ist das Sprechen von der Wahrheit. Er sah sich im intellektuellen Dienst an der Wahrheit. Schon sein Wahlspruch als Erzbischof lautete: Cooperatores veritatis – «Mitarbeiter für die Wahrheit» (3. Joh 1,8). Dazu machte er etwa folgende Aussage: «Liebe ohne Wahrheit wird blind und zur Karikatur ihrer selbst – Wahrheit ohne Liebe wird grausam und verspielt so ihr eigenes Wesen.» Wir können dankbar sein, dass wir in den letzten Jahrzehnten immer wieder Bischöfe auf dem Stuhl Petri hatten, die von der Liebe zur Wahrheit, die Christus Jesus ist, beseelt waren und sind. Lange genug gab es in dieser Position vor allem Kriegsherren und Politiker. Und als die Kirche sich im beginnenden neuen Jahrtausend besonders verletzlich zu zeigen begann, hatten wir einen Papst, der auf seiner Suche nach Wahrheit sich seiner eigenen Verletzlichkeit stellte und von seinem Amt zurücktrat, da er die Last nicht mehr tragen konnte, «die rein menschliche Kräfte übersteigt». Im Johannesevangelium wird Petrus in seiner Verletzlichkeit von Christus gefragt: «Simon, liebst du mich?» Möge nun auch Benedikt XVI. vor seinem Herrn antworten können: «Herr, du weisst alles; du weisst, dass ich dich liebe.» Und wir alle dürfen mit dem heutigen Abschnitt aus dem Johannesevangelium hoffen: «Denn das ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, das ewige Leben hat und dass ich ihn auferwecke am Jüngsten Tag.»